Großkanzlei, Mittelstand oder Selbstständigkeit - Welcher Kanzleityp passt zu mir?
erschienen in e-fellows.net / wissen, S. 63-66
Großkanzlei, Mittelstand oder Selbstständigkeit - Welcher Kanzleityp passt zu mir?
Perspektiven für Juristen
"Anwalt des Jahres 2020" und einer der besten Rechtsanwälte im Bereich Konfliktlösung in Deutschland.
Die Wegekostenrichtlinie (Richtlinie 199/62/EG, in der geänderten Fassung der Richtlinie 2006/38/EG) verbietet, so der EuGH in seiner Entscheidung, dass Mitgliedsstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie in die Mautgebühren Kosten einberechnen, die nicht Infrastrukturkosten im Sinne der Richtlinie sind. Die Bundesrepublik Deutschland hatte auch Kosten für die Verkehrspolizei in die Maut einkalkuliert und als Kosten für den Betrieb des Verkehrswegenetzes über die LKW-Maut mit erhoben. Der EuGH stellte fest, dass dies nicht nur ein unerheblicher Rechnungsfehler sei, da im Durchschnitt ca. 3,8% bis 6% der von der Bundesrepublik Deutschland erhobenen Mautgebühren auf die Kosten der Verkehrspolizei entfielen.
Der EuGH hat darüber hinaus festgestellt, dass sich jedes Unternehmen, das Maut bezahlt hat, vor den nationalen Gerichten gegenüber einem Mitgliedsstaat, und damit auch gegenüber der Bundesrepublik Deutschland, unmittelbar auf die Vorgaben der Richtlinie, insbesondere Art. 7 Abs. 9 (bzw. Art. 7a Abs. 1 und 2 der Richtlinie) berufen kann. Das bedeutet, dass alle Unternehmen, die LKW-Maut an die Bundesrepublik Deutschland bezahlt haben, die überhöhten Mautzahlungen vom Bundesamt für Güterverkehr zurückfordern können.
Hintergrund der Entscheidung
Hintergrund der Entscheidung des EuGH war ein Vorabentscheidungsersuchen des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG Münster) betreffend die Auslegen von Art. 7 Abs. 9 (Art. 7a Abs. 1 und 2) der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (Wegekostenrichtlinie). Zuvor hatte eine in Polen ansässige Spedition vor dem Verwaltungsgericht Köln gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage auf Rückzahlung von Mautgebühren erhoben.
Der EuGH hat wörtlich festgestellt, dass die „polizeilichen Tätigkeiten in die Verantwortung des Staates [fallen], der dabei hoheitliche Befugnisse ausübt und nicht lediglich als Betreiber der Straßeninfrastruktur handelt“. Der EuGH hat weiter festgestellt, dass die Kosten der Verkehrspolizei daher nicht als Kosten für den Betrieb im Sinne von Art. 7 Abs. 9 der Wegekostenrichtlinie angesehen werden können (EuGH, C-321/19 Rd. 26f.).
Da der EuGH in dem Vorabentscheidungsverfahren feststellte, dass die LKW-Maut von der Bundesrepublik Deutschland falsch berechnet wurde, ist damit zu rechnen, dass das OVG Münster das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln sowie die Bescheide des Bundesamts für Güterverkehr abändert und dieses zur Rückzahlung der zu Unrecht bezahlten Mautbeträge verurteilt bzw. eine entsprechende Verpflichtung des Bundesamts für Güterverkehr ausspricht. Das Urteil des OVG Münster steht indessen noch aus.
Bedeutung für die Praxis
Die Entscheidung des EuGH ist äußerst weitreichend. Es hat Präjudizwirkung für alle Unternehmen, die LKW-Maut auf deutschen Autobahnen und Bundesstraßen bezahlt haben, was insbesondere Logistikunternehmen, Speditionen oder Bauunternehmen betrifft. Diese können zu viel bezahlte Maut zurückfordern. Der Rückerstattungsanspruch ist ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch, der gemäß § 4 Abs. 2 Bundesfernstraßenmautgesetz (BFStrMG) zunächst schriftlich an das Bundesamt für Güterverkehr zu richten ist.
Die konkrete Höhe des Rückerstattungsanspruchs muss im Rahmen der Antragstellung beim Bundesamt für Güterverkehr derzeit nicht angegeben werden. Grund dafür ist, dass die konkrete Berechnung äußerst komplex und teilweise auch noch nicht geklärt ist.
Im Rahmen des Antrags gegenüber dem Bundesamt für Güterverkehr ist auf die EuGH-Entscheidung Bezug zu nehmen. Zudem müssen Antragszeitraum, Firmendaten, Benutzernummer von Toll Collect sowie Kontaktdaten (E-Mail-Adresse des Anspruchstellers) beigefügt werden. Als Beleg genügen zunächst die monatlichen oder jährlichen Mautaufstellungen von Toll Collect, einem EETS Provider (d.h. einem Servicedienstleister Europäischer Elektronischer Mautdienst) oder ggf. einem sonstigen Abrechnungsunternehmen.
Verjährungsproblematik
Soweit die Rückzahlungsansprüche auf das BFStrMG gestützt werden und damit als öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch erhoben werden, droht für Rückerstattungsansprüche aus dem Jahr 2017 gemäß § 21 Abs. 2 Bundesgebührengesetzes (BGebG) mit Ablauf des 31. Dezember 2020 die Verjährung.
Ob der Antrag auf Mautrückerstattung beim Bundesamt für Güterverkehr die Verjährung hemmt, ist bislang durch Gerichte nicht entschieden worden. Allerdings spricht alles dafür, dass der Antrag auf Rückerstattung überbezahlter Maut beim Bundesamt für Güterverkehr die Verjährung hemmt, da der Wortlaut des § 21 Abs. 2 BGebG lediglich eine Geltendmachung verlangt („geltend gemacht wird“). Zudem ist weder aus der verwaltungsgerichtlichen Praxis noch aus dem Gesetz ersichtlich, dass für die Geltendmachung im Sinne von § 21 Abs. 2 BGebG die Erhebung einer Leistungs- oder Feststellungsklage erforderlich ist, wie es beispielsweise § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB für die zivilrechtliche Verjährungshemmung vorsieht.
Ansprechpartner für Fragen rund um die Rückerstattung von LKW-Maut:
Das Buch „Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona“ ist eine Art erste Hilfe-Leitfaden für Unternehmer, Selbstständige und öffentliche Auftraggeber. Es gibt einen schnellen und hilfreichen Überblick zu Leistungsstörungen, Informationspflichten, Schadensersatzansprüchen, drohender Insolvenz von Vertragspartnern und versicherungsrechtlichen Aspekten. Tobias Fülbeck vom C.H.Beck Verlag im Interview mit den Autoren Dr. Benjamin Baisch, Dr. Marius Mann und Ute Schenn.
Was haben Sie in der Corona-Krise neu über das Vertrags- und Vertriebsrecht gelernt?
Mann: Wir haben gelernt, dass es von diesem Grundsatz in der derzeitigen Situation vielfache Ausnahmen gibt. Wir haben in der Praxis häufig mit Schadensersatz, Kündigung oder Rücktritt zu tun. Andere Rechtsinstitute, wie etwa die Unmöglichkeit der Leistung und der Wegfall der Geschäftsrundlage, begegneten uns hingegen bislang eher selten. Durch die Corona-Krise erleben diese Rechtsinstitute nun eine Renaissance.
Veranstaltungsverbote, unterbrochene Lieferketten, Betriebsschließungen: Welche vertragsrechtlichen Probleme bereiten Ihren Mandaten im Moment die größten Sorgen?
Baisch: Das ist natürlich branchenabhängig. Unsere Mandanten, die Dienstleister in der Veranstaltungsbranche sind, interessiert vor allem, ob deren Kunden gebuchte Veranstaltungen stornieren können und inwieweit unsere Mandanten "Stornokosten" verlangen können. Ganz allgemein kann man sagen, dass bei unseren Mandanten große Unsicherheit herrscht. Insbesondere was den Abschluss neuer Verträge betrifft, werden wir um rechtlichen Rat gefragt. Aber auch Vertragskündigungen beschäftigen die Mandanten oder die Frage, welche vertraglichen Pflichten noch bestehen, ob vertraglich vereinbarte Leistungen noch erbracht werden müssen oder ob Leistungen, die nicht erbracht werden, bezahlt werden müssen.
Mann: Daran anknüpfend stellt sich häufig auch die Frage, wie die kommerziellen Lasten verteilt werden. Das bedeutet, dass sich an die vertragsrechtlichen Fragen, versicherungsrechtliche und insolvenzrechtliche Fragestellungen anschließen.
Kann man bei Corona-bedingten Leistungshindernissen grundsätzlich von einem Vorliegen höherer Gewalt ausgehen?
Schenn: Nein, so pauschal lässt sich das nicht sagen. Hier spielt vor allem der Faktor Zeit eine entscheidende Rolle.
Inwiefern?
Schenn: Unter höherer Gewalt wird ein Ereignis verstanden, das von außen auf den Betrieb einwirkt, unvorhersehbar, außergewöhnlich selten und unvermeidbar ist. Für die Frage, ob das Ereignis unvorhersehbar, außergewöhnlich selten und unvermeidbar war, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses und darauf abzustellen, ob COVID-19 und die damit einhergehenden Beschränkungen noch unvorhersehbar waren.
Waren sie unvorhersehbar?
Schenn: Vielfach werden diese Voraussetzungen im Zusammenhang mit COVID-19 gegeben sein. Haben die Parteien aber nach Ausbreitung des Virus – etwa im Mai 2020 – einen Vertrag geschlossen, werden COVID-19 bedingte Leistungshindernisse für die Parteien schon eher vorhersehbar. Daher wird für Verträge, die nach Ausbruch und Verbreitung des COVID-19-Virus abgeschlossen wurden, ein Fall höherer Gewalt häufiger ausscheiden.
Mann: Letztlich ist die Vorhersehbarkeit des Leistungshindernisses aber immer in Bezug auf die konkrete Leistungspflicht und den konkreten Einzelfall zu prüfen, da die Corona-bedingten Folgen und die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen sehr volatil sind. Auch wenn COVID-19 nun ein bekanntes Phänomen ist, wäre nicht ausgeschlossen, dass ein erneuter Lockdown überraschend und unvorhersehbar und damit ein Fall höherer Gewalt ist.
Die Pandemie wird uns noch länger beschäftigen. Daher besteht beim Abschluss neuer Verträge ein Bedürfnis für die Vertragsparteien, sich gegen Risiken bei Leistungsstörungen so gut wie möglich abzusichern. Was ist also beim Abschluss neuer Verträge zu beachten?
Baisch: Hier wird man zunächst an die Vereinbarung einer Regelung zur höheren Gewalt denken. Dabei ist aber zu beachten, dass in den meisten Fällen die COVID-19-bedingten Leistungshindernisse nicht mehr unvorhersehbar sind. Wir empfehlen trotzdem COVID-19 ausdrücklich als Fall höherer Gewalt zu definieren, insbesondere um das COVID-19-bedingte Leistungsstörungsrisiko gerecht zu verteilen.
Was ist noch wichtig?
Baisch: Aus rechtlicher Sicht ist es ebenfalls empfehlenswert, bei Vertragsschluss über mögliche künftige Lieferverzögerungen zu sprechen. Jedenfalls sollte der Schuldner bei der Vereinbarung von Lieferfristen darauf achten, dass die Fristen nicht zu kurz bemessen sind. Bei der Verwendung von AGB ist zu beachten, dass die Lieferfristen auch nicht unangemessen lang oder unbestimmt sein dürfen, weil sie sonst unwirksam sein können.
Mann: Für Händler und Lieferanten ist zu empfehlen, dass sie in ihre Neuverträge einen Selbstbelieferungsvorbehalt aufnehmen. Ein Selbstlieferungsvorbehalt regelt, dass die Lieferung vorbehaltlich der rechtzeitigen Selbstbelieferung erfolgt. Solche Klauseln sind im unternehmerischen Rechtsverkehr handelsüblich und daher auch in AGB wirksam. Die Klausel schützt den Händler, der ein Deckungsgeschäft mit seinem Lieferanten geschlossen hat, davor, an seine Kunden liefern zu müssen, obwohl der Händler selbst noch nicht von seinem Zulieferanten beliefert wurde.
Schenn: Auch an die Vereinbarung von Sonderkündigungsrechten kann gedacht werden. Individualvertraglich – also nicht in AGB – können die Parteien auch außerhalb der gesetzlichen Regelungen zur außerordentlichen Kündigung ein Sonderkündigungsrecht für Fälle von COVID-19 bedingten Leistungsstörungen vereinbaren. Falls die Vertragsparteien das Sonderkündigungsrecht durch AGB – also formularmäßig – vereinbaren, muss die Klausel der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle standhalten. Voraussetzung einer wirksamen formularmäßigen Vereinbarung eines Sonderkündigungsrechts ist, dass das Sonderkündigungsrecht für einen sachlich gerechtfertigten Grund vereinbart wird. Darüber hinaus muss dieser Grund hinreichend bestimmt in der Vereinbarung statuiert sein.
Der Coronavirus und die mit ihm einhergehenden – zum Teil behördlich angeordneten – Vorsichtsmaßnahmen führen bekanntermaßen nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung des öffentlichen Lebens, sondern haben große wirtschaftliche Auswirkungen. Trotz mittlerweile ein- und durchgeführter Grenzkontrollen und Grenzschließungen ist zumindest der freie Warenverkehr – jedenfalls in Europa – weiterhin gesichert. Jedoch können insbesondere Betriebsschließungen und Betriebsstörungen, krankheits- und quarantänebedingter Personalmangel, Einreiseverbote, Veranstaltungsabsagen und die Schließung öffentlicher Einrichtungen für erhebliche Störungen in der Liefer- und Beschaffungskette sorgen. Industrie- und Handelsverbände rechnen mit Lieferengpässen und steigenden Fertigungskosten. Die drängendsten Fragen beantworten wir nachstehend.
Welche Auswirkungen hat eine behördlich veranlasste Betriebsschließung auf bestehende Lieferpflichten?
Im Extremfall kann es aufgrund des Coronavirus zu vorübergehenden Betriebsschließungen durch behördliche Verfügung kommen. Ist das der Fall, so stellt dies für den betroffenen Lieferanten einen Fall der höheren Gewalt („force majeure“) dar. Unter höherer Gewalt versteht man weithin ein von außen auf den Betrieb einwirkendes Ereignis, das auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden konnte (BGH X ZR 142/15, NJW 2017, 2677).
Folge einer solchen vorübergehenden Betriebsschließung ist, dass der Lieferant von seiner Lieferpflicht befreit ist, solange die behördliche Betriebsschließung dauert. Ob der Lieferant nach Aufhebung der Betriebsschließung die unterbliebene Lieferung nachholen muss, hängt davon ab, ob die Parteien den vereinbarten Lieferzeitpunkt als so wesentlich angesehen haben, dass eine verspätete Lieferung nicht mehr den Vertragszweck erfüllt (sog. absolute Fixschuld). War Letzteres der Fall, wird der Lieferant endgültig von seiner Lieferpflicht frei und muss die Lieferung auch nach Aufhebung der Betriebsschließung nicht nachholen (§ 275 Abs. 1 BGB).
Bei Dauerlieferpflichten (etwa bei Rahmenlieferverträgen) ist der Lieferant von seiner Lieferpflicht jedenfalls befreit, solange die behördliche Betriebsschließung andauert. Die während der Betriebsschließung unterbliebenen Lieferungen muss er in der Regel nicht nachholen; die erst nach der Aufhebung der Betriebsschließung fällig werdenden Lieferpflichten muss der Lieferant erfüllen, sofern der Rahmenliefervertrag zuvor nicht durch Kündigung beendet wurde.
Braucht der Lieferant wegen Unmöglichkeit endgültig nicht zu liefern, verliert er allerdings grundsätzlich auch seinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kauf- bzw. Lieferpreises. Hat der Auftraggeber – etwa aufgrund einer Vorauszahlung – bereits gezahlt, steht ihm ein Rückforderungsrecht zu (§ 326 Abs. 4 BGB). Diese Rechtsfolge lässt sich auch nicht durch eine für den Lieferanten günstige Regelung in den AGB abbedingen, da es sich um wesentliche Grundgedanken der Rechtsgeschäftslehre handelt. Eine entsprechende Gestaltung in Musterverträgen oder AGB wäre unwirksam.
Wird der Lieferant in einer Lieferkette automatisch von seiner Lieferpflicht frei, wenn der Zulieferer ihn nicht beliefert?
Nein, hier ist Vorsicht geboten, da ein solcher Automatismus gerade nicht besteht. Vielmehr muss sich der Lieferant darum bemühen, die entsprechenden Teile anderweitig – ggf. auch unter Inkaufnahme zumutbarer finanzieller Mehraufwendungen – von einem Wettbewerber des Lieferanten oder einem sonstigen Alternativlieferanten zu beschaffen. Erst wenn diese Neubeschaffung für den Lieferanten mit (grob) unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist, wird der Lieferant ggf. von seiner Lieferpflicht frei oder kann ggf. eine Anpassung des Kauf- oder Lieferpreises verlangen (§§ 313, 275 Abs. 2 BGB). Dies hängt vom Einzelfall ab und bedarf anwaltlicher Prüfung.
Wie ist die Rechtslage unter Geltung des CISG zu beurteilen?
Wenn in einem internationalen Liefervertrag die Geltung der United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde, findet neben dem anwendbaren nationalen Recht auch die United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG oder auch UN-Kaufrecht) auf den Liefervertrag Anwendung. Art. 79 CISG befasst sich mit Hinderungsgründen außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners. Dazu zählen auch Fälle der höheren Gewalt. Anders als nach dem BGB ist die Folge höherer Gewalt jedoch nicht ein Freiwerden von der Leistungspflicht, sondern es besteht lediglich während der Zeit des Hinderungsgrundes keine Einstandspflicht für die Nichterfüllung. Das bedeutet, dass der Lieferant seinem Auftraggeber keinen Schadensersatz leisten muss, wenn er während der behördlich angeordneten Betriebsschließung nicht liefert.
Voraussetzung ist jedoch auch hier eine Unvermeidbarkeit des Leistungshindernisses. Der Lieferschuldner muss bis zur Zumutbarkeitsgrenze alternative Erfüllungsmöglichkeiten suchen und wahrnehmen und dabei auch (erhebliche) zusätzliche Aufwendungen und Kosten in Kauf nehmen. Wo die Zumutbarkeitsgrenze verläuft, ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.
Was ist zu beachten, wenn der Liefervertrag eine Force Majeure-Klausel enthält?
In Lieferverträgen ist häufig geregelt, dass in Fällen höherer Gewalt die Leistungspflichten beider Parteien suspendiert sind, solange die höhere Gewalt andauert. Die meisten Force Majeure-Klauseln enthalten nur eine Klarstellung der ohnehin geltenden und oben dargestellten Gesetzeslage.
