Eigenbedarfskündigung nach Wohnungserwerb: rechtsmissbräuchlich und unwirksam?

 David Salm

David Salm

Käufer einer vermieteten Wohnung konnten bisher sichergehen, dass sie die erworbene Wohnung auf eine Eigenbedarfskündigung hin selbst würden nutzen können. Diesen Grundsatz stellt das Amtsgericht Charlottenburg nun in zwei Entscheidungen infrage. Diese reihen sich in eine wachsende Sammlung von Einschränkungen ein, welche die Möglichkeiten zum Erwerb einer eigengenutzten Bestandswohnung immer weiter einschränken. Ein rechtssicherer Erwerb von selbst genutztem Wohnungseigentum ist so zusehends nur noch im Bereich des Neubaus möglich, was indes eigene Schwierigkeiten bereitet.

Eigenbedarfskündigung nach Wohnungserwerb: rechtsmissbräuchlich und unwirksam?
Eigenbedarfskündigung nach Wohnungserwerb: rechtsmissbräuchlich und unwirksam?

27.07.2022 | Bau- und Immobilienrecht

I. Einleitung

Der Weg zur eigengenutzten Immobilie ist mühsam und kostspielig. Ein anhaltend hohes Preisniveau, begleitet von anziehenden Finanzierungskosten und explodierenden Baupreisen macht den Neubau-Erwerb vom Bauträger für viele Kaufinteressenten nahezu unmöglich. Attraktiv scheint da die Alternative, eine Bestandswohnung oder ein in die Jahre gekommenes Haus vergleichsweise preisgünstig zu erwerben. Häufig sind diese Immobilien zwar vermietet (und das auch noch zu aus der Zeit gefallenen Konditionen). Doch dies scheint auf den ersten Blick kein Problem zu sein, eröffnet doch § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB die Möglichkeit, den Mietvertrag zu kündigen, wenn „der Vermieter die Räume als Wohnung für sich […] benötigt“. Diese sogenannte Eigenbedarfskündigung ist auch vielen Rechtslaien ein Begriff. In der Bevölkerung dürfte die Rechtsauffassung vorherrschen, dass der Vermieter bei (tatsächlich bestehendem) Eigenbedarf zur Kündigung des Mietvertrages berechtigt ist. Weiter dürfte bekannt sein, dass bei lang bestehenden Mietverhältnissen hierzu lange Kündigungsfristen bestehen; zudem, dass es soziale Abpufferungen und Härtefallregelungen (§ 574 BGB) gibt, die den Auszug des Mieters weiter verzögern können. Sind jedoch all diese Hürden, die der Gesetzgeber aus guten Gründen des Mieterschutzes eingezogen hat, eines Tages überwunden, so ist der Weg zur eigenen Wohnung endlich frei. Könnte man jedenfalls meinen. Der Blick ins Gesetz scheint diese Auffassung zu bestätigen: zu Ausnahmen schweigt sich § 573 BGB aus; das Kündigungsrecht scheint ohne weitere Voraussetzungen zu gelten.

II. Erwerb einer vermieteten Eigentumswohnung zum Zwecke der Eigennutzung: Rechtsmissbrauch?

Das Amtsgericht Charlottenburg hat indes durch Urteile vom 05.09.2019 (Az. 230 C 45/19) und vom 15.03.2021 (Az. 237 C 234/20; frei verfügbar auf openjur.de unter der Kennung 2021, 31430) entschieden, dass die Eigenbedarfskündigung einer Wohnung rechtsmissbräuchlich und daher gemäß § 242 BGB bereits deshalb unwirksam sein kann, weil die Wohnung gerade zu dem Zweck erworben wurde, diese selbst zu bewohnen. Mit diesen Urteilen setzt sich das Amtsgericht Charlottenburg in Widerspruch zur ganz herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung. Nach dieser kommt die Unwirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung auf der Grundlage von § 242 BGB in Ansehung der zahlreichen spezialgesetzlichen Mieterschutzvorschriften, welche als ausreichend angesehen werden, nur in ganz seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Mit der hierzu einschlägigen Rechtsprechung setzt sich das Amtsgericht Charlottenburg indes nicht auseinander, sondern stellt vielmehr ohne weitere Begründung fest:

„Jemand, der in Eigennutzungsabsicht eine vermietete Wohnung erwirbt, greift damit willkürlich und ohne zwingende Notwendigkeit in rechtsmissbräuchlicher Weise in die grundgesetzlich geschützte Rechtsposition des langjährigen Mieters ein.

Denn er könnte ja ohne jegliche Beeinträchtigung von Rechten Dritter eine unvermietete Wohnung erwerben. Allein der finanzielle Vorteil bei Erwerb einer vermieteten Wohnung vermag den erheblichen Grundrechtseingriff nicht zu rechtfertigen.“ (Urt. v. 15.03.2021, 237 C 234/20, openjur, Rn. 27 f.).

Ob diese Begründung die nächste(n) Instanz(en) überzeugen kann, sei dahingestellt. Dennoch sollten die Urteile Kaufinteressenten von Wohnungen aufhorchen lassen. Denn sie reihen sich in eine wachsende Sammlung an Rechtsvorschriften und Entscheidungen ein, welche die Möglichkeiten von Kaufinteressenten, eine Bestandswohnung zur Eigennutzung zu erwerben, immer weiter einschränken.

III. Weitere Einschränkungen für den Erwerb von Bestandswohnungen

Das Amtsgericht führt aus, der Kaufinteressent „könnte ja ohne jegliche Beeinträchtigung von Rechten Dritter eine unvermietete Wohnung erwerben“. Dies ist Kaufinteressenten aber regelmäßig gerade nicht möglich. Denn gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 Nr. 4 ZwVbG BE i. V. m. § 1 Abs. 1 ZwVbVO BE ist es bei Androhung von Bußgeld und Zwangsmaßnahmen im Lande Berlin verboten, eine Wohnung mehr als drei Monate leerstehen zu lassen. Ähnliche Regelungen bestehen in Hamburg, München, Köln, Düsseldorf und zahlreichen anderen Großstädten. Dementsprechend können Bestandswohnungen nur in einem einzigen Fall leerstehend erworben werden: Wenn der Voreigentümer die Wohnung selbst bewohnt hat. Wird die Wohnung irgendwann einmal vermietet (z.B. weil der vormalige Eigennutzer diese selbst nicht mehr benötigt, sie aber auch noch nicht verkaufen möchte), ist sie für die Zwecke der Eigennutzung nach Auffassung des Amtsgerichts Charlottenburg im Wesentlichen unwiederbringlich verloren.

Denkt man dies zu Ende, so hätte das Urteil des Amtsgerichts, wenn es denn Bestand hätte (es ist noch nicht rechtskräftig), langfristig zur Folge, dass sich die in Deutschland im europäischen Vergleich ohnehin bereits äußerst niedrige Eigentumsquote weiter absenken würde. Denn Bestandswohnungen könnten dann effektiv nur noch als Anlageobjekte gekauft werden. Dies kommt regelmäßig vor allem für Vermögensverwaltungsgesellschaften in Betracht. Ob dieser Effekt politisch wünschenswert ist, darf bezweifelt werden.

Eine weitere Hürde zum Erwerb von selbst zu nutzendem Wohnungseigentum bilden die um sich greifenden sogenannten Umwandlungsverbote auf der Grundlage von § 250 BauGB. Danach dürfen in weiten Gebieten Deutschlands bestehende Mehrfamilienhäuser nicht mehr in Wohnungseigentum nach dem WEG aufgeteilt werden. Dies hat zur Folge, dass Bauträger heutzutage selbst in Projekten, welche vollständig im Bestand bleiben oder en bloc an Investoren verkauft werden sollen, vorsorglich die Mühe auf sich nehmen, das Grundbuch dennoch schon einmal mit erheblichem Aufwand zu teilen, da unsicher ist, wie lang sich dies in der Zukunft noch wird nachholen lassen. Darf ausnahmsweise doch nachträglich geteilt werden, greift zugunsten des Mieters eine Schonfrist vor Eigenbedarfskündigungen von bis zu zehn Jahren nach § 577a BGB ein; die Kündigungsfrist von bis zu neun Monaten und etwaige weitere Vollstreckungsverschonungen nicht mit eingerechnet.

Diese Faktoren wirken auf Kaufinteressenten wie ein „perfekter Sturm“. Der Traum vom selbst genutzten Wohneigentum lässt sich so im Wesentlichen nur noch in Neubauten realisieren. Dass auch hier gegenwärtig ein „perfekter Sturm“ herrscht, nämlich die eingangs erwähnte Kombination aus Preisen, Zinsen und Baukosten, steht auf einem anderen Blatt.

Wer sich für den Erwerb einer Wohnung im Bestand entscheidet, sollte sich vor dem Ankauf umfassend über die Vermietungssituation informieren. Sofern die Wohnung vermietet ist, ist besonderes Augenmerk darauf zu legen, wie lang der Mieter schon in der Wohnung lebt, ob der Mieter sich in einer sozial prekären Situation befindet und ob weitere Personen im Haushalt leben, gegenüber denen der Mieter unterhaltspflichtig ist, insbesondere Kinder. Je mehr dieser Faktoren zusammentreffen, desto größere Vorsicht ist geboten, da all dies in die nach § 242 BGB zu treffende Abwägung einfließt.

Derjenige Käufer, der zunächst eine Wohnung im Glauben an die mögliche Eigennutzung erwirbt und dann in der Räumungsklage scheitert, steht vor dem doppelten Problem, dass er nun einerseits eine Wohnung hat, die er nicht sinnvoll benutzen kann und andererseits hierfür erhebliche Mittel aufgewandt hat, die nun nicht mehr für den Erwerb einer anderen, (hoffentlich) nutzbaren Wohnung zur Verfügung stehen.

Ausblick

Gegenwärtig stellt die Position des Amtsgerichts Charlottenburg in dieser Frage noch eine Einzelmeinung dar, die zudem vom Gericht äußerst schwach begründet wird. Allerdings erscheint es durchaus möglich, dass eine übergeordnete Instanz rechtspolitische Sympathien für die Auffassung des Amtsgerichts hegen und sich dazu veranlasst sehen könnte, diese dann mit deutlich nachgebesserter rechtlicher Begründung zu „halten“.