Nach einer Entscheidung der Vergabekammer Nordbayern (VK Nordbayern, Beschluss vom 09.02.2012 – 21.VK-3194-43/11) besteht für den Auftraggeber keine Nachforderungspflicht hinsichtlich fehlender Erklärungen oder Nachweise. Die Nachforderung steht nach dem klaren Wortlaut des § 19 EG Abs. 2 Satz 1 VOL/A vielmehr im Ermessen des Auftraggebers.
Gegenstand der Entscheidung war ein Nachprüfungsverfahren betreffend die Ausschreibung einer Rahmenvereinbarung für die Durchführung von Postdienstleistungen im offenen Verfahren. Der öffentliche Auftraggeber hatte in den Vergabeunterlagen zur Bewertung der Qualität der angebotenen Leistung Angaben zu Postsendungslaufzeiten - nachgewiesen durch Postsendungslaufzeitenmessungen einer unabhängigen und professionellen Prüfstelle - gefordert und insoweit konkretere weitere Bedingungen festgelegt. Das Angebot des Antragstellers wurde von der Wertung ausgeschlossen, da die von diesem vorgelegten Postsendungslaufzeitmessungen nicht den Vorgaben der Leistungsbeschreibung entsprochen haben. Nachdem der Auftraggeber seiner Rüge nicht abhalf, leitete der Bieter ein Nachprüfungsverfahren ein. Unter anderem trägt er vor, der Auftraggeber hätte die vermeintlich fehlenden Nachweise nachfordern müssen.
Die Vergabekammer weist den Nachprüfungsantrag zurück. Sie stellt fest, dass der Auftraggeber nicht verpflichtet sei, fehlende Erklärungen oder Nachweise nachzufordern und verweist insoweit auf den Wortlaut des § 19 EG Abs. 2 Satz 1 VOL/A („können … nachgefordert werden“), der dem Auftraggeber insoweit ein Ermessen einräumt. Eine Nachforderungspflicht kann nach Auffassung der Vergabekammer auch nicht aus dem Umstand hergeleitet werden, dass § 16 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A für Bauaufträge eine zwingende Nachforderungspflicht vorsieht. Der Auftraggeber habe sich somit ermessensfehlerfrei entschieden, vom Antragsteller keine weiteren, den Vorgaben der Vergabeunterlagen entsprechenden Messungen nachzufordern. Es liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, da der Auftraggeber auch von anderen Bietern keine Unterlagen nachgefordert hat.
Zwar sieht die VOL/A in § 19 EG Abs. 2 Satz 1 für den Auftraggeber die Möglichkeit vor, fehlende Erklärungen und Nachweise nachzufordern. Sie räumt ihm insoweit jedoch ein Ermessen ein, von welchem dieser auch aktiv Gebrauch machen muss. Dies setzt voraus, dass der Auftraggeber entsprechende Abwägungen anstellt und auf deren Grundlage eine Entscheidung trifft, die von den grundlegenden Prinzipien des Vergaberechts getragen ist. Hierbei müssen alle Bieter gleich behandelt werden. Entschließt sich der Auftraggeber mithin zu einer Nachforderung, so muss er diese Möglichkeit allen Bietern in gleicher Weise einräumen. Im Hinblick auf eine gegebenenfalls anstehende Überprüfung der Ermessensentscheidung durch die vergaberechtlichen Nachprüfungsinstanzen sind schließlich die dieser zu Grunde liegenden Erwägungen umfassend im Vergabevermerk zu dokumentieren.