Rechtliche Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferbeziehungen

Dr. Benjamin Baisch

Dr. Benjamin Baisch

Dr. Marius Mann MBA, M.Jur. (Oxford)

Dr. Marius Mann MBA, M.Jur. (Oxford)

 Ute Schenn

Ute Schenn

Der Coronavirus und die damit einhergehenden Vorsichtsmaßnahmen haben erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Betriebsstörungen, krankheits- und quarantänebedingter Personalmangel sowie Reiseverbote führen zu Störungen in der Liefer- und Beschaffungskette. Die sich daraus ergebenden rechtlichen Fragen beantworten wir nachstehend.

Rechtliche Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferbeziehungen
Rechtliche Auswirkungen des Coronavirus auf Lieferbeziehungen

18.03.2020 | Commercial

Der Coronavirus und die mit ihm einhergehenden – zum Teil behördlich angeordneten – Vorsichtsmaßnahmen führen bekanntermaßen nicht nur zu einer erheblichen Einschränkung des öffentlichen Lebens, sondern haben große wirtschaftliche Auswirkungen. Trotz mittlerweile ein- und durchgeführter Grenzkontrollen und Grenzschließungen ist zumindest der freie Warenverkehr – jedenfalls in Europa – weiterhin gesichert. Jedoch können insbesondere Betriebsschließungen und Betriebsstörungen, krankheits- und quarantänebedingter Personalmangel, Einreiseverbote, Veranstaltungsabsagen und die Schließung öffentlicher Einrichtungen für erhebliche Störungen in der Liefer- und Beschaffungskette sorgen. Industrie- und Handelsverbände rechnen mit Lieferengpässen und steigenden Fertigungskosten. Die drängendsten Fragen beantworten wir nachstehend.

Welche Auswirkungen hat eine behördlich veranlasste Betriebsschließung auf bestehende Lieferpflichten?

Im Extremfall kann es aufgrund des Coronavirus zu vorübergehenden Betriebsschließungen durch behördliche Verfügung kommen. Ist das der Fall, so stellt dies für den betroffenen Lieferanten einen Fall der höheren Gewalt („force majeure“) dar. Unter höherer Gewalt versteht man weithin ein von außen auf den Betrieb einwirkendes Ereignis, das auch durch die äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht vorausgesehen und verhütet werden konnte (BGH X ZR 142/15, NJW 2017, 2677).

Folge einer solchen vorübergehenden Betriebsschließung ist, dass der Lieferant von seiner Lieferpflicht befreit ist, solange die behördliche Betriebsschließung dauert. Ob der Lieferant nach Aufhebung der Betriebsschließung die unterbliebene Lieferung nachholen muss, hängt davon ab, ob die Parteien den vereinbarten Lieferzeitpunkt als so wesentlich angesehen haben, dass eine verspätete Lieferung nicht mehr den Vertragszweck erfüllt (sog. absolute Fixschuld). War Letzteres der Fall, wird der Lieferant endgültig von seiner Lieferpflicht frei und muss die Lieferung auch nach Aufhebung der Betriebsschließung nicht nachholen (§ 275 Abs. 1 BGB).

Bei Dauerlieferpflichten (etwa bei Rahmenlieferverträgen) ist der Lieferant von seiner Lieferpflicht jedenfalls befreit, solange die behördliche Betriebsschließung andauert. Die während der Betriebsschließung unterbliebenen Lieferungen muss er in der Regel nicht nachholen; die erst nach der Aufhebung der Betriebsschließung fällig werdenden Lieferpflichten muss der Lieferant erfüllen, sofern der Rahmenliefervertrag zuvor nicht durch Kündigung beendet wurde.

Braucht der Lieferant wegen Unmöglichkeit endgültig nicht zu liefern, verliert er allerdings grundsätzlich auch seinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten Kauf- bzw. Lieferpreises. Hat der Auftraggeber – etwa aufgrund einer Vorauszahlung – bereits gezahlt, steht ihm ein Rückforderungsrecht zu (§ 326 Abs. 4 BGB). Diese Rechtsfolge lässt sich auch nicht durch eine für den Lieferanten günstige Regelung in den AGB abbedingen, da es sich um wesentliche Grundgedanken der Rechtsgeschäftslehre handelt. Eine entsprechende Gestaltung in Musterverträgen oder AGB wäre unwirksam.

Wird der Lieferant in einer Lieferkette automatisch von seiner Lieferpflicht frei, wenn der Zulieferer ihn nicht beliefert?

Nein, hier ist Vorsicht geboten, da ein solcher Automatismus gerade nicht besteht. Vielmehr muss sich der Lieferant darum bemühen, die entsprechenden Teile anderweitig – ggf. auch unter Inkaufnahme zumutbarer finanzieller Mehraufwendungen – von einem Wettbewerber des Lieferanten oder einem sonstigen Alternativlieferanten zu beschaffen. Erst wenn diese Neubeschaffung für den Lieferanten mit (grob) unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist, wird der Lieferant ggf. von seiner Lieferpflicht frei oder kann ggf. eine Anpassung des Kauf- oder Lieferpreises verlangen (§§ 313, 275 Abs. 2 BGB). Dies hängt vom Einzelfall ab und bedarf anwaltlicher Prüfung.

Wie ist die Rechtslage unter Geltung des CISG zu beurteilen?

Wenn in einem internationalen Liefervertrag die Geltung der United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods nicht ausdrücklich ausgeschlossen wurde, findet neben dem anwendbaren nationalen Recht auch die United Nations Convention on Contracts for the International Sale of Goods (CISG oder auch UN-Kaufrecht) auf den Liefervertrag Anwendung. Art. 79 CISG befasst sich mit Hinderungsgründen außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners. Dazu zählen auch Fälle der höheren Gewalt. Anders als nach dem BGB ist die Folge höherer Gewalt jedoch nicht ein Freiwerden von der Leistungspflicht, sondern es besteht lediglich während der Zeit des Hinderungsgrundes keine Einstandspflicht für die Nichterfüllung. Das bedeutet, dass der Lieferant seinem Auftraggeber keinen Schadensersatz leisten muss, wenn er während der behördlich angeordneten Betriebsschließung nicht liefert.

Voraussetzung ist jedoch auch hier eine Unvermeidbarkeit des Leistungshindernisses. Der Lieferschuldner muss bis zur Zumutbarkeitsgrenze alternative Erfüllungsmöglichkeiten suchen und wahrnehmen und dabei auch (erhebliche) zusätzliche Aufwendungen und Kosten in Kauf nehmen. Wo die Zumutbarkeitsgrenze verläuft, ist im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden.

Was ist zu beachten, wenn der Liefervertrag eine Force Majeure-Klausel enthält?

In Lieferverträgen ist häufig geregelt, dass in Fällen höherer Gewalt die Leistungspflichten beider Parteien suspendiert sind, solange die höhere Gewalt andauert. Die meisten Force Majeure-Klauseln enthalten nur eine Klarstellung der ohnehin geltenden und oben dargestellten Gesetzeslage.

Soweit diese Klauseln die Gesetzeslage lediglich klarstellen, gilt das bereits Ausgeführte. Soweit die Klauseln ergänzende Regelungen enthalten, muss im Einzelfall geprüft werden, ob diese Ergänzungen wirksam sind und welche Abweichungen sich daraus ergeben.

Befinden sich Lieferanten in Verzug, die ihren Betrieb schließen oder wegen Personalmangels nicht lieferfähig sind?

Unter Verzug versteht man die schuldhafte Nichtleistung des Lieferanten trotz Fälligkeit und Mahnung, wobei die Mahnung im Einzelfall entbehrlich sein kann. Verzug setzt die Möglichkeit einer Lieferung voraus und ist daher nur außerhalb von Fällen der Unmöglichkeit denkbar.

In Lieferbeziehungen wird oftmals ein konkreter Liefertermin vereinbart. Hält der Lieferant einen vereinbarten Liefertermin nicht ein, gerät er grundsätzlich in Verzug. Allerdings muss der säumige Lieferant die Verzögerung verschuldet haben, das bedeutet, die Lieferverzögerung muss auf Vorsatz oder Fahrlässigkeit des Lieferanten beruhen. Sofern ein Betrieb aufgrund einer behördlichen Verfügung geschlossen wird, dürfte ein solches Verschulden in der Regel fehlen. Gerade in Fällen der Betriebsschließung aufgrund einer Empfehlung ist dies allerdings nicht so eindeutig. Daher wird eine Prüfung im Einzelfall erforderlich sein, um festzustellen, ob der Lieferschuldner mit Verzugsfolgen zu rechnen hat.

Auch beim Ausfall von Personal ist nicht automatisch von einer Lieferbefreiung wegen Unmöglichkeit auszugehen. Der betroffene Lieferant muss sich grundsätzlich um entsprechende Aushilfskräfte oder Leiharbeiter bemühen, ggf. auch unter Inkaufnahme von finanziellem Mehraufwand. Zudem kann vom Lieferanten auch eine innerbetriebliche Umstrukturierung verlangt werden, um Lieferengpässe und Lieferausfälle zu vermeiden. Unternimmt der Lieferant in diese Richtung keine Bemühungen, besteht die Gefahr, dass er in Lieferverzug gerät.

Macht sich ein Lieferant, der nicht leisten kann, schadensersatzpflichtig?

Schadensersatz setzt voraus, dass den Lieferanten, der nicht leisten kann, ein Verschulden trifft. Unter Verschulden versteht man Vorsatz und Fahrlässigkeit. In Fällen der höheren Gewalt – z. B. behördliche Betriebsschließungen aufgrund der Coronavirus-Pandemie – ist ein Verschulden ausgeschlossen. Eine Schadensersatzpflicht im Zusammenhang mit dem Coronavirus kommt daher nur in Betracht, wenn das Leistungshindernis auf einen Umstand aus der Risikosphäre des Lieferschuldners zurückzuführen ist. Was hierunter fällt, bedarf ebenfalls einer Einzelfallprüfung. Eine Schadensersatzpflicht des Lieferanten ist daher z. B. denkbar, wenn er rein vorsorglich, ohne behördliche Anordnung seinen Betrieb schließt oder es unterlässt, sich um geeignete und verfügbare Aushilfskräfte oder Leihmitarbeiter zu bemühen oder er ggf. auf der Hand liegenden Informationspflichten ggü. dem Kunden nicht nachkommt.

