Anfechtbare Beschlussfassung bei Unzumutbarkeit des Versammlungsorts

Dr. Bernd Fluck

Dr. Bernd Fluck

Beschlüsse, die an einem unzumutbaren Versammlungsort (Räume des verfeindeten Gesellschafters) gefasst werden, sind regelmäßig anfechtbar.

Anfechtbare Beschlussfassung bei Unzumutbarkeit des Versammlungsorts
Anfechtbare Beschlussfassung bei Unzumutbarkeit des Versammlungsorts

26.07.2016 | Gesellschaftsrecht

Im März dieses Jahres hat der BGH klargestellt, dass Gesellschafterbeschlüsse, die an einem unzumutbaren Versammlungsort (hier: Räume eines verfeindeten Gesellschafters) gefasst wurden, in der Regel anfechtbar sind, sofern ein bestimmtes Beschlussergebnis festgestellt wurde (BGH, Beschluss vom 24.03.2016 – IX ZB 32/15).

Sachverhalt


Der Entscheidung des BGH lag folgender, hier in vereinfachter Form wiedergegebener, Sachverhalt zugrunde:

Die Beteiligten des Rechtstreits zu 2) und zu 3) waren jeweils mit 50 % an der Schuldnerin, einer GmbH, beteiligt. Gleichzeitig waren sie deren Geschäftsführer und zur Vertretung lediglich gemeinsam berechtigt. Am 21.10.2013 stellte die Beteiligte zu 3) den Antrag, über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren zu eröffnen.

Mit Schreiben vom 16.09.2014 lud die Beteiligte zu 2) ihre Mitgesellschafterin, die Beteiligte zu 3), zu einer Gesellschafterversammlung für den 30.09.2014 in die Büroräume der GmbH ein. Zugleich lud sie, für den Fall, dass der Zutritt zu diesen Räumen durch den Vermieter, den Ehemann der Beteiligten zu 3), verweigert werde, in ihre eigene Wohnung ein. Einziger Tagesordnungspunkt war die Abberufung der Beteiligten zu 3) als Geschäftsführerin der Schuldnerin aus wichtigem Grund. Die Beteiligte zu 3) widersprach der Einladung in die Wohnung der Beteiligten zu 2), weil die Räume der Beteiligten zu 2) für sie einen unzumutbaren Versammlungsort darstellten. Gleichwohl fand die Gesellschafterversammlung in der Wohnung der Beteiligten zu 2) statt. In Abwesenheit der Beteiligten zu 3) wurde diese als Geschäftsführerin abberufen. Im weiteren insolvenzrechtlichen Verfahren war umstritten, ob die Schuldnerin fortan allein durch die Beteiligte zu 2) vertreten wurde oder nach wie vor durch die Beteiligten zu 2) und 3) gemeinsam vertreten werden musste.

Entscheidung


Der BGH hat entschieden, dass die Durchführung der Gesellschafterversammlung an dem unzumutbaren Versammlungsort lediglich zur Anfechtbarkeit des auf der Gesellschafterversammlung gefassten Beschlusses führte.

Der BGH wies zunächst darauf hin, dass das GmbHG keine eigenständige Regelung über die Geltendmachung von Beschlussmängeln enthalte. Daher seien die aktienrechtlichen Vorschriften über Beschlussmängel (§§ 241 ff. AktG) heranzuziehen, sofern ein bestimmtes Beschlussergebnis festgestellt worden sei. Demgemäß seien Gesellschafterbeschlüsse nach § 241 Nr. 1 AktG nur dann nichtig, wenn der Einberufungsmangel einer Nichtladung der Gesellschafter gleichkomme. Ein Ladungsmangel komme dann einer Nichtladung gleich, wenn eine Ladung dem Gesellschafter seine Teilnahme in einer Weise erschwere, die der Verhinderung seiner Teilnahme gleichstehe. Dann werde ihm die Ausübung seiner unverzichtbaren Gesellschafterrechte ebenso entzogen, wie im Fall der Nichtladung. Andere Verstöße gegen Gesetz oder Satzung bei der Einberufung oder Einladung führten lediglich dann zur Nichtigkeit, wenn der Beschluss auf eine Anfechtungsklage hin durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden sei (§ 241 Nr. 5 AktG).

Nach diesen Maßstäben führe die Einladung in die Wohnung der Beteiligten zu 2) nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses entsprechend § 241 Nr. 1 AktG: Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsehe, sei der ordnungsgemäße Versammlungsort grundsätzlich entsprechend § 121 Abs. 5 AktG der Sitz der Gesellschaft. Diese Regelung habe den Zweck, die Gesellschafter vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsorts und einer daraus folgenden Beeinträchtigung ihres Teilnahmerechts zu schützen. Dieser Gesetzeszweck sei bestimmend für die Frage, wann und in welchem Maße das Einberufungsorgan von der Soll-Vorschrift des § 121 Abs. 5 AktG abweichen dürfe. Zumindest bei einer Gesellschaft mit einem überschaubaren Gesellschafterkreis dürfe auch ein Ort gewählt werden, bei dem von vornherein feststehe, dass er die Teilnahme nicht erschwere.

Demgegenüber dürften der Versammlungsort und das Versammlungslokal für einen Gesellschafter nicht unzumutbar sein. Ein unzumutbarer Versammlungsort liege vor – so der BGH –, wenn verfeindete Gesellschafter in die Wohnung des einen Gesellschafters eingeladen werden. Dann befinde sich der betroffene Mitgesellschafter in einer Umgebung, in der sich der andere Mitgesellschafter, im Gegensatz zu ihm, vertraut bewegen könne.

Vor diesem Hintergrund stufte der BGH die Wohnung der Beteiligten zu 2) als einen unzumutbaren Versammlungsort für die Beteiligte zu 3) ein. Die entsprechende Beschlussfassung über die Abberufung an diesem unzumutbaren Versammlungsort war damit mit einem Verfahrensmangel behaftet.

Ein solcher führe – so der BGH weiter – grundsätzlich zur Anfechtbarkeit des Versammlungsbeschlusses, wenn nicht ausnahmsweise Umstände vorlägen, die einer Verhinderung der Teilnahme gleichkämen. Solche Umstände seien vorliegend nicht ersichtlich, insbesondere, da die Beteiligte zu 2) zur Gesellschafterversammlung in erster Linie an den Gesellschaftssitz eingeladen habe und nur hilfsweise, für den Fall, dass der Zugang zu den Gesellschaftsräumen durch den Vermieter, verwehrt werde, in ihre eigene Wohnung. Sofern also in der Versammlung eine Beschlussfeststellung stattgefunden habe (was vorliegend offen war), sei der Abberufungsbeschluss lediglich anfechtbar, nicht nichtig, und damit nach Ablauf der Anfechtungsfrist endgültig wirksam.

Fazit


Mit der vorliegend dargestellten Entscheidung hat der BGH erstmals klargestellt, dass die Durchführung der Gesellschafterversammlung an einem unzumutbaren Versammlungsort (hier: Wohnung des verfeindeten anderen Gesellschafters) nicht zur Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 1 AktG, sondern lediglich zur Anfechtbarkeit des entsprechend mangelhaften Gesellschafterbeschlusses führt. Damit folgt der BGH der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. nur: OLG Celle, Urteil vom 21.05.1997 – 9 U 204/96 (Privatwohnung eines verfeindeten Mitgesellschafters); OLG Düsseldorf, Urteil vom 31.07.2003 – 6 U 27/03 (Versammlungsort in Abweichung vom Sitz der Gesellschaft); OLG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2003 – 16 U 95/98 (Kanzleisitz eines Rechtsanwalts)).

Die Entscheidung verdient Zustimmung. Soweit der Gesellschaftsvertrag nichts anderes vorsieht, ist der ordnungsgemäße Versammlungsort grundsätzlich entsprechend § 121 Abs. 5 AktG am Sitz der Gesellschaft. Diese Regelung soll vor einer willkürlichen Wahl des Versammlungsorts schützen. Abweichend dazu kann bis zur Grenze der Unzumutbarkeit auch eine andere Lokalität gewählt werden. Diese Grenze wird bei einer neutralen Lokalität, die sich in der gleichen kommunalen Gemeinde wie der Sitz der Gesellschaft befindet, regelmäßig nicht überschritten sein.

Ein Verfahrensmangel bezüglich der auf der Versammlung gefassten Gesellschafterbeschlüsse liegt hingegen dann vor, wenn die Gesellschaft einen für mindestens einen Gesellschafter unzumutbaren Versammlungsort wählt. Dann sind die auf der Versammlung gefassten Beschlüsse, entsprechend der Wertung der §§ 241, 243 AktG, die bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung entsprechend herangezogen werden, grundsätzlich anfechtbar und nur dann nichtig, wenn ihm ein besonders schwerwiegender Mangel anhaftet. Dem entspricht es, wenn der BGH, wie hier, verlangt, dass besondere, über die Unzumutbarkeit des Versammlungsorts hinausgehende Umstände vorliegen müssen, damit der Verfahrensmangel zur Nichtigkeit des Beschlusses führt.

Praxishinweis


Für die Geschäftsleitung einer GmbH ist zu beachten, dass – vorbehaltlich einer abweichenden Regelung in der Satzung – die Gesellschafterversammlungen in den Räumlichkeiten der Gesellschaft oder an einem neutralen, leicht erreichbaren Ort in der Nähe der Gesellschaft in der gleichen Gemeinde abgehalten werden. Das Kriterium eines neutralen Orts sollte unbedingt beachtet werden. Bestehen zwischen den Gesellschaftern oder bestimmten Gesellschaftergruppen Spannungen, kann sich aus der Anberaumung der Gesellschafterversammlung in den privaten Räumlichkeiten eines der Gesellschafter oder in den Kanzleiräumen des Rechtsanwalts eines der Gesellschafter ein Anfechtungsgrund ergeben. Diese Vorgaben sind freilich außer Kraft gesetzt, wenn eine Vollversammlung stattfindet und/oder alle Gesellschafter auf die Einhaltung der formellen Anforderungen für die Durchführung der Gesellschafterversammlung verzichten. Schließlich sollte aus Sicht der Gesellschaft auf der Versammlung stets eine förmliche Feststellung der Beschlussergebnisse stattfinden, um die Anfechtungsfrist in Gang zu setzen. Dies hat den Eintritt einer möglichst baldigen Rechtssicherheit hinsichtlich der gefassten Beschlüsse zur Folge.

Aus Sicht der Gesellschafter gilt es zu beachten, dass die Anfechtungsfrist eingehalten werden muss, wenn sie sich gegen einen festgestellten, mangelhaften Beschluss aufgrund der Unzumutbarkeit des Versammlungsorts zur Wehr setzen wollen. Die Anfechtungsfrist ist, unbeschadet einer anders lautenden Regelung in der Satzung, nach der ständigen Rechtsprechung des BGH der aktienrechtlichen Monatsfrist des § 246 Abs. 1 AktG stark angenähert. Der BGH spricht insofern von einer „Leitbildfunktion“. Nur ausnahmsweise gilt bei Unzumutbarkeit des Versammlungsorts und Vorliegen einer Beschlussfeststellung diese Anfechtungsfrist nicht, nämlich dann, wenn das gewählte Versammlungslokal für mindestens einen Gesellschafter derart unzumutbar ist, dass dies einer Nichtladung gleichkommt. Wann ein solcher Fall vorliegt, hat der BGH hingegen offengelassen, sodass sich bei dem Verdacht der Unzumutbarkeit des Versammlungsorts stets empfiehlt, die Anfechtungsfrist zu wahren.