09.09.2024 | Kartellrecht
Entscheidungen nach § 19a Abs. 1 GWB, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung feststellen, ergingen seit 2021 bereits gegen Alphabet/Google, Apple und Meta/Facebook. Ein entsprechendes Verfahren gegen Microsoft läuft Stand Juli 2024 noch. Der Beschluss des BGH in der Sache Amazon ist die erste gerichtliche Überprüfung einer Feststellungsentscheidung nach § 19a Abs. 1 GWB und liefert der Kartellrechtspraxis erste Erkenntnisse zum gerichtlichen Umgang mit diesen Fällen.
§ 19a GWB wurde durch die 10. GWB-Novelle 2021 eingeführt und zielt auf Unternehmen, die nicht nur häufig eine beherrschende Stellung auf einzelnen Plattform- und Netzwerkmärkten haben, sondern zudem in der Lage sind, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen und die eigene Geschäftstätigkeit in immer neue Märkte und Sektoren auszuweiten (vgl. BT-Drucks. 19/23492, S. 73). Das Bundeskartellamt kann dementsprechend eine Entscheidung erlassen, mit der ein Unternehmen als Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb (teilweise als „UmüB“ bezeichnet) benannt wird. Die Feststellung ist von Gesetzes wegen auf fünf Jahre beschränkt und die zugehörige Entscheidung bleibt auch während einer gerichtlichen Überprüfung vorläufig vollstreckbar.
Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb ermöglicht es dem Bundeskartellamt, dem benannten Unternehmen anschließend per Verfügung bestimmte wettbewerbliche Verhaltenspflichten gemäß § 19a Abs. 2 GWB aufzuerlegen. Hierzu zählen - neben vielen weiteren - das Verbot der Selbstbevorzugung eigener Dienste, das Verbot von Behinderungsmaßnahmen, die das eigene digitale Ökosystem schützen, etwa durch Einschränkungen der Interoperabilität von Produkten und Diensten. Betreffend Amazon hat das Bundeskartellamt bereits laufende Verfahren wegen möglicher Einflussnahme auf die Preise der Marktplatzhändler durch Algorithmen und möglicher Benachteiligungen von Marktplatzhändlern bei der Zulassung zum Verkauf von Markenprodukten, z. B. durch Vereinbarungen zwischen Amazon und (Marken-)Herstellern, die einen Ausschluss von Dritthändlern vorsehen (sog. Brandgating), auch auf § 19a GWB erstreckt.
Verstößt ein UmüB gegen die Pflichten, die ihm nach § 19a Abs. 2 GWB auferlegt wurden, ist dies ein bußgeldbewehrter Kartellrechtsverstoß, der auch Anknüpfungspunkt für Kartellschadensersatzansprüche geschädigter Marktteilnehmer sein kann.
Daneben ergeben sich aus einer Entscheidung nach § 19a GWB zahlreiche Anknüpfungspunkte für die Begründung (auch) einer marktbeherrschenden Stellung gegenüber einem Digitalkonzern, was in einem nicht auf § 19a Abs. 2 GWB gestützten zivilprozessualen Verfahren, gerichtet auf Schadensersatz, Unterlassung oder Beseitigung, relevant werden kann.
Zusätzlich wendet die Europäische Kommission den Digital Markets Act (VO 2022/1925) auf zentrale Plattformdienste an, eine europäische Digitalregulierung, die eine ähnliche Zielsetzung verfolgt. Auch dort ist ein zweistufiges Verfahren vorgesehen und ein nahezu identischer Kreis von Digitalkonzernen betroffen. Die Europäische Kommission hat Amazon und andere Unternehmen bereits als Torwächter (gatekeeper) benannt, so dass nun besondere Verbote und Rücksichtnahmepflichten für den betreffenden „zentralen Plattformdienst“ gelten. Erfasst sind z. B. Amazon Marketplace und Amazon Advertising, aber auch der Messenger-Dienst WhatsApp und das soziale Netzwerk TikTok und viele andere Plattformdienste der großen Digitalkonzerne.
Für Verstöße der Torwächter gegen den DMA und seinen Pflichtenkatalog können geschädigte Marktteilnehmer nach deutschem Kartellrecht Schadensersatz, Unterlassung und Beseitigung verlangen. Diese Möglichkeit wurde durch die 11. GWB-Novelle 2023 ausdrücklich in das GWB aufgenommen.
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