Soweit diese Klauseln die Gesetzeslage lediglich klarstellen, gilt das bereits Ausgeführte. Soweit die Klauseln ergänzende Regelungen enthalten, muss im Einzelfall geprüft werden, ob diese Ergänzungen wirksam sind und welche Abweichungen sich daraus ergeben.
Befinden sich Lieferanten in Verzug, die ihren Betrieb schließen oder wegen Personalmangels nicht lieferfähig sind?
Unter Verzug versteht man die schuldhafte Nichtleistung des Lieferanten trotz Fälligkeit und Mahnung, wobei die Mahnung im Einzelfall entbehrlich sein kann. Verzug setzt die Möglichkeit einer Lieferung voraus und ist daher nur außerhalb von Fällen der Unmöglichkeit denkbar.
In Lieferbeziehungen wird oftmals ein konkreter Liefertermin vereinbart. Hält der Lieferant einen vereinbarten Liefertermin nicht ein, gerät er grundsätzlich in Verzug. Allerdings muss der säumige Lieferant die Verzögerung verschuldet haben, das bedeutet, die Lieferverzögerung muss auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Lieferanten beruhen. Sofern ein Betrieb aufgrund einer behördlichen Verfügung geschlossen wird, dürfte ein solches Verschulden in der Regel fehlen. Gerade in Fällen der Betriebsschließung aufgrund einer Empfehlung ist dies allerdings nicht so eindeutig. Daher wird eine Prüfung im Einzelfall erforderlich sein, um festzustellen, ob der Lieferschuldner mit Verzugsfolgen zu rechnen hat.
Auch beim Ausfall von Personal ist nicht automatisch von einer Lieferbefreiung wegen Unmöglichkeit auszugehen. Der betroffene Lieferant muss sich grundsätzlich um entsprechende Aushilfskräfte oder Leiharbeiter bemühen, ggf. auch unter Inkaufnahme von finanziellem Mehraufwand. Zudem kann vom Lieferanten auch eine innerbetriebliche Umstrukturierung verlangt werden, um Lieferengpässe und Lieferausfälle zu vermeiden. Unternimmt der Lieferant in diese Richtung keine Bemühungen, besteht die Gefahr, dass er in Lieferverzug gerät.
Macht sich ein Lieferant, der nicht leisten kann, schadensersatzpflichtig?
Schadensersatz setzt voraus, dass den Lieferanten, der nicht leisten kann, ein Verschulden trifft. Unter Verschulden versteht man Vorsatz und Fahrlässigkeit. In Fällen der höheren Gewalt – z. B. behördliche Betriebsschließungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie – ist ein Verschulden ausgeschlossen. Eine Schadensersatzpflicht im Zusammenhang mit dem Coronavirus kommt daher nur in Betracht, wenn das Leistungshindernis auf einen Umstand aus der Risikosphäre des Lieferschuldners zurückzuführen ist. Was hierunter fällt, bedarf ebenfalls einer Einzelfallprüfung. Eine Schadensersatzpflicht des Lieferanten ist daher z. B. denkbar, wenn er rein vorsorglich, ohne behördliche Anordnung seinen Betrieb schließt oder es unterlässt, sich um geeignete und verfügbare Aushilfskräfte oder Leihmitarbeiter zu bemühen oder er ggf. auf der Hand liegenden Informationspflichten ggü. dem Kunden nicht nachkommt.
Was ist zu beachten, wenn neue Verträge abgeschlossen werden?
Hier kommt es entscheidend auf den Wissensstand um die eigenen Liefermöglichkeiten an. Weiß der Lieferant bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der Unmöglichkeit seiner Leistung, ist der Vertrag zwar wirksam, doch drohen ihm dann Schadensersatzansprüche des Vertragspartners (§ 311a BGB). Bestehen bei Vertragsschluss hingegen noch keine Liefereinschränkungen, ist es aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass es in Zukunft aufgrund der Corona-Problematik zu Lieferengpässen oder Lieferausfällen kommen kann, so empfiehlt es sich, die Thematik frühzeitig zu adressieren und durch entsprechende Regelungen im Vertrag aufzufangen. Dies kann z. B. durch entsprechende Hinweise im Angebot oder im Vertrag selbst erfolgen.
