Zur Streitverkündung in Bauprozessen

 Steffen Krämer

Steffen Krämer

Kaum ein größerer Bauprozess kommt ohne Streitverkündungen aus. Vielmehr ist es unter den Beteiligten ein Automatismus sich wechselseitig den Streit zu verkünden. Hierbei kommt es jedoch nicht selten zu Nachlässigkeiten. Wir erklären, welche Risiken bestehen und worauf es bei einer Streitverkündung zu achten gilt.

Zur Streitverkündung in Bauprozessen
Zur Streitverkündung in Bauprozessen

19.10.2022 | Bau- und Immobilienrecht

Entschließt sich ein Bauherr dazu, ein Bauvorhaben in die Tat umzusetzen, wird ihm das in den allerseltensten Fällen mit nur einem Vertragspartner gelingen. Der Bauherr ist gut beraten, die jeweiligen Einzelgewerke von spezialisierten Fachunternehmen ausführen zu lassen und beispielsweise nicht den Rohbauunternehmer auch mit der Ausführung der elektrotechnischen Anlagen zu betrauen bzw. andersherum. Im Zeitalter immer weitgehenderer Spezialisierung wird der Bauherr vielmehr eine Vielzahl an Einzelverträgen abschließen müssen, um sein Vorhaben erfolgversprechend zu verwirklichen. Neben den ausführenden Unternehmen wählt der Bauherr dabei dann oft auch mindestens noch ein planendes und ein überwachendes Architekturbüro als seine Vertragspartner.

Um die vorbeschriebene Vertragsvielzahl zu umgehen, hat der Bauherr freilich die Option, auch einen Generalunter- oder gar -übernehmer mit der Planung und Ausführung seines Bauvorhabens zu beauftragen. Hierdurch reduziert sich die Anzahl seiner Vertragspartner erheblich. Tatsächlich findet dabei aber lediglich eine Verlagerung auf den Generalunter- bzw. -übernehmer statt, der sich dann seinerseits in der Rolle wiederfindet, diverse (Nach-)Unternehmer mit der Ausführung der ihm in Auftrag gegebenen Leistungen beauftragen zu müssen.

Abgesehen von möglichen Koordinationsschwierigkeiten, die derartige Konstellationen oft mit sich bringen, kommt es gerade im Fall von Baumängeln regelmäßig zum Streit. Denn überall dort, wo es nur denkbar erscheint, dass auch ein anderes Unternehmen oder der Planer oder der Bauüberwacher für einen Mangel (mit-)verantwortlich sein könnten, war es aus subjektiver Sicht der Baubeteiligten der Natur der Sache nach immer der gerade andere. Dem bauunerfahrenen Bauherrn ist es dabei oft unmöglich, den „richtigen“ Adressaten für seine Mangelbeseitigungsaufforderung zu ermitteln. Erfahrungsgemäß werden die Mangelbeseitigungsaufforderungen des Auftraggebers mit notorischen Ablehnungsschreiben und Schuldzuweisungen an die sonstigen Auftragnehmer erwidert.

Nicht selten bleibt je nach Vertragskonstellation entweder dem Bauherrn oder dem Generalunter- oder -übernehmer dann nur die Möglichkeit, Klage gegenüber denjenigen Vertragspartnern einzureichen, bei denen eine Verantwortlichkeit und Haftung für den jeweiligen Mangel zumindest denkbar erscheint. Für die Planer und ausführenden Unternehmen geht es dann darum, den potentiellen Schaden möglichst von sich abzuwenden. Das Mittel der Wahl ist hierbei dann aus prozessualer Sicht regelmäßig die sogenannte Streitverkündung gemäß § 72 ZPO.

Sinn und Zweck einer Streitverkündung

Der BGH (Urteil vom 18.12.2014 – VII ZR 102/14) hat den Zweck der Streitverkündung seinerzeit einprägsam dahin beschrieben, sie gewährleiste das rechtliche Gehör des Streitverkündeten und trage zur Vermeidung widersprüchlicher Prozessergebnisse und der Verringerung der Zahl der Prozesse bei. Außerdem könne die Beteiligung des Dritten die Aufklärung des Sachverhalts fördern.