Was ist zu beachten, wenn neue Verträge abgeschlossen werden?

Hier kommt es entscheidend auf den Wissensstand um die eigenen Liefermöglichkeiten an. Weiß der Lieferant bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses von der Unmöglichkeit seiner Leistung, ist der Vertrag zwar wirksam, doch drohen ihm dann Schadensersatzansprüche des Vertragspartners (§ 311a BGB). Bestehen bei Vertragsschluss hingegen noch keine Liefereinschränkungen, ist es aber auch nicht völlig ausgeschlossen, dass es in Zukunft aufgrund der Corona-Problematik zu Lieferengpässen oder Lieferausfällen kommen kann, so empfiehlt es sich, die Thematik frühzeitig zu adressieren und durch entsprechende Regelungen im Vertrag aufzufangen. Dies kann z. B. durch entsprechende Hinweise im Angebot oder im Vertrag selbst erfolgen.

Bestehen Kündigung- oder Rücktrittsrechte für Lieferant oder Auftraggeber?

Insoweit ist zwischen Rahmenverträgen und Einzelverträgen wie folgt zu unterscheiden:

- Einzelne Liefer- bzw. Kaufverträge

Bei Lieferverzögerungen kann ein Auftraggeber vom Vertrag zurücktreten, wenn er dem Lieferanten eine angemessene Frist zur Lieferung gesetzt und der Lieferant nicht innerhalb der gesetzten Frist geliefert hat. Wenn dem Lieferanten die Lieferung sogar unmöglich ist, kann der Auftraggeber ohne Fristsetzung, also sofort, vom Vertrag zurücktreten. Da der Auftraggeber in der Regel nicht wissen wird, ob dem Lieferanten die Lieferung unmöglich ist, wird er dem Lieferanten eine Frist zur Lieferung setzen, nach deren erfolglosem Ablauf er dann vom Vertrag zurücktreten kann.

Sofern der Lieferant schon einen Teil der vertraglich geschuldeten Leistung erbracht hat und lediglich die Restleistung wegen des Coronavirus noch nicht erbracht ist, kann der Auftraggeber unter den vorgenannten Voraussetzungen in jedem Fall von der noch nicht erbrachten Restleistung zurücktreten. Von der bereits erbrachten Teilleistung kann der Lieferant hingegen nur zurücktreten, wenn er an der erbrachten Teilleistung kein Interesse hat.

Führt die Corona-Problematik zu Störungen des Verhältnisses von Lieferung und Kaufpreis, so kann auch dem Lieferanten bei Unzumutbarkeit einer Vertragsanpassung, als grundsätzlich benachteiligter Vertragspartei, ein Rücktrittsrecht zustehen. Einzelheiten sind auch insoweit einzelfallabhängig zu beurteilen.

Darüber hinaus können die Parteien im Liefervertrag weitere Rücktrittsrechte vereinbart haben. Diese stehen den Parteien dann unter den im Liefervertrag geregelten Voraussetzungen zu.

- Rahmenlieferverträge

Rahmenlieferverträge sind Dauerschuldverträge. Wenn Dauerschuldverträge wegen höherer Gewalt längere Zeit nicht erfüllt werden können, steht grundsätzlich jeder Vertragspartei ein Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund zu (§ 314 BGB). Allerdings ist die Kündigung wegen wesentlicher Änderung der Verhältnisse dann ausgeschlossen, wenn sich die Störung durch Vertragsanpassung beseitigen lässt und beiden Parteien die Fortsetzung des Vertrags zuzumuten ist (Grüneberg, in Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 314 Rn. 9). Es dürfte wohl vielfach eine Anpassung des Rahmenliefervertrags möglich und insbesondere in langjährigen Vertragsbeziehungen aufgrund der Besonderheit der Situation im Zusammenhang mit dem Corona-Virus auch zumutbar sein, womit eine außerordentliche Kündigung häufig ausscheiden sollte. Dies ist jedoch vom Einzelfall abhängig und bedarf ebenfalls einer konkreten Prüfung unter Beachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls.

In Rahmenlieferverträgen kann auch vereinbart sein, dass die Parteien nach einer bestimmten Dauer der höheren Gewalt (z.B. 4 Wochen) berechtigt sind, den Rahmenliefervertrag zu kündigen. Solche Regelungen können wirksam vereinbart werden. Falls ein solches Kündigungsrecht besteht, kann der Rahmenliefervertrag entsprechend der vertraglichen Regelung von jeder Partei gekündigt werden.