Bestehen Kündigung- oder Rücktrittsrechte für Lieferant oder Auftraggeber?
Insoweit ist zwischen Rahmenverträgen und Einzelverträgen wie folgt zu unterscheiden:
- Einzelne Liefer- bzw. Kaufverträge
Bei Lieferverzögerungen kann ein Auftraggeber vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Lieferanten eine angemessene Frist zur Lieferung gesetzt und der Lieferant nicht innerhalb der gesetzten Frist geliefert hat. Wenn dem Lieferanten die Lieferung sogar unmöglich ist, kann der Auftraggeber ohne Fristsetzung, also sofort, vom Vertrag zurücktreten. Da der Auftraggeber in der Regel nicht wissen wird, ob dem Lieferanten die Lieferung unmöglich ist, wird er dem Lieferanten eine Frist zur Lieferung setzen, nach deren erfolglosem Ablauf er dann vom Vertrag zurücktreten kann.
Sofern der Lieferant schon einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung erbracht hat und lediglich die Restleistung wegen des Coronavirus noch nicht erbracht ist, kann der Auftraggeber unter den vorgenannten Voraussetzungen in jedem Fall von der noch nicht erbrachten Restleistung zurücktreten. Von der bereits erbrachten Teilleistung kann der Lieferant hingegen nur zurücktreten, wenn er an der erbrachten Teilleistung kein Interesse hat.
Führt die Corona-Problematik zu Störungen des Verhältnisses von Lieferung und Kaufpreis, so kann auch dem Lieferanten bei Unzumutbarkeit einer Vertragsanpassung, als grundsätzlich benachteiligter Vertragspartei, ein Rücktrittsrecht zustehen. Einzelheiten sind auch insoweit einzelfallabhängig zu beurteilen.
Darüber hinaus können die Parteien im Liefervertrag weitere Rücktrittsrechte vereinbart haben. Diese stehen den Parteien dann unter den im Liefervertrag geregelten Voraussetzungen zu.
- Rahmenlieferverträge
Rahmenlieferverträge sind Dauerschuldverträge. Wenn Dauerschuldverträge wegen höherer Gewalt längere Zeit nicht erfüllt werden können, steht grundsätzlich jeder Vertragspartei ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zu (§ 314 BGB). Allerdings ist die Kündigung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse dann ausgeschlossen, wenn sich die Störung durch Vertragsanpassung beseitigen lässt und beiden Parteien die Fortsetzung des Vertrags zuzumuten ist (Grüneberg, in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 314 Rn. 9). Es dürfte wohl vielfach eine Anpassung des Rahmenliefervertrags möglich und insbesondere in langjährigen Vertragsbeziehungen aufgrund der Besonderheit der Situation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus auch zumutbar sein, womit eine außerordentliche Kündigung häufig ausscheiden sollte. Dies ist jedoch vom Einzelfall abhängig und bedarf ebenfalls einer konkreten Prüfung unter Beachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.
In Rahmenlieferverträgen kann auch vereinbart sein, dass die Parteien nach einer bestimmten Dauer der höheren Gewalt (z.B. 4 Wochen) berechtigt sind, den Rahmenliefervertrag zu kündigen. Solche Regelungen können wirksam vereinbart werden. Falls ein solches Kündigungsrecht besteht, kann der Rahmenliefervertrag entsprechend der vertraglichen Regelung von jeder Partei gekündigt werden.
erschienen in e-fellows.net / wissen, S. 63-66
Großkanzlei, Mittelstand oder Selbstständigkeit - Welcher Kanzleityp passt zu mir?
