Weniger Urlaubsanspruch in der Kurzarbeit?
erschienen in Passauer Neue Presse und auf PNP.de
Weniger Urlaubsanspruch in der Kurzarbeit?
Arbeitgeber kann Urlaubstage kürzen – Keine Pflicht – Ministerium: Gesetzliche Regelung fehlt
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG verfällt der gesetzliche Urlaubsanspruch 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, wenn der Arbeitnehmer dauerhaft erkrankt ist. Was aber gilt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor nicht auf den Verfall des Urlaubsanspruchs hingewiesen hat? Mit dieser Frage hatte sich das BAG kürzlich auseinanderzusetzen (BAG, Beschl. v. 7.7.2020 - 9 AZR 401/19 (A)).
Der Arbeitnehmer war im Jahr 2017 durchgehend arbeitsunfähig und begehrte die Feststellung, dass ihm noch 14 Urlaubstage aus dem Jahr 2017 zustehen. Der Arbeitgeber hatte den Arbeitnehmer weder aufgefordert, den Urlaub zu nehmen, noch darauf hingewiesen, dass nicht beantragter Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfallen kann. Der Arbeitgeber machte geltend, dass der Urlaubsanspruch nach 15 Monaten erloschen sei. Dieser Verfall trete unabhängig von der Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit ein.
15-Monatsfrist bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit
Ist ein Arbeitnehmer fortdauernd arbeitsunfähig, erlischt nach bisheriger Rechtsprechung des BAG der gesetzliche Urlaubsanspruch auf Grund unionsrechtskonformer Auslegung des § 7 Abs. 3 BUrlG jeweils 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres (BAG, Urt. v. 7. 8.2012 – 9 AZR 353/10).
Mitwirkungsobliegenheiten des Arbeitgebers
Im Jahr 2019 hatte das BAG sodann entschieden, dass unter Berücksichtigung des Unionsrechts der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub nur dann nach § 7 Abs. 3 BUrlG verfällt, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor konkret aufgefordert hat, seinen Urlaub rechtzeitig im Urlaubsjahr zu nehmen, und ihn darauf hingewiesen hat, dass dieser andernfalls verfallen kann, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat (BAG, Urt. v. 19.02.2019 - 9 AZR 423/16).
Für die Entscheidung, ob der Urlaub von dauerhaft Erkrankten nach 15 Monaten oder ggf. zu einem späteren Zeitpunkt verfällt, kommt es nach Ansicht des BAG – wieder – auf die Auslegung von Unionsrecht an. Das BAG hat deshalb dem EuGH die Entscheidung zur Vorabentscheidung vorgelegt. Ob das Unionsrecht den Verfall des Urlaubsanspruchs nach Ablauf der 15-Monatsfrist oder ggf. einer längeren Frist auch dann gestattet, wenn der Arbeitgeber im Urlaubsjahr seine Mitwirkungsobliegenheiten nicht erfüllt hat, wird der EuGH daher künftig entscheiden.
Auswirkungen auf die Praxis
Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob der EuGH das Festhalten an der 15-Monatsfrist unter Verzicht auf die Mitwirkungsobliegenheit bei dauerhaft Erkrankten als mit dem Unionsrecht vereinbar ansehen wird. Bis zur Entscheidung des EuGHs sind Arbeitgeber weiterhin gut beraten, ihren Mitwirkungsobliegenheiten auch ggü. dauerhaft arbeitsunfähigen Arbeitnehmern nachzukommen.
Auch in Phasen der Kurzarbeit können Arbeitnehmer Urlaub nehmen. Hinsichtlich des Urlaubsanspruchs und -entgelts bestehen allerdings Kürzungsmöglichkeiten, die Arbeitgeber nutzen sollten.
Kürzung des Urlaubsanspruchs während der Kurzarbeit?
Nach der Rechtsprechung des EuGH kann der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub während der Kurzarbeit anteilig gekürzt werden (EuGH, Urt. v. 8.11.2012 – C-229/11, C-230/11). Gleiches gilt dann erst recht für den vertraglichen Mehrurlaub. Der Urlaubsanspruch kann um den Anteil gekürzt werden, in dem die Kurzarbeit zur regulären Arbeitszeit steht. Es erfolgt - wie bei Teilzeitbeschäftigten - eine anteilige Kürzung des Urlaubsanspruchs im Verhältnis der Wochenarbeitstage. Ist „Kurzarbeit Null“ angeordnet, entsteht für diese Zeiten kein Urlaubsanspruch. Die Kürzung des Urlaubsanspruchs wird damit begründet, dass während der Kurzarbeit die gegenseitigen Leistungspflichten des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers je nach der angeordneten Arbeitszeitverkürzung suspendiert sind bzw. bei „Kurzarbeit Null“ völlig aufgehoben sind.
Je länger die Corona-Krise und die Phase der Kurzarbeit andauert, desto stärker kann sich die Anzahl der Urlaubstage ermäßigen.
Auswirkungen auf die Praxis
Bisher noch unklar ist, ob die Kürzung der Urlaubsansprüche während der Kurzarbeit automatisch eintritt oder es hierzu einer ausdrücklichen Regelung bedarf. Vorsorglich sollten Arbeitgeber die anteilige Kürzung bzw. den Wegfall der Urlaubstage ausdrücklich regeln. Dabei sollte auch bestimmt werden, ob die Kürzung der Urlaubstage lediglich den gesetzlichen Mindesturlaub oder auch den vertraglichen Mehrurlaub betrifft.
Kürzung des Urlaubsentgelts während der Kurzarbeit?
Das Urlaubsentgelt für den gesetzlichen Mindesturlaub kann infolge der Kurzarbeit nicht gekürzt werden, es bleibt also in der üblichen Höhe bestehen. Das Urlaubsentgelt bemisst sich nach dem durchschnittlichen Arbeitsverdienst, welches der Arbeitnehmer in den letzten dreizehn Wochen vor Urlaubsbeginn erhalten hat. Verdienstkürzungen, die infolge von Kurzarbeit eintreten, bleiben dabei gem. § 11 Abs. 1 S. 3 BUrlG außer Betracht. Die Kurzarbeit hat somit keine Auswirkungen auf das gesetzliche Urlaubsentgelt.
Arbeitnehmer erhalten ein ungekürztes Urlaubsentgelt für die Zeit, in der diese wegen des gewährten Urlaubs von der Arbeit freigestellt sind. Wird die Kurzarbeit in der Weise durchgeführt, dass nur ein Teil der Stunden pro Arbeitstag ausfällt, erhalten die Arbeitnehmer für die Stunden des Arbeitsausfalls Kurzarbeitergeld und für die weiteren Stunden Urlaubsentgelt.
Die vorstehenden Grundsätze gelten für den gesetzlichen Mindesturlaub. Für den vertraglichen Mehrurlaub gelten sie nur, sofern die Arbeitsvertragsparteien keine abweichende Vereinbarung getroffen haben. Arbeitgeber können daher hinsichtlich des vertraglichen Mehrurlaubs eigenständige Regelungen treffen, wonach sich das Urlaubsentgelt für diese Tage während der Kurzarbeit anteilig kürzt.
Auswirkungen auf die Praxis
Um Verdienstausfälle bzw. Verdiensteinschränkungen infolge der Kurzarbeit zu vermeiden, können Arbeitnehmer beantragen, dass ihnen ihr Resturlaub gewährt wird, und in der Folge ein ungekürztes Urlaubsentgelt - jedenfalls hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs - in Anspruch nehmen.
In der betrieblichen Praxis ist es weit verbreitet, Arbeitnehmern auch halbe Urlaubstage – bspw. an Heiligabend oder Silvester – zu gewähren.
Laut einer Entscheidung des LAG Baden-Württemberg gibt es allerdings keinen Rechtsanspruch auf halbe Urlaubstage oder sonstige Bruchteile von Urlaubstagen (LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 06.03.2019 - 4 Sa 73/18). Dies beruhe insbesondere - auf dem in der Praxis oftmals vernachlässigten – Zusammenhangsgebot gem. § 7 Abs. 2 BUrlG. Danach ist der Urlaub zusammenhängend zu gewähren, es sei denn, dass dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe eine Teilung des Urlaubs erforderlich machen. Auch ausgehend von der gesetzgeberischen Grundwertung, wonach der Urlaub Erholungszwecken zu dienen hat, kann nach Ansicht des LAG Baden-Württemberg eine Zerstückelung und Atomisierung des Urlaubs in viele kleine Einheiten nicht gefordert werden. Dies gelte selbst dann, wenn dies auf Wunsch des Arbeitnehmers erfolge. Eine halbtägige Urlaubsgewährung stelle keine ordnungsgemäße Erfüllung des Urlaubsanspruchs dar. Ebenso sei eine Urlaubsgewährung von nur Bruchteilen eines Urlaubstages ohnehin ausgeschlossen, es sei denn, es handele sich um einen Bruchteil von unter 0,5 (§ 5 Abs. 2 BUrlG).
Diese Rechtsprechung deckt sich mit einer alten Entscheidung des BAG aus dem Jahr 1965 (BAG, Urt. v. 29.07.1965 - 5 AZR 380/64). Auch hier stellte das BAG fest, dass eine Aufteilung des Urlaubs in einzelne Halbtages- und Stundenteile keine wirksame Erfüllung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub darstelle, da damit Sinn und Zweck des Urlaubs „völlig verfehlt“ werde.
Auswirkungen auf die Praxis
Arbeitgeber sind grundsätzlich nicht verpflichtet, Arbeitnehmern halbe Urlaubstage zu gewähren. Sollten diese dennoch – bspw. auf Wunsch des Arbeitnehmers – gewährt werden, erfolgt dies nicht ohne Risiko für den Arbeitgeber. Denn mit der Gewährung halber Urlaubstage wird jedenfalls der gesetzliche Urlaubsanspruch nicht ordnungsgemäß erfüllt. Der Arbeitnehmer behält deshalb - ungeachtet bereits gewährter halber Urlaubstage - seinen vollen und ungekürzten gesetzlichen Urlaubsanspruch.
Gleiches gilt für den vertraglichen Mehrurlaub, sofern hierzu keine eindeutige abweichende Vereinbarung getroffen ist. Eine abweichende Vereinbarung im Arbeitsvertrag sollte deshalb einerseits klar zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und vertraglichem Mehrurlaub differenzieren und andererseits die Gewährung von halben Urlaubstagen ausschließlich für den vertraglichen Mehrurlaub vorsehen.
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Weniger Urlaubsanspruch in der Kurzarbeit?
Arbeitgeber kann Urlaubstage kürzen – Keine Pflicht – Ministerium: Gesetzliche Regelung fehlt