Zulässigkeit der Forderung nach „mindestens zehn Referenz-Schreiben“

Dr. Christian Kokew

Dr. Christian Kokew

Eine Forderung von zehn Referenzschreiben schränkt den Bieterwettbewerb ein und ist nur zulässig, wenn aus verständiger Sicht der Vergabestelle ein berechtigtes Interesse an dieser Forderung besteht.(VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.12.2014 - 1 VK 51/14)

Zulässigkeit der Forderung nach „mindestens zehn Referenz-Schreiben“
Zulässigkeit der Forderung nach „mindestens zehn Referenz-Schreiben“

05.05.2015 | Vergaberecht

Eine Forderung von zehn Referenz-Schreiben schränkt den Bieterwettbewerb ein und ist nur zulässig, wenn aus verständiger Sicht der Vergabestelle ein berechtigtes Interesse an dieser Forderung besteht. (VK Baden-Württemberg, Beschluss vom 09.12.2014 - 1 VK 51/14)

Problem/Sachverhalt


Eine Vergabestelle stellt in den Vergabeunterlagen die folgenden Zuschlagskriterien auf:

1. Der Angebotspreis mit einer Wertigkeit von 60 %,

2. Referenzen/Erfahrung mit einer Wertigkeit von 20 % und schließlich

3. kurze Reaktionszeit mit einer Wertigkeit von 20 %.

Zum Wertungskriterium "Referenzen/Erfahrung" heißt es weiter:

"Für das Wertungskriterium Referenzen/Erfahrung werden 10 Punkte vergeben, wenn mindestens 10 der Aufgabenstellung und dem Projektumfang entsprechende Referenzen innerhalb der letzten drei Jahre, mit hervorragender Beurteilung von anderen Bauherren bzw. Vergabestellen dem Angebot beigefügt werden. Der Nachweis ist durch entsprechende Referenzschreiben der Bauherren bzw. Vergabestellen zu erbringen. Diese geforderten Schreiben sind dem Angebot ohne weitere gesonderte Aufforderung zwingend beizulegen. Für die Bewertung ist besonders die Leistungs- und Ausführungsqualität relevant. Der Auftraggeber wird die vorgelegten Referenzschreiben daraufhin beurteilen, inwieweit diese aus Sicht des Auftraggebers

a) hervorragend: 10 Punkte

b) sehr gut: 8 Punkte

c) gut: 6 Punkte

d) befriedigend: 4 Punkte

e) ausreichend: 2 Punkte

f) nicht mehr ausreichend: 0 Punkte

sind.“

Ein Bieter rügt u.a. die Rechtswidrigkeit der Anzahl der Referenzschreiben. Nachdem die Vergabestelle der Rüge nicht abgeholfen hat, verfolgt der Bieter sein Begehren im Nachprüfungsverfahren weiter.

Die Entscheidung


Mit Erfolg! Die Vergabekammer stellt einleitend fest, dass dem öffentlichen Auftraggeber bei der Festlegung der Zuschlagskriterien zwar ein Ermessensspielraum zustehe, der nur eingeschränkt überprüft werden könne. Aus diesem Grunde könne im Nachprüfungsverfahren auch nur überprüft werden, ob das formale Verfahren eingehalten wurde, ob der öffentliche Auftraggeber von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist und ob er sachwidrige Erwägungen angestellt hat. Ob Letzteres der Fall sei, müsse anhand der Vorschriften des §§ 97 Abs. 1, 4 und 7 GWB bzw. der § 19 Abs. 8 und 9 sowie § 24 EG VOL/A geprüft werden.

Nach Ansicht der Vergabekammer könne eine Forderung von zehn der Aufgabenstellung und dem Projektumfang entsprechenden Referenzschreiben mit entsprechenden Angaben zu Leistung- und Ausführungsqualität überhaupt nur dann gerechtfertigt sein, wenn hierfür ein berechtigtes Interesse der Vergabestelle bzw. des öffentlichen Auftraggebers vorliege und die Vergabestelle dies dokumentiert habe. Dies sei vorliegend bereits deswegen nicht der Fall, weil die Vergabedokumentation keine Begründung enthalte, aus welchen Gründen zwingend zehn Referenzen eingereicht werden müssten.

Die Vergabekammer betont, dass zwar eine nachträgliche Heilung im Nachprüfungsverfahren möglich sei. Dies sei insbesondere der Fall, wenn eine wettbewerbskonforme Auftragserteilung bei alleiniger Berücksichtigung der nachgeschobenen Dokumentation im Nachprüfungsverfahren unzweifelhaft möglich ist, da es dann mit dem vergaberechtlichen Beschleunigungsgrundsatz unvereinbar sei, im Nachprüfungsverfahren alle nicht dokumentierten Aspekte unberücksichtigt zu lassen und stets eine Wiederholung der betroffenen Abschnitte des Vergabeverfahrens anzuordnen (BGH vom 08.02.2011, X ZB 4/10). Eine Heilung scheide vorliegend aber aus, weil die zwingende Forderung von zehn Referenzen unverhältnismäßig sei und den Bieterwettbewerb unnötig einschränke.

Praxishinweis


Die Entscheidung ist ein gutes Beispiel dafür, wie öffentliche Auftraggeber es nicht machen sollten. Zunächst ist nicht ersichtlich, wie die Forderung von zehn Referenzen sachlich gerechtfertigt werden könnte. Öffentliche Auftraggeber sollten daher auf eine entsprechende Forderung verzichten. Sofern tatsächlich im Ausnahmefall hierfür ein berechtigtes Interesse vorliegen sollte, müssen die entsprechenden Gründe ausführlich und umfassend in der Vergabedokumentation dargelegt werden.

Das Vergabeverfahren war im Übrigen auch deswegen vergaberechtswidrig, weil es sich bei dem Zuschlagskriterium „Referenzen/Erfahrung mit einer Wertigkeit von 20 %“ tatsächlich um ein Eignungskriterium handelt und daher eine unzulässige Vermischung und Zuschlags- und Eignungskriterium vorliegt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Entscheidung des EuGH vom 26.03.2015 (Rs. C-601/13), da es sich in dem von der Vergabekammer Baden-Württemberg entschiedenen Fall offensichtlich nicht um eine „Dienstleistung mit intellektuellem Charakter“ gehandelt hat.