EuGH schränkt „ewiges Widerrufsrecht“ ein

Dr. Nina Rossi

Dr. Nina Rossi

Die verbraucherfreundliche Praxis der deutschen Gerichte beim Widerruf von Darlehensverträgen ist durch ein Urteil des EuGH vom 11.09.2019 immens eingeschränkt worden. Der EuGH entschied, dass ein Widerrufsrecht in einem Fernabsatz-Darlehensvertrag ausgeschlossen ist, wenn der Darlehensvertrag auf Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde.

EuGH schränkt „ewiges Widerrufsrecht“ ein
EuGH schränkt „ewiges Widerrufsrecht“ ein

19.09.2019 | Bank- und Kapitalmarktrecht

In einem Fall, über den der Europäische Gerichtshof nach einer Vorlage durch das Landgericht Bonn zu entscheiden hatte, wollten die Kläger einen im Jahr 2007 im Wege des Fernabsatzes abgeschlossenen Immobiliendarlehensvertrag nach knapp neun Jahren widerrufen, weil sie fehlerhaft über das ihnen zustehende Widerrufsrecht belehrt worden seien. Die Kläger hatten das Darlehen zu diesem Zeitpunkt bereits vollständig zurückgeführt. Die darlehensgebende Bank trat dem Widerruf entgegen mit der Begründung, ein den Klägern zustehendes Widerrufsrecht sei erloschen.

Nach der europäischen Verbraucherschutzrichtlinie erlischt ein Widerrufsrecht, sobald der Vertrag auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten vollständig erfüllt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (etwa Urt. v. 10.10.2017 – XI ZR 455/16, Rn. 18) ist die Vorschrift, mit der dieser Ausschluss in das deutsche Recht umgesetzt worden ist, jedoch nicht auf Verbraucherdarlehensverträge anwendbar – auch nicht, wenn diese im Wege des Fernabsatzes abgeschlossen worden sind. In diesen Fällen soll das Widerrufsrecht in Fällen einer nicht ordnungsgemäßen Widerrufsinformation zeitlich unbegrenzt bestehen („ewiges Widerrufsrecht“) und nur durch die allgemeinen Grundsätze des Rechtsmissbrauchs und der Verwirkung begrenzt sein.

Das Landgericht Bonn hat daher den EuGH zur Auslegung der europäischen Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen (Richtlinie 2002/65/EG) angerufen, zur Klärung der Frage, ob die Richtlinie einer nationalen Rechtsvorschrift oder Rechtsprechung entgegensteht, die bei einem im Wege des Fernabsatzes abgeschlossenen Darlehensvertrag einen Ausschluss des Widerrufsrechts dann nicht vorsieht, wenn das Darlehen auf ausdrücklichen Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten vollständig erfüllt wurde.

Der EuGH kam bei seiner Prüfung zu dem Ergebnis, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung in ihrer Auslegung durch die nationale Rechtsprechung entgegensteht, die bei einem im Wege des Fernabsatzes geschlossenen Vertrag über eine Finanzdienstleistung das Widerrufsrecht des Verbrauchers nicht für den Fall ausschließt, dass der Vertrag auf Wunsch des Verbrauchers von beiden Seiten vollständig erfüllt ist. Sobald der Vertrag erfüllt sei, könne sich der Kunde nicht mehr mit einem Widerruf davon lösen. Dies soll sogar – was freilich selten der Fall sein wird – für einen Widerruf innerhalb der ersten 14 Tage nach Vertragsschluss gelten.

Die deutschen Gerichte müssten – so der EuGH – zu einer hiermit in Einklang stehenden Rechtsanwendung gelangen, erforderlichenfalls müsse die gefestigte nationale Rechtsprechung abgeändert werden, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruhe, die mit der Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen  unvereinbar sei. Die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach auch bei im Wege des Fernabsatzes abgeschlossenen Darlehensverträgen das Widerrufsrecht ungeachtet einer vollständigen Erfüllung des Vertrags fortbesteht, wird hiernach nicht mehr haltbar sein.