Hierbei ist eine Streitverkündung zunächst einmal aus tatsächlicher Sicht schlichtweg nichts anderes als die förmliche Benachrichtigung eines Dritten, nämlich des Streitverkündungsempfängers, von einem anhängigen Rechtsstreit durch den Streitverkünder. Für den Streitverkünder hat die Streitverkündung, wie vom BGH herausgestellt, insbesondere das Ziel, sich widersprechende Beurteilungen desselben Sachverhalts durch verschiedene Richter zu verhindern. Durch die Streitverkündung löst der Streitverkünder gegenüber dem Streitverkündungsempfänger die sog. Interventionswirkung gemäß §§ 74, 68 ZPO aus. Diese Interventionswirkung schützt den Streitverkünder davor, dass er den „Vorprozess“ verliert, etwa weil ein Gericht zu der Entscheidung kommt, dass die Klage des Bauherrn gegen seinen Generalunternehmer erfolgreich ist, da die in dessen Verantwortlichkeit fallende Dachabdichtung undicht ist, er sodann aber auch den „Folgeprozess“ gegen den mit der Dachabdichtung beauftragten Nachunternehmer verliert, weil das damit betraute Gericht entscheidet, dass dieses Gewerk gerade doch nicht schadensursächlich war. Ohne Interventionswirkung, also ohne Streitverkündung, könnte der Generalunternehmer beide Prozesse verlieren.

Für den Streitverkündungsempfänger eröffnet die Streitverkündung vor allem die Möglichkeit, aktiv an einem Verfahren teilzunehmen und etwa schriftsätzlich Stellung zum Sachverhalt zu nehmen, Termine wahrzunehmen oder Ergänzungsfragen an einen Sachverständigen zu stellen.

Vor diesem Hintergrund ist insbesondere in Bauprozessen, bei denen Leistungen einer Vielzahl der Beteiligten ggf. mitursächlich für einen in der Klageschrift nur symptomatisch beschriebenen Mangel waren, die Aussprache einer Streitverkündung gängige Prozesspraxis und ein geübter Automatismus.

Die hierdurch entstehende Routine verleitet jedoch zur Fahrlässigkeit bei der Erstellung und dem Umgang mit Streitverkündungen. Führt man sich die Tragweite einer Streitverkündung im Hinblick auf einen möglichen Regress der Mandantschaft oder der Schadloshaltung im Falle einer Inanspruchnahme durch einen Dritten vor Augen, besteht hierzu auch nicht im Geringsten Anlass.

Noch offensichtlicher wird die Bedeutung der Streitverkündung, wenn man sich bewusst macht, dass durch deren Zustellung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 6 ZPO auch die Verjährung etwaiger Ansprüche gegenüber dem Streitverkündungsempfänger gehemmt wird.

Die vorstehenden Wirkungen entfaltet eine Streitverkündung jedoch nur, wenn sie auch formell wirksam ausgesprochen wurde. Da die formelle Wirksamkeit einer Streitverkündung vom Gericht des „Vorprozesses“ nicht zu prüfen ist, ist es im „Folgeprozess“ dann regelmäßig schon zu spät. Formelle Unzulänglichkeiten der Streitverkündung können dann nicht mehr geheilt werden, so dass die beabsichtigte Intervention im „Vorprozess“ gerade keine Wirkung mehr entfalten kann. Dem Streitverkünder droht daher, dass er in beiden Verfahren unterliegt und sei es nur aus dem Grund, weil seine Ansprüche gegenüber dem Streitverkündungsempfänger zum Zeitpunkt des „Folgeverfahrens“ bereits verjährt sind.

Auswirkungen der Rechtsprechung

Da die obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung die Voraussetzungen einer wirksamen Streitverkündung immer wieder konkretisiert bzw. fortschreibt, ist es unabdingbar, zu wissen, was gerade ihr aktueller Stand ist.

Ein Beben erging hier zuletzt im Januar 2021, nachdem das OLG Frankfurt in seinem Urteil vom 22.01.2021 (Az. 29 U 166/19) die Anforderungen an eine formell wirksame Streitverkündung als bestimmenden Schriftsatz im Sinne des § 130 ZPO erheblich angezogen hatte. In der Folge mussten viele Streitverkündungen vorsorglich noch einmal neu ausgesprochen werden.

Entscheidung des OLG Dresden (Beschluss vom 07.01.2021 – 6 W 832/20)

Aufgrund der Auswirkungen dieses Urteils scheint eine nicht minder interessante Entscheidung des OLG Dresden aus dem gleichen Zeitraum, nämlich vom 07.01.2021 (Az. 6 W 832/20), fast in den Hintergrund getreten zu sein. Der zweite Leitsatz der Entscheidung des OLG Dresden

„[…] Dritter im Sinne dieser Vorschrift kann nur eine von den Parteien des Rechtsstreits verschiedene Rechtspersönlichkeit sein. […]“

bietet mindestens ein eben solches Diskussionspotential wie die Entscheidung des OLG Frankfurt.

Wenngleich das OLG Dresden mit dem vorstehenden Ausschnitt aus dem zweiten Leitsatz zunächst einmal nur den gesetzlichen Wortlaut des § 72 Abs. 1 ZPO umsetzt, nach dem eine Streitverkündung ausschließlich gegenüber „dem Dritten“ zulässig ist, bietet sie doch ein erhebliches Potenzial für Missverständnisse, wie seither verschiedene juristische Aufsätze belegen.

In IBR 2021, Heft 4, 223 formuliert der dortige Verfasser als persönlichen Leitsatz zur Entscheidung des OLG Dresden:

„1. Die Streitverkündung gegenüber einer Partei des Rechtsstreits ist unstatthaft und damit unzulässig. Die Parteien eines Rechtsstreits sind keine Dritten.“

Ausgehend hiervon kommt er in der Folge zu dem Ergebnis, dass die Streitverkündung gegen eine Formalpartei des Rechtsstreits, also z.B. einen anderen Beklagten oder einen Antragsgegner im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens per se unzulässig und damit unwirksam ist. Aus Sicht des dortigen Verfassers bedürfte es zur Hemmung der Verjährung gegen eine Partei des Rechtsstreits dann in jedem Fall – statt wie bisher einer Streitverkündung – einer Feststellungsklage.

Sollte das Verständnis des dortigen Verfassers zutreffend sein, hätte das unabsehbare Auswirkungen auf sämtliche anhängigen und zukünftigen Verfahren ähnlicher Konstellation. Sowohl aus zeitlicher als auch aus finanzieller Sicht wäre dieses Prozedere in der Praxis kaum handhabbar. Alternativen müssten geschaffen werden.

Wenngleich dem dortigen Verfasser zuzugestehen ist, dass nicht nur der Leitsatz der Entscheidung des OLG Dresden, sondern darüber hinaus auch die Entscheidungsgründe missverständlich sind und man auf dieser Grundlage durchaus zu dem von ihm geäußerten Verständnis kommen kann, kann das in Anbetracht prozessualer Prinzipien so allerdings nicht wirklich vom OLG Dresden beabsichtigt worden sein.

Bedauerlicherweise geht das OLG Dresden in seiner Entscheidung nicht weiter auf die Position des „Dritten“ ein, sondern definiert lediglich, dass es sich hierbei um eine von den Parteien des Rechtsstreits verschiedene Rechtspersönlichkeit handeln muss. Insoweit ist das Ergebnis, dass Parteien eines Rechtsstreits keine Dritten sein können, zunächst auch einmal folgerichtig und nicht zu beanstanden. Die Schlussfolgerung des Kollegen, dass aufgrund dessen die Streitverkündung an eine etwa mitverklagte Partei unstatthaft und damit unzulässig sei und nur die Feststellungsklage die Verjährung hemme, ist jedoch nicht korrekt. Das ergibt sich aus der Entscheidung des OLG Dresden gerade nicht.

Der Aufsatz (IBR 2021, Heft 4, 223) übersieht, dass es bei der Zulässigkeit der Streitverkündung im Sinne des § 72 Abs. 1 ZPO nicht entscheidend auf den formalen Parteibegriff ankommt, sondern vielmehr ausschließlich auf das jeweilige Prozessrechtsverhältnis als solches.

„Dritter“ im Sinne des § 72 Abs.1 ZPO ist demnach nicht nur derjenige, der bisher nicht Partei des anhängigen Rechtsstreits ist, sondern vielmehr jeder außerhalb des eigenen Prozessrechtsverhältnisses. Bei einfachen Streitgenossen handelt es sich daher zwar formal jeweils um Parteien des gleichen Rechtsstreits, prozessrechtlich gilt dies aber nur innerhalb des jeweiligen (gegenüber den anderen Streitgenossen selbstständigen) Prozessrechtsverhältnisses. Die äußerliche Verbindung der einzelnen Prozesse im Wege der subjektiven Klagehäufung ändert nichts daran, dass jeder Streitgenosse seinen eigenen Prozess formell und inhaltlich unabhängig von denen der anderen betreibt (BGH, Beschluss vom 18.05.2017 – III ZR 525/16).

Etwas anderes ergibt sich auch aus der Entscheidung des OLG Dresden nicht, wenngleich zuzugeben ist, dass man sich hierfür zusätzlich auch die Vorentscheidung des LG Chemnitz (Zwischenurteil vom 30.10.2020 – 2 HK O 2108/19) ansehen muss.

Dem Beschluss des OLG Dresden lag insofern ein Sachverhalt zugrunde, in dem der Streitverkünder nicht im Wege einer einfachen Streitgenossenschaft mitverklagt, sondern nur über eine ihm gegenüber erfolgte Streitverkündung der Beklagten in den Rechtsstreit einbezogen wurde. Da also kein eigenständiger Rechtsstreit zwischen dem Streitverkünder und den Parteien des Rechtsstreits, Klägerin und Beklagter, anhängig war, konnte auch keine zulässige Streitverkündung gegenüber der Beklagten erfolgen, da der zu verkünden beabsichtigte Rechtsstreit vielmehr der eigene zwischen Klägerin und Beklagter war. Die Beklagte als vermeintliche Streitverkündungsempfängerin war somit bereits Partei in diesem Rechtsstreit, nicht aber „Dritter“.

Praxishinweis

Der Beschluss des OLG Dresden und das vorgehende Zwischenurteil des LG Chemnitz halten insofern an den bisherigen Grundsätzen zur wechselseitigen Streitverkündung zwischen einfachen Streitgenossen fest bzw. ergibt sich aus der Entscheidung zumindest nichts Gegenteiliges.

Auch in Zukunft wird es in derartigen Fällen also berechtigterweise zu der gewohnten Flut wechselseitiger Streitverkündungen kommen. Eine Feststellungsklage wird indes zur Hemmung der Verjährung nicht benötigt, wobei das nur für den Standardfall der Streitverkündung unter einfachen Streitgenossen, z.B. also unter Gesamtschuldnern, gilt.

Welche Maßnahmen der Streitverkünder im Fall des vom LG Chemnitz und OLG Dresden nun anstelle der Streitverkündung hätte ergreifen können bzw. müssen, um seine möglichen Ansprüche vor der Verjährung zu schützen, und wie ein nicht mitverklagter anderer Gesamtschuldner die Verjährungshemmung seiner Gesamtschuldnerausgleichsansprüche erreichