Totgesagte leben länger: Das Comeback der Mindestsatzklage

 Gerrit Sieber

Gerrit Sieber

Die Mindestsatzklage ist nach dem Urteil des EuGH vom 18. Januar 2022 (Rs. C-261/20) wieder zurück. Der EuGH hat entschieden, dass Gerichte die unionsrechtswidrigen HOAI-Mindestsatzregelungen doch noch anwenden dürfen. Planer können somit die Mindestsätze weiterhin einklagen.

Totgesagte leben länger: Das Comeback der Mindestsatzklage
Totgesagte leben länger: Das Comeback der Mindestsatzklage

21.01.2022 | Bau- und Immobilienrecht

Das Unionsrecht steht HOAI-Mindestsatzklagen nicht entgegen. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit dem Urteil vom 18. Januar 2022 (Rs. C-261/20) überraschend entschieden.

Der Streitstand

Der Entscheidung liegt ein Rechtsstreit zugrunde, in welchem ein Planer die Zahlung der Mindestsätze nach der HOAI 2013 forderte, obwohl er mit seinem Auftraggeber ein geringeres Pauschalhonorar vereinbart hatte. In den Instanzen bekam er Recht, weshalb die Beklagte Revision beim Bundesgerichtshof (BGH) einlegte.

Der BGH vermochte allerdings keine Entscheidung zu treffen, da unklar war, wie sich die Rechtsprechung des EuGH auf diesen Fall auswirkt. Der EuGH hatte die Mindestsatz-Regelungen der HOAI 2013 wegen Verstoßes gegen die Dienstleistungsrichtlinie mit Urteil vom 14. Juli 2019 für europarechtswidrig erklärt. Dabei war jedoch die Frage unbeantwortet geblieben, ob die Mindestsatzregelungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten weiterhin angewendet werden dürfen. Hierfür ist vor allem entscheidend, ob die Dienstleistungsrichtlinie unmittelbare Wirkung für die Privaten entfaltet oder nicht.

In der Folge entbrannte ein Streit über die Beantwortung dieser Frage. So wollten beispielsweise das OLG Hamm (Urteil vom 23. Juli 2019, 21 U 24/18) und das OLG München (Beschluss vom 8. Oktober 2019, 20 U 94/19) die Mindestsatzregelungen zwischen Privaten weiterhin anwenden. Das OLG Celle (Urteil vom 8. Januar 2020, 14 U 96/19) und das OLG Schleswig (Urteil vom 25. Oktober 2019, 1 U 74/18) meinten hingegen, dass eine Anwendung zwischen Privaten aufgrund des Verstoßes gegen europäisches Gemeinschaftsrecht nicht mehr möglich sei.

Zur Klärung dieser Frage legte der BGH diese dem EuGH vor. Hierauf schlug der Generalanwalt Maciej Szpunar dem EuGH im Juli 2021 vor, die Vorabentscheidungsfragen des BGH dahingehend zu beantworten, dass die Mindestsatzregelungen zwischen Privaten keine Anwendung mehr finden dürfen. Diese verstießen gegen die Dienstleistungsrichtlinie, welche auch zwischen Privaten unmittelbare Anwendung entfalte. Da der EuGH den Vorschlägen des Generalanwalts in den meisten Fällen folgt, wurde ein entsprechendes Urteil erwartet.

Die Entscheidung des EuGH

Der EuGH entschied jedoch überaschenderweise anders. Nach dem EuGH sind die Mindestsatzregelungen in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privaten weiterhin anwendbar. Planer können somit die Mindestsätze einklagen, obwohl sie eine anderslautende Honorarvereinbarung getroffen haben. Der EuGH begründet seine Entscheidung damit, dass sich eine Richtlinie der Europäischen Union nur an den Mitgliedsstaat richte und dem Einzelnen keine Verpflichtungen auferlegen könne. Von diesem Grundsatz hatte der EuGH zwar in früheren Verfahren eine Vielzahl von Ausnahmen gemacht, welche in der nunmehrigen Entscheidung jedoch nicht mehr erwähnt werden. Damit drängt der EuGH die Bedeutung des Unionsrechts im Verhältnis zum nationalen Recht deutlich zurück.

Weiterhin führt der EuGH aus, dass die geschädigte Partei gegebenenfalls vom Staat den Ersatz eines durch die europarechtswidrigen Mindestsatzregelungen entstandenen Schadens verlangen könne.

Auswirkungen des Urteils

Für die deutschen Gerichte bedeutet diese Entscheidung endlich Rechtsklarheit. Sie dürfen sich nun allerdings auf eine Vielzahl von Mindestsatzklagen gefasst machen, welche bisher aufgrund der unsicheren Rechtslage noch nicht erhoben wurden. Auch die wegen der unsicheren Rechtslage ruhenden Verfahren werden wieder aufgenommen.

Die Auftraggeber dürften das Urteil zähneknirschend zur Kenntnis genommen haben, wohingegen auf Seiten der Planer Freude herrschte. So kommentierte Heinrich Bökamp, der Präsident der Bundesingenieurkammer, das Urteil wie folgt: "Im Sinne der Planerinnen und Planer, aber vor allem im Sinne des Verbraucherschutzes, ist die heutige Entscheidung des EuGH grundsätzlich eine gute Entscheidung.".

Für Planerverträge, welche ab dem 1. Januar 2021 geschlossen wurden, hat das Urteil übrigens keine Relevanz. Für diese gilt die HOAI 2021, in welcher es keine verbindlichen Mindestsätze mehr gibt.