Im Visier: Amazon, Facebook und Google

 Christoph Richter

Christoph Richter

Im Zuge der bevorstehenden 10. GWB-Novelle sind zum Teil weitreichende Änderungen der kartellrechtlichen Missbrauchskontrolle beabsichtigt, um den Missbrauch von Marktmacht insbesondere durch große digitale Plattformen wie Amazon, Facebook und Google besser und frühzeitiger erfassen sowie verhindern zu können.

Im Visier: Amazon, Facebook und Google
Im Visier: Amazon, Facebook und Google

31.01.2020 | Kartellrecht

So ist u.a. beabsichtigt, dass Unternehmen, deren "überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" seitens des Bundeskartellamts förmlich festgestellt wird, einer besonderen Missbrauchsaufsicht unterworfen werden, um bspw. das "Aufrollen" noch nicht beherrschter Märkte durch solche Unternehmen frühzeitig untersagen zu können. Eine weitere wesentliche Neuerung besteht darin, dass unter Erweiterung der "essential facilities doctrine" ein Anspruch auf Zugang zu Daten, Plattformen und Schnittstellen sowie Lizensierung von Immaterialgüterrechten geschaffen werden soll, der unabhängig von einem bestehenden Vertragsverhältnis geltend gemacht werden kann.

Erfassung der Marktmacht digitaler Plattformen bei der Vermittlung des Marktzugangs für Dritte

Ausweislich des Referentenentwurfs soll hinsichtlich der Bewertung der Marktstellung eines Unternehmens ein neuer § 18 Abs. 3b eingefügt werden, um die deutlich gestiegene Bedeutung digitaler Plattformen in ihrer Funktion als Vermittler ("Intermediäre") für Dritte bei der Herstellung des Zugangs zu Beschaffungs- und Absatzmärkten ("Intermediationsmacht") besser erfassen zu können.

Da das Geschäftsmodell der Plattformbetreiber auf die Sammlung, Aggregation und Auswertung von Daten zur Vermittlung von Angebot und Nachfrage ausgerichtet ist, sind die (Dritt-)Anbieter auf diesen Plattformen auf ein möglichst vorteilhaftes "Listing" bzw. "Ranking" angewiesen. Hierauf könn(t)en Plattformbetreiber Einfluss nehmen und im Extremfall sogar die vollständige Kontrolle über den Marktzugang von (Dritt-)Anbietern gewinnen. Die Erfassung der hieraus resultierenden – missbrauchsanfälligen – Machtposition der Plattformbetreiber war (zwar) bereits nach dem derzeit geltenden Recht möglich, soll nunmehr aber ausdrücklich gesetzlich geregelt werden.

Erweiterung der "essential facilities doctrine" – Anspruch auf Zugang zu Daten

Des Weiteren soll die "essential facilities doctrine" erweitert werden. Während bisher die missbräuchliche Zugangsverweigerung insbesondere zu physischer Infrastruktur (bspw. Häfen) erfasst ist, soll künftig auch eine Verweigerung des Zugangs zu Daten, Plattformen und Schnittstellen sowie die Verweigerung der Lizensierung von Immaterialgüterrechten den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung begründen können (§ 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE).

Anwendungsfälle könnten etwa darin bestehen, dass ein (Dritt-)Anbieter (der noch keine Vertragsbeziehung zu einem Plattformbetreiber hat), Zugang zu individualisierten oder aggregierten Nutzer- bzw. Nutzungsdaten benötigt, um ein innovatives komplementäres Angebot auf die Bedürfnisse der Nutzer anpassen oder Nutzerbedürfnisse besser vorhersagen zu können.

Wenngleich die Zugangsgewährung ausweislich der Formulierung in § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE im Gegenzug (weiterhin) grds. ein "angemessenes Entgelt" erfordert, soll ausweislich der Begründung des Referentenentwurfs nicht ausgeschlossen sein, dass insbesondere beim Zugang zu Daten auch eine unentgeltliche Zugangsgewährung in Betracht kommt. Zu berücksichtigen ist im Übrigen, dass das marktbeherrschende Unternehmen den Zugang mit einer sachlichen Rechtfertigung abwehren kann.

Besondere Missbrauchsaufsicht über Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb

Das Kernstück der Neuerungen im Bereich der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht besteht in der geplanten Einführung einer Ermächtigungsgrundlage (§ 19a GWB-RefE), die dem Bundeskartellamt im Rahmen einer besonderen Missbrauchsaufsicht eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalkonzerne ermöglichen soll, denen eine "überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb" zukommt.

Die Ermächtigungsgrundlage zielt auf Unternehmen ab, die nicht nur (bereits) eine beherrschende Stellung auf einzelnen Plattform- oder Netzwerkmärkten im Sinne des § 18 Absatz 3a GWB innehaben, sondern die auf Grund ihrer Zugangsmöglichkeit zu Daten, infolge von Netzwerkeffekten, in Ansehung ihrer Ressourcen und der strategischen Positionierung auch erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter auf anderen Märkten nehmen können bzw. die eigene Geschäftstätigkeit in immer neue Märkte und Sektoren ausweiten, m. a. W. auf Amazon, Facebook und Google.

Die Regelung ist dabei so ausgestaltet, dass ein missbräuchliches Verhalten (i. S. d. § 19 Abs. 2 GWB-RefE) nur verboten werden kann, wenn das Bundeskartellamt auf der Grundlage der in § 19a Abs. 1 GWB-RefE genannten Voraussetzungen die überragende marktübergreifende Bedeutung des betroffenen Unternehmens ausdrücklich feststellt. Die Regelung gilt also nicht unmittelbar, sondern erst nach einer förmlichen Verfügung des Bundeskartellamts, die die betroffenen Märkte und die vom Verbot erfassten Verhaltensweisen im Einzelfall konkretisiert.

Sofern das Bundeskartellamt die überragende marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens feststellt, kann es die folgenden Verhaltensweisen verbieten:

Das Bundeskartellamt kann die vorgenannten Verhaltensweisen im Einzelfall allerdings nicht verbieten, soweit diese sachlich gerechtfertigt sind. Die einzelnen Missbrauchstatbestände sind dabei als widerlegliche Vermutung ausgestaltet, d.h. die Darlegungs- und Beweislast für die sachliche Rechtfertigung obliegt den Normadressaten. Folglich muss das Bundeskartellamt (im Unterschied zu §§ 19 und 20 GWB) die Verwirklichung eines Missbrauchstatbestandes nicht aktiv ermitteln und darlegen.

Es ist davon auszugehen, dass die Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb nur für wenige Unternehmen wie Amazon, Facebook oder Google in Betracht kommt und § 19a GWB-RefE daher einen eng begrenzten Adressatenkreis haben wird. Die betroffenen Unternehmen unterliegen im Übrigen, auch bei der Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb, weiterhin den allgemeinen Missbrauchsvorschriften, d.h. §§ 19 und 20 GWB sind grds. parallel anwendbar.

Auch große Unternehmen können von relativ marktmächtigen Unternehmen abhängig sein

Darüber hinaus soll der Schutzbereich des § 20 Abs. 1 GWB auf große Unternehmen ausgeweitet werden, zumal nicht nur kleine und mittlere Unternehmen ("KMU"), sondern auch große Unternehmen von relativ marktmächtigen Unternehmen abhängig sein können (§ 20 Abs. 1 GWB-RefE). Die Abhängigkeit eines großen Unternehmens von einem relativ marktmächtigen Unternehmen ist etwa dann denkbar, wenn das große Unternehmen auf den Zugang zu Daten auf der digitalen Plattform eines relativ marktmächtigen Unternehmens angewiesen ist. Die Erweiterung des Schutzbereichs des § 20 Abs. 1 GWB soll für alle Wirtschaftsbereiche und nicht nur für die digitale Wirtschaft gelten.

Die Neuregelung soll allerdings nur dann greifen, wenn zwischen den Vertragspartnern eine "deutliche Asymmetrie" vorliegt, d.h. wenn das abhängige Unternehmen im Hinblick auf das konkrete Vertragsverhältnis nicht mit einer entsprechenden Gegenmacht ausgestattet ist. Eine deutliche Asymmetrie kommt insbesondere in Betracht, wenn die Beendigung einer Vertragsbeziehung für die Vertragspartner sehr unterschiedliche Folgen hätte, zum Beispiel im Hinblick auf die relative Bedeutung der wegfallenden Umsätze zu den Gesamtumsätzen. Dies kann bspw. bei einer Zulieferbeziehung im Bereich Automotive der Fall sein, wenn die Vertragspartner eine hochspezialisierte Leistung vereinbaren und hiermit nicht ohne Weiteres auf andere Anbieter oder Nachfrager ausweichen können, etwa weil das Vertragsprodukt zunächst (zeit-)aufwendig zertifiziert werden muss. Die Beendigung dieses Vertragsverhältnisses kann für den Zulieferer umsatztechnisch gravierender ausfallen, als für den Automobilhersteller.

