Besondere Dringlichkeit im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen

Dr. Christian Kokew

Dr. Christian Kokew

Das BMWi hat ein Rundschreiben vom 24.08.2015 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen veröffentlicht. Danach kommt als statthafte Verfahrensart regelmäßig das beschleunigte nicht offene Verfahren und ggf. das Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb in Betracht.

Besondere Dringlichkeit im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen
Besondere Dringlichkeit im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen

14.09.2015 | Vergaberecht

Rundschreiben des BMWi


Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) hat ein Rundschreiben vom 24.08.2015 zur Anwendung des Vergaberechts im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen veröffentlicht.

Es stellt darin zunächst fest, dass regelmäßig im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen die Voraussetzungen des beschleunigten nicht offenen Verfahrens erfüllt sein dürften. Das bedeutet, dass die grundsätzlich für die Einreichung des Teilnahmeantrags (Bewerbungsfrist) und des Angebots (Angebotsfrist) vorzusehenden Fristen (erheblich) verkürzt werden können. So reduziert sich im beschleunigten Verfahren die Bewerbungsfrist beim nicht offenen Verfahren auf 10 Kalendertage und die Angebotsfrist beim nicht offenen Verfahren ebenfalls auf 10 Kalendertage (vgl. für Bauleistungen: § 10 EG Abs. 2 Nr. 6 VOB/A und für Dienst- und Lieferleistungen: § 12 EG Abs. 4 Satz 2 VOL/A und Abs. 5 Satz 2 VOL/A). Das BMWi weist darauf hin, dass die hierfür erforderliche Voraussetzung der „besonderen Dringlichkeit“ regelmäßig erfüllt sein dürfte. So heißt es wörtlich im Rundschreiben vom 24.08.2015:

„Die besondere Dringlichkeit dürfte aufgrund der vorliegenden Informationen im Zusammenhang mit der Unterbringung von Flüchtlingen derzeit im Regelfall anzunehmen sein.“

Das BMWi gibt zum anderen an, dass im Zusammenhang mit der Unterbringung und Versorgung von Flüchtling in Einzelfällen auch die Voraussetzungen zur Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3 EG Abs. 5 Nr. 4 VOB/A bzw. § 3 EG Abs. 4 d) VOL/A erfüllt sein dürften. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs müssen drei kumulative Voraussetzungen für die Anwendung des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb erfüllt sein. Der Verzicht auf die EU-weite Bekanntmachung ist danach nur zulässig, wenn

(1.)      ein unvorhergesehenes Ereignis vorliegt,

(2.)      dringliche und zwingende Gründe bestehen

(3.)      und ein kausaler Zusammenhang besteht zwischen dem unvorhergesehenen Ereignis und der Unmöglichkeit, die Fristen einzuhalten.

Nach Ansicht des BMWi dürfen diese Voraussetzungen regelmäßig erfüllt sein. Insbesondere dürfen die öffentlichen Auftraggeber nicht vorausgesehen haben, dass sie kurzfristig wesentlich mehr Flüchtlinge aufnehmen und unterbringen müssen, als zu erwarten war: Während man zu Beginn des Jahres 2015 von 450.000 Flüchtlingen ausgegangen ist, werden nach der am 19.08.2015 veröffentlichten Flüchtlingsprognose des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge für das Jahr 2015 800.000 Flüchtlinge erwartet.

Das BMWi weist abschließend darauf hin, dass insbesondere im Zusammenhang mit der Versorgung einer noch nicht genau abzuschätzenden Zahl von Flüchtlingen mit Liefer- und Dienstleistungen auf das Instrument einer Rahmenvereinbarung zurückgegriffen werden kann.

Praxishinweis


Es ist ergänzend zum Rundschreiben des BMWi darauf hinzuweisen, dass ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb nach § 3 EG Abs. 5 Nr. 4 VOB/A bzw. § 3 EG Abs. 4 d) VOL/A nur dann möglich ist, wenn selbst die im beschleunigten nicht offenen Verfahren einzuhaltenden Fristen von 10 Tage für die Bewerbungsfrist und 10 Tagen für die Angebotsfrist nicht eingehalten werden können.

Unbeschadet dessen bleibt es den öffentlichen Auftraggebern unbenommen, ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb auch dann durchzuführen, wenn ein in den Vergabeverordnungen geregelter sonstiger Ausnahmefall zur Anwendung dieser Verfahrensart vorliegt.