Perspektiven für Juristen
erschienen in ZVertriebsR 2020, 211
Unmöglichkeit der Leistung in Zeiten von COVID-19: Praxisbeispiele und Rechtsfolgen von unüberwindbaren und überwindbaren Leistungshindernissen
Dieser Beitrag beschäftigt sich mit einem besonders praxisrelevanten Ausschnitt coronabedingter Leistungsstörungen, namentliche mit Fällen der Unmöglichkeit im Sinne von § 275 BGB und Fällen sonstiger Leistungsverzögerung, die an zahlreichen Beispielen illustriert werden.
Den Beitrag können Sie hier kostenlos herunterladen.
erschienen im C.H.Beck Verlag
Buch: Vertrieb von Waren und Dienstleistungen in Zeiten von Corona
Ein Rechtsleitfaden zu COVID-19-bedingten Vertragsstörungen
Erste Hilfe für die Lieferkette:
Herausgegeben von Dr. Marius Mann, MBA, M.Jur. (Oxford), Ute Schenn und Dr. Benjamin Baisch
ISBN 978-3-406-76059-4
Das Buch ist hier erhältlich.
erschienen in "Lexology, Getting the Deal Through – Commercial Contracts 2019, Germany" 08/2019
Den Artikel finden Sie hier.
erschienen in “Betriebs Berater” 38/2017 am 18.09.2017
Die wirksame Einbeziehung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) wirft auch und gerade im Geschäftsverkehr zwischen Unternehmern häufig Probleme auf. Zwar ist unbestritten, dass die wirksame Einbeziehung von AGB auch im Verkehr zwischen Unternehmern einer sogenannten Einbeziehungsvereinbarung bedarf.
Den vollständigen Beitrag finden Sie hier.
erschienen in Deutscher AnwaltSpiegel | Ausgabe 17, 23.08.2017
Meldungen über weltweite Produktrückrufaktionen sorgen immer wieder für ein breites Medienecho. Für die zum Rückruf verpflichteten Hersteller bedeutet ein Produktrückruf indessen nichts Gutes. Ruf und Marke sowie das Vertrauen in Qualität und Sicherheit der hergestellten Produkte geraten in Gefahr, was sich häufig in einem signifikanten Umsatzrückgang bemerkbar macht.
von Dr. Marius Mann, MBA, M. Jur. (Oxford)
Verlag C.H. Beck, ISBN 978-3-406-71162-6
Das Werk liefert einen aktuellen und kompakten Überblick über das allgemeine Vertrags- und AGB-Recht sowie über die Praxisprobleme, die sich insbesondere beim Abschluss, bei der Durchführung und der Beendigung von Vertriebsverträgen sowie bei der Streitbeilegung stellen können.
Inhalte
Zudem werden auch für angrenzende Rechtsbereiche, wie etwa das Produkthaftungsrecht und das Insolvenzrecht, die dort typischerweise auftretenden Fragen anwenderfreundlich beantwortet.
Zielgruppe
für Rechts- und Syndikusanwälte, Geschäftsführer (insbesondere mittelständischer Unternehmen) und Vertriebsmanager.
Urteilsbesprechung erschienen in der NJW 2017, 1388
Urteil vom 23.11.2016 – VIII ZR 269/15 | § 305 c | § 307 | § 354
erschienen in der Zeitschrift für Vertriebsrecht (ZVertriebsR) 1/2017
Der Abschluss einer Aufhebungs- und Vergleichsvereinbarung ist ein in der Praxis gern und häufig genutztes Mittel zur Vertragsbeendigung.
Dieser Beitrag von unserem Partner Dr. Marius Mann beleuchtet die bei Abschluss einer Aufhebungs- und Vergleichsvereinbarung im Handelsrechtsverkehr auftretenden Probleme und zeigt auf, wie Fallstricke umgangen werden können.
Den vollständigen Beitrag finden Sie hier: download