10. GWB-Novelle: Änderungen bei der Fusionskontrolle geplant

 Christoph Richter

Christoph Richter

Im Rahmen der bevorstehenden 10. GWB-Novelle ist beabsichtigt, die Vorschriften im Bereich der Fusionskontrolle zu ändern. So soll u.a. die 2. Inlandsumsatzschwelle auf 10 Mio. Euro angehoben werden, was zu einer spürbaren Verringerung der Anzahl anzumeldender Transaktionen und damit zu einer Entlastung insbesondere mittelständischer Unternehmen führen wird.

10. GWB-Novelle: Änderungen bei der Fusionskontrolle geplant
10. GWB-Novelle: Änderungen bei der Fusionskontrolle geplant

20.11.2019 | Kartellrecht

Ausweislich des kürzlich veröffentlichten Referentenentwurfs zur 10. GWB-Novelle ("GWB-RefE"; auch als "GWB-Digitalisierungsgesetz" bezeichnet) sollen im Rahmen der bevorstehenden Novellierung des GWB u.a. die Vorschriften der Fusionskontrolle angepasst werden, um diese effektiver zu gestalten und dem Bundeskartellamt ein Fokussierung auf die wettbewerblich relevantesten Zusammenschlussvorhaben zu ermöglichen.

Anlass der 10. GWB-Novelle ist die Umsetzung der Richtlinie (EU) 2019/1, die bis spätestens zum 4. Februar 2021 zu erfolgen hat. Die 10. GWB-Novelle ist vor diesem Hintergrund im Laufe des Jahres 2020 zu erwarten. 

Die 10. GWB-Novelle ist am 19. Januar 2021 in Kraft getreten. Im Vergleich zum ursprünglichen Entwurf wurden im Gesetzgebungsverfahren noch einige äußerst praxisrelevante Änderungen u.a. im Bereich der Fusionskontrolle vorgenommen. Lesen Sie hier den neuesten Beitrag vom 21.01.2021.

Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle von 5 auf 10 Mio. Euro

Die für die Praxis wesentlichste Änderung besteht unzweifelhaft in der beabsichtigten Anhebung der sog. 2. Inlandsumsatzschwelle. Eine Transaktion ist nach deutschem Recht (bei Vorliegen eines Zusammenschlusstatbestandes i. S. d. § 37 GWB) bisher gem. § 35 Abs. 1 GWB grundsätzlich anmeldepflichtig, wenn im letzten abgeschlossen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss (i) die beteiligten Unternehmen insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Millionen Euro und (ii) im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 25 Millionen Euro (1. Inlandsumsatzschwelle) und (iii) ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 5 Millionen Euro (2. Inlandsumsatzschwelle) erzielt haben.

Die letztgenannte 2. Inlandsumsatzschwelle soll ausweislich des Referentenentwurfs von 5 auf 10 Mio. Euro erhöht werden (§ 35 Abs. 1 Nr. 2, 2. Hs. GWB-RefE). Hat also das Zielunternehmen ("Target") im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss einen Umsatz unterhalb von 10 Millionen Euro generiert, ist die Transaktion im Regelfall unabhängig von der Höhe der Umsatzerlöse des Erwerbers nicht anmeldepflichtig. Dies setzt allerdings voraus, dass der Veräußerer weder Kontrolle noch 25 % oder mehr der Anteile an dem Target behält und daher dessen Umsatzerlöse nicht dem Target zuzurechnen sind (Dies stellt den Regelfall dar, vgl. § 38 Abs. 5 S. 1 u. 2 GWB).

Wegfall der Anschlussklausel

Auf Grund der beabsichtigten Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle wird die sog. Anschlussklausel (§ 35 Abs. 2 S. 1 GWB) obsolet werden. Bisher finden die Vorschriften der Fusionskontrolle keine Anwendung, soweit sich ein Unternehmen, das nicht im Sinne des
§ 36 Abs. 2 GWB abhängig ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Millionen Euro erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt.

Bagatallmarktklausel: Anhebung des Schwellenwertes und gebündelte Betrachtung

Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die sog. Bagatellmarktklausel. Ausweislich § 36 Abs. 1 S. 1 GWB ist ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, vom Bundeskartellamt zu untersagen. Dies gilt nach § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB allerdings nicht, wenn die vorgenannten Untersagungsvoraus-setzungen auf einem Markt vorliegen, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Millionen Euro umgesetzt wurden, es sei denn, es handelt sich um einen Markt i. S. v. § 18 Abs. 2a GWB oder einen Fall des § 35 Abs. 1a GWB ("Bagatellmarktklausel"). Ein Bagatellmarkt kann entstehen, wenn infolge von Globalisierung und Digitalisierung in traditionellen Branchen der Umsatz deutlich zurückgeht; auf Bagatellmärkten sind typischer Weise mittelständische Unternehmen tätig.

Diesbezüglich soll zum einen der Schwellenwert von 15 auf 20 Millionen Euro angehoben werden, zum anderen ist vorgesehen, die bisher gesetzlich gebotene einzelmarktbezogene Sichtweise aufzugeben und eine gebündelte Betrachtung mehrerer Märkte einzuführen. Letzteres war bisher ausweislich diesbezüglicher Rechtsprechung nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.

Für den Fall einer gebündelten Markbetrachtung ist dabei zu berücksichtigen, dass die Umsatzerlöse auf diesen Märkten im Hinblick auf das Erreichen des Schwellenwertes ausweislich § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB-RefE zu kumulieren sind: "Dies gilt nicht, wenn die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf Märkten vorliegen, auf denen seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr im Inland zusammen weniger als 20 Millionen Euro umgesetzt wurden […]."

Ermittlung der Umsatzerlöse auf Basis der IFRS

Darüber hinaus sollen die Vorgaben zur Ermittlung der Umsatzerlöse angepasst werden. Diesbezüglich gilt bisher ausweislich § 38 Abs. 1 S. 1 GWB (ausschließlich) § 277 Abs. 1 HGB. Dieser Umstand führte bisher dazu, dass Unternehmen, die ihre Jahresabschlüsse ausschließlich nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften des International Financial Reporting Standards ("IFRS") erstellt haben, allein zum Zwecke der Umsatzermittlung in kartellrechtlichen Verfahren ihre Umsätze zusätzlich erneut nach den Vorschriften des HGB bestimmen mussten.

Vor diesem Hintergrund soll im Rahmen der Novelle eine Regelung eingeführt werden, nach der künftig bei der Umsatzermittlung anstelle des HGB ein anderer international anerkannter Rechnungslegungsstandard (wie etwa IFRS) maßgeblich ist, sofern ein Unternehmen vor der Anmeldung für seine regelmäßige Rechnungslegung ausschließlich diesen Standard angewendet hat (§ 38 Abs. 1 S. 2 GWB-RefE).

Sofern ein Unternehmen allerdings seinen Jahresabschluss sowohl nach HGB, als auch (freiwillig) nach IFRS erstellt, dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führt und die Frage der Anmeldepflicht hiervon abhängt, ist auch künftig auf die nach HGB ermittelten Umsatzerlöse abzustellen. Nur wenn das Unternehmen seinen Jahresabschluss tatsächlich ausschließlich auf der Grundlage der IFRS erstellt, sollen nur diese Rechnungslegungsvorschriften maßgeblich sein.

Absenkung der Presserechenklausel von Faktor 8 auf 4

Im Zusammenhang mit der Umsatzermittlung ist außerdem eine Änderung der sog. Presserechenklausel beabsichtigt. Bisher ist in § 38 Abs. 3 GWB geregelt, dass bei der Berechnung der Umsatzerlöse für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteilen ("Presseerzeugnisse") sowie für die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und den Absatz von Rundfunkwerbezeiten das Achtfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen ist.

Im Hinblick (nur) auf die Berechnung der Umsatzerlöse für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Presseerzeugnissen soll der Multiplikator auf das Vierfache der Umsatzerlöse gesenkt werden (§ 38 Abs. 3 GWB-RefE). Die Anpassung der Sonderregelung für Presserzeugnisse betrifft volkswirtschaftlich unbedeutende Fälle, zumal es sich bei den erworbenen Unternehmen typischer Weise um regionale Blätter mit geringen Umsatzerlösen handelt. Da diese zumindest hinsichtlich der selbst erstellten Lokalseiten in aller Regel nicht im Wettbewerb mit anderen (Lokal-)Zeitungen stehen, bedarf es keines Schutzes durch die Fusionskontrolle.

Anpassung der Fristen für das Hauptprüfverfahren

Des Weiteren sollen die Fristen für die Durchführung des Hauptprüfverfahrens ("Phase 2") angepasst werden. Nach § 40 Abs. 2 S. 2 GWB gilt ein Zusammenschluss bisher als freigegeben, wenn das Bundeskartellamt nicht innerhalb von vier Monaten nach Eingang der vollständigen Anmeldung den anmeldenden Unternehmen eine Verfügung über die Untersagung oder Freigabe zustellt; mithin darf das Hauptprüfverfahren bisher grundsätzlich höchstens 4 Monate dauern. Diese Frist soll ausweislich des Referentenentwurfs auf 5 Monate verlängert werden.

Die grundsätzlich bestehende Höchstfrist gilt allerdings (bereits) nach der derzeitigen Regelung ausnahmsweise nicht, wenn die anmeldenden Unternehmen einer Fristverlängerung zugestimmt haben (§ 40 Abs. 2 S. 4 Nr. 1 GWB). Im Zuge der Novelle soll diesbezüglich eine Höchstfrist eingeführt werden, wonach für den Fall einer Zustimmung der anmeldenden Parteien das Hauptprüfverfahren insgesamt nicht länger als 6 Monate dauern darf (§ 40 Abs. 2 S. 5 GWB-RefE).

Eine weitere fristverlängernde Ausnahme bleibt hingegen bestehen: Die Frist für das Hauptprüfverfahren verlängert sich um einen Monat, wenn ein anmeldendes Unternehmen in einem Verfahren dem Bundeskartellamt erstmals Vorschläge für Bedingungen oder Auflagen zur Ausräumung wettbewerblicher Bedenken unterbreitet (§ 40 Abs. 2 S. 7 GWB bzw. § 40 Abs. 2 S. 8 GWB-RefE). Dementsprechend darf das Hauptprüfverfahren künftig insgesamt nicht länger als 7 Monate dauern.  

Streichung der Vollzugsanzeige

Ferner soll die bisher gem. § 39 Abs. 6 GWB zwingend erforderliche Vollzugsanzeige künftig entfallen. Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nicht angemeldete anmeldepflichtige Zusammenschlussvorhaben weiterhin bußgeldbewehrt anzeigepflichtig bleiben. Dies wird durch eine Neufassung des bisherigen Absatz 6 klargestellt: "Anmeldepflichtige Zusammenschlüsse, die entgegen Absatz 1 Satz 1 nicht vor dem Vollzug angemeldet wurden, sind von den beteiligten Unternehmen unverzüglich beim Bundeskartellamt anzuzeigen. § 41 bleibt davon unberührt" (§ 39 Abs. 6 GWB-RefE).

Ministererlaubnis: Verschärfung der Voraussetzungen

Schließlich sollen die Voraussetzungen für die Erteilung einer sog. Ministererlaubnis geändert werden. Nach § 42 Abs. 1 S. 1 GWB kann der Bundeswirtschaftsminister auf Antrag die Erlaubnis zu einem vom Bundeskartellamt untersagten Zusammenschluss erteilen, wenn im Einzelfall die Wettbewerbsbeschränkung von gesamtwirtschaftlichen Vorteilen des Zusammenschlusses aufgewogen wird oder der Zusammenschluss durch ein überragendes Interesse der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.

Der bestehende materiellrechtliche Prüfungsmaßstab soll ausweislich des Referentenentwurfs dahingehend verschärft werden, dass das überragende Interesse der Allgemeinheit und die gesamtwirtschaftlichen Vorteile des Zusammenschlusses künftig kumulativ vorliegen müssen, um eine Ministererlaubnis zu rechtfertigen. Auch die verfahrenstechnischen Voraussetzungen für die Erteilung einer Ministererlaubnis sollen verschärft werden (vgl. § 42 Abs. 1a und 3 GWB-RefE). Die bereits in der Vergangenheit nur selten in Anspruch genommene (und noch seltener erfolgreiche) Möglichkeit der Beantragung einer Ministererlaubnis dürfte infolge dessen noch weiter an Bedeutung verlieren.

Fazit

Vor allem die Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle ist zu begrüßen, zumal auf Grund der derzeit bestehenden Regelung (zu) viele Zusammenschlussvorhaben ohne volkswirtschaftliche Bedeutung anzumelden sind. Durch die Neuregelung ist ausweislich des Referentenentwurfs eine Reduzierung der Anzahl anmeldepflichtiger Zusammenschlussvorhaben um immerhin ca. 20 % im Vergleich zu den Vorjahren zu erwarten. Auch die Anpassung der Presserechenklausel wird zu einer Verringerung der Fallzahlen um etwa 20 Verfahren jährlich im Pressebereich führen.

Die beabsichtigte Anhebung der Umsatzschwelle im Rahmen der Bagatellmarktklausel auf 20 Millionen Euro ist ebenfalls begrüßenswert, zumal hierdurch die Konsolidierungsmöglichkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen gestärkt werden. Dies gilt zumindest in dem Fall, dass lediglich ein (Bagatell-)Markt in die Betrachtung einzubeziehen ist.

Die beabsichtigten Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle werden insgesamt zu einer Entlastung insbesondere mittelständischer Unternehmen führen. Es bleibt abzuwarten, welche Änderungen der Referentenentwurf im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens noch erfahren wird.

Weitere Beiträge zur 10. GWB-Novelle:

Anspruch auf kartellbehördlichen "Comfort Letter" schafft mehr Rechtssicherheit bei Kooperationen
Im Zuge der bevorstehenden 10. GWB-Novelle ist beabsichtigt, einen Anspruch auf eine förmliche kartellbehördliche Entscheidung ("Comfort Letter") in Bezug auf Kooperationen zwischen Wettbewerbern einzuführen, um mehr Rechtssicherheit für die beteiligten Unternehmen zu schaffen.

Im Visier: Amazon, Facebook und Google
Im Zuge der bevorstehenden 10. GWB-Novelle sind zum Teil weitreichende Änderungen der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle beabsichtigt, um den Missbrauch von Marktmacht insbesondere durch große digitale Plattformen wie Amazon, Facebook und Google besser und frühzeitiger erfassen sowie verhindern zu können.