Kronzeugenprogramm für kartellbeteiligte Unternehmen wird kodifiziert

 Christoph Richter

Christoph Richter

Das bisher in der sog. Bonusregelung geregelte Kronzeugenprogramm des Bundeskartellamtes, auf dessen Grundlage die Reduzierung oder sogar der Totalerlass eines ansonsten zu verhängenden Kartellbußgeldes möglich ist, soll im Rahmen der kommenden 10. GWB-Novelle gesetzlich verankert und konkretisiert werden.

Kronzeugenprogramm für kartellbeteiligte Unternehmen wird kodifiziert
Kronzeugenprogramm für kartellbeteiligte Unternehmen wird kodifiziert

19.02.2020 | Kartellrecht

Bisher kann das Bundeskartellamt („BKartA“) lediglich auf der Grundlage einer Verwaltungsrichtlinie, der sog. Bonusregelung (Bundeskartellamt, Bekanntmachung Nr. 9/2006 über den Erlass und die Reduktion von Geldbußen in Kartellsachen vom 7. März 2006), ein eigentlich zu verhängendes Kartellbußgeld reduzieren oder sogar vollständig erlassen, wenn ein kartellbeteiligtes Unternehmen freiwillig bei der Aufdeckung eines Kartellrechtsverstoßes mit der Kartellbehörde kooperiert hat. Diese Bonusregelung soll nunmehr als „Kronzeugenprogramm“ kodifiziert und punktuell konkretisiert werden.

Zu diesem Zweck soll der bisherige § 81 GWB, in dem bislang ein Großteil der bußgeldrechtlichen Vorschriften enthalten ist, aufgeteilt, dessen bisheriger Inhalt in mehrere Einzelvorschriften überführt und diese Vorschriften in Abschnitte aufgeteilt werden: Abschnitt 1 - Bußgeldvorschriften (§§ 81 bis 81g GWB-RefE), Abschnitt 2 - Kronzeugenprogramm (§§ 81h bis 81n GWB-RefE) und Abschnitt 3 – Bußgeldverfahren  (§§ 81o bis 86 GWB-RefE).

Anwendungsbereich

Das Kronzeugenprogramm soll (wie auch bisher) nur für horizontale Wettbewerbsbeschränkungen gelten. Allerdings kann das Bundeskartellamt im Rahmen der Bußgeldzumessung sowie in Ausnahmefällen auch im Rahmen des Ermessens auch in anderen Fallkonstellationen, bspw. bei vertikalen Wettbewerbsbeschränkungen, die freiwillige Zusammenarbeit eines Unternehmens mit dem Bundeskartellamt entsprechend berücksichtigen (vgl. § 81h Abs. 2 GWB-RefE).

Zum Kreis derjenigen, die das Kronzeugenprogramm in Anspruch nehmen können, zählen neben Unternehmen und Unternehmensvereinigungen auch natürliche Personen (vgl. § 81h Abs. 1 GWB-RefE). Ein Antrag auf Kronzeugenbehandlung, der für ein Unternehmen abgegeben wird, gilt, soweit nicht ausdrücklich etwas anderes erklärt wird, für alle juristischen Personen oder Personenvereinigungen, die im Zeitpunkt der Antragstellung das Unternehmen als wirtschaftliche Einheit bilden. Er gilt auch für deren derzeitige sowie frühere Mitglieder von Aufsichts- und Leitungsorganen und Mitarbeiter, d.h. Unternehmensangehörige sind grundsätzlich vom Schutzbereich eines Kronzeugenantrags erfasst (vgl. §81i Abs. 2 GWB-RefE).

Das Kronzeugenprogramm gilt indes ausschließlich für kartellbehördliche, nicht jedoch für gerichtliche Verfahren. Es bietet auch (weiterhin) keinen Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung, falls es sich bei dem wettbewerbsbeschränkenden Verhalten um eine Absprache in Bezug auf Ausschreibungen („Submissionsabsprache“) i. S. d. § 298 StGB handelt.

Allgemeine Voraussetzungen für die Behandlung als Kronzeuge

Um mit Hilfe des Kronzeugenprogramms einen Erlass oder zumindest eine Reduzierung des Kartellbußgeldes erreichen zu können, muss ein Antragsteller mindestens die nachfolgend genannten Voraussetzungen erfüllen (vgl. § 81j GWB-RefE):

In dem Zeitraum vor Antragstellung, in dem ein Unternehmen die Stellung eines Kronzeugenantrags erwogen hat, dürfen (ebenfalls) keine Informationen oder Beweise vernichtet, verfälscht und/oder unterdrückt und weder die Absicht der Stellung des Kronzeugenantrags, noch dessen vorgesehener Inhalt offengelegt worden sein.

Vollständiger Erlass der Geldbuße nur auf Rang 1 möglich

Erfüllt ein Antragsteller die vorstehend genannten Voraussetzungen, wird die Kartellbehörde von der Verhängung eines Bußgeldes vollständig absehen, wenn das Unternehmen als erstes Beweismittel vorlegt, die die Kartellbehörde (zu dem Zeitpunkt, zu dem sie den Antrag erhält) erstmals in die Lage versetzen, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken (vgl. § 81k Abs. 1 GWB-RefE).

Ein Totalerlass kommt auch dann in Betracht, wenn die Kartellbehörde bereits in der Lage ist, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, sofern (i) der Antragsteller in diesem Fall als erster Beweismittel vorlegt, die erstmals den Nachweis der Tat ermöglichen und (ii) kein Kartellbeteiligter bereits die Voraussetzungen für einen Totalerlass nach § 81k Abs. 1 GWB-RefE erfüllt hat (vgl. § 81k Abs. 2 GWB-RefE).

Während ausweislich Rn. 3 und 4 der Bonusregelung ein Totalerlass des Bußgeldes nicht in Betracht kommt, wenn der Antragsteller alleiniger Anführer des Kartells war oder andere zur Teilnahme an dem Kartell gezwungen hat, soll künftig ein Ausschlussgrund nur noch bei Zwang vorliegen (vgl. § 81k Abs. 3 GWB-RefE).

Reduzierung der Geldbuße setzt „Mehrwert“ voraus

Ein Unternehmen, dass mit seinem Kronzeugenantrag nicht Rang 1 belegt, kann eine erhebliche Reduzierung des Kartellbußgeldes erreichen, sofern (i) die allgemeinen Voraussetzungen (s.o.) erfüllt werden und (ii) das Unternehmen Beweismittel für das Kartell vorlegt, die im Hinblick auf den Nachweis der Tat gegenüber den Informationen und Beweismitteln, die der Kartellbehörde bereits vorliegen, einen erheblichen „Mehrwert“ aufweisen (vgl. § 81l Abs. 1 GWB-RefE). Ein solcher Mehrwert kann darin liegen, dass die Informationen und Beweismittel bestehende Zusammenhänge verdeutlichen oder den Nachweis bereits bekannter Tatsachen bestärken.

Im Gegensatz zur bisherigen Bonusregelung enthält das Kronzeugenprogramm keine konkreten Angaben zum möglichen Umfang einer Reduzierung. Ausweislich des Referentenentwurfs richtet sich der Umfang der Ermäßigung insbesondere nach dem Nutzen der Beweismittel sowie nach dem Zeitpunkt der Anträge auf Kronzeugenbehandlung (vgl. § 81l Abs. 2 GWB-RefE). Insofern ist derzeit noch offen, ob künftig eine Reduktion des Bußgeldes um bis zu 50% möglich sein wird, wie es bisher der Fall ist (vgl. Rn. 5 der Bonusregelung).

Partielle Immunität

Erstmals gesetzlich verankert wird eine partielle Immunität für den Fall, dass ein Unternehmen als erster Antragsteller stichhaltige Beweise übermittelt, die die Kartellbehörde zur Feststellung zusätzlicher Tatsachen heranzieht und zur Festsetzung höherer Geldbußen gegenüber anderen Kartellbeteiligten verwendet; in diesem Fall werden diese Tatsachen bei der Festsetzung der Geldbuße gegen den Antragsteller, der diese Beweise vorgelegt oder im Falle eines Antrags zu seinen Gunsten umfassend daran mitgewirkt hat, nicht erschwerend bei der Bußgeldzumessung berücksichtigt (vgl. § 81l Abs. 3 GWB-RefE).

„Marker“ zur Rangsicherung

Um sich einen Rang (in der Reihenfolge des Eingangs der Anträge auf Kronzeugenbehandlung) zu sichern, muss nicht zwingend unmittelbar ein vollständiger Kronzeugenantrag eingereicht werden. Vielmehr kann hierzu zunächst ein „Marker“ gesetzt, d.h. die Bereitschaft des Unternehmens zur Zusammenarbeit mit dem BKartA erklärt werden (vgl. § 81m GWB-RefE). Das BKartA wird in diesem Fall eine Frist setzen, innerhalb derer das Unternehmen dann ein vollständiger Kronzeugenantrag einzureichen ist. Für den Rang des vollständigen Antrags ist dann der Zeitpunkt des Markers maßgeblich, sofern der Antragsteller alle ihm obliegenden Pflichten fortwährend erfüllt.

Während in der Bonusregelung (vgl. dort Rn. 16) vorgesehen ist, dass in dem Fall, dass ein vorrangiger Kronzeuge insbesondere auf Grund einer Verletzung der Kooperationspflichten seinen Rang verliert, die nachrangigen Antragsteller im Rang aufrücken, fehlt eine entsprechende Regelung im Referentenentwurf.

Einreichung auf Deutsch und Englisch sowie in anderen EU-Amtssprachen möglich

Kronzeugenanträge können im Übrigen ausweislich des Referentenentwurfs nicht nur in deutscher, sondern alternativ auch in englischer Sprache eingereicht werden. In Absprache mit der Kartellbehörde kann der Antrag sogar in einer anderen EU-Amtssprache gestellt werden. In letztgenanntem Fall kann die Kartellbehörde allerdings die unverzügliche Vorlage einer deutschen Übersetzung anfordern (vgl. §81i Abs. 3 GWB-RefE).

Fazit

Der Gesetzgeber reagiert mit der Kodifizierung des Kronzeugenprogramms auf die zuletzt rückläufige Anzahl von Bonusanträgen. Die gesetzliche Verankerung schafft mehr Rechtssicherheit für kartellbeteiligte Unternehmen und ist insoweit grundsätzlich zu begrüßen.

Es wäre indes wünschenswert, wenn das Kronzeugenprogramm auch Schutz vor strafrechtlicher Verfolgung bieten würde, um ein Auseinanderfallen von kartell- und strafbehördlichem Verfahren zu verhindern und kartellbeteiligten Unternehmen auch in dieser Hinsicht die Inanspruchnahme des Kronzeugenprogramms zu erleichtern. Überdies sollten der Umfang einer möglichen Bußgeldreduzierung und die Regelungen zur Rangwahrung nachgeschärft werden.

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