Anspruch auf Zugang zu wettbewerblich relevanten Daten

Überdies soll mit § 20 Abs. 1a GWB-RefE ein begrenzter Anspruch auf Datenzugang neu eingeführt werden, der bestimmte Konstellationen erfasst, in denen dem Zugang zu Daten aus wettbewerblicher Sicht eine besondere Bedeutung zukommt. Erfasst werden sollen insbesondere Vertragsverhältnisse innerhalb von Wertschöpfungsnetzwerken, d.h. in komplexen Multi-Stakeholder-Konstellationen in Aftermarket- und Internet-of-Things-Kontexten, in denen oftmals vielfältige Leistungen von unterschiedlichen Anbietern angeboten werden. Sofern hierbei von den beteiligten Unternehmen gemeinsame Wertschöpfungsbeiträge erbracht werden, sollen auch die entstehenden Daten gemeinsam unter Berücksichtigung der jeweiligen Beiträge genutzt werden können. Die Neuregelung zielt dabei auf Fälle ab, in denen die Markt- und Verhandlungsmacht zwischen den beteiligten Unternehmen ungleich verteilt ist und das marktmächtigere Unternehmen innerhalb des Wertschöpfungsnetzwerks seinem Vertragspartner kein (vertragliches) Zugangsrecht einräumt.

Der Zugangsanspruch soll insbesondere begrenzt sein auf die beim Vertragspartner vorliegenden und diesem ebenfalls zur Verfügung stehenden Daten, weil nur dann unter Billigkeitsgesichtspunkten ein Anspruch auf Zugang gerechtfertigt erscheint. Der Anspruch schließt dabei aber auch solche Daten ein, die erst zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen oder von personenbezogenen Daten bereinigt werden müssen. Grundsätzlich nicht erfasst werden sollen hingegen Konstellationen, in denen die Erhebung von noch nicht vorliegenden Daten verlangt wird.

Konstellationen, in denen unabhängig von einem geleisteten Wertschöpfungsbeitrag und ohne ein bestehendes Vertragsverhältnis der Zugang zu Daten begehrt wird, sollen ausweislich des Referentenentwurfs hingegen von § 20 Abs. 1a GWB-RefE tendenziell nicht erfasst sein; in diesen Fällen kommt aber ggf. ein Zugangsanspruch gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 GWB-RefE, also auf der Grundlage der "essential facilities doctrine" (s.o.) in Betracht.

Verhinderung des Kippens von Märkten infolge von gezielten Behinderungsstrategien

Schließlich soll mit § 20 Abs. 3a GWB-RefE ein neuer Eingriffstatbestand zur Verringerung der wettbewerblichen Probleme durch das Kippen ("Tipping") bestimmer Märkte eingeführt werden. Hierunter versteht man die Umwandlung eines durch starke positive Netzwerkeffekte geprägten Marktes mit mehreren Anbietern zu einem monopolistischen bzw. hochkonzentrierten Markt.

Sofern ein "Tipping" nicht aus einem (kartellrechtlich nicht zu beanstandenden) Leistungswettbewerb resultiert, sondern Folge von gezielten Behinderungsstrategien einzelner Unternehmen ist, soll dies künftig mit den Mitteln der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht frühzeitig verhindert werden können, zumal ein einmal erfolgtes Tipping praktisch nicht rückgängig zu machen ist. Der Eingriffstatbestand knüpft systematisch an § 20 Abs. 3 GWB an, wodurch Unternehmen mit überlegener Marktmacht zu Normadressaten werden. Hierdurch wird ein Eingreifen bereits möglich, wenn ein betroffenes Unternehmen noch nicht die Schwelle zur Marktmacht überschritten hat.

Der Anwendungsbereich des Sondertatbestandes ist beschränkt und soll nur mehrseitige Märkte und Netzwerke im Sinne von § 18 Abs. 3a GWB (etwa den Markt für soziale Medien) erfassen und auf positive Netzwerkeffekte (bzw. deren Behinderung) abstellen. Erfasste Verhaltensweisen sind insbesondere das Verbot oder die Behinderung der parallelen Nutzung mehrerer Plattformen ("Multi-Homing") und die Erschwerung von Plattformwechseln.

Fazit

Wenngleich die beabsichtigten Neuerungen im Bereich der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht zunächst etwas theoretisch anmuten dürften und bei einigen Neuregelungen wie insbesondere § 19a GWB-RefE nur wenige Normadressaten wie Amazon, Facebook und Google in Betracht kommen, werden sie allein in Ansehung der Vielzahl von (Dritt-)Anbietern auf digitalen Plattformen – man denke nur an die bei Amazon vertretenen Hersteller und Händler – eine erhebliche praktische Bedeutung entwickeln. So dürften bspw. die beabsichtigten Ansprüche auf Datenzugang für viele Drittanbieter auf digitalen Plattformen von besonderem Interesse sein, zumal die bei den Plattformbetreibern vorhandenen und miteinander verknüpften Datensammlungen oftmals den entscheidenden wettbewerblichen Unterschied ausmachen.

Weitere Beiträge zur 10. GWB-Novelle:

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10. GWB-Novelle: Änderungen bei der Fusionskontrolle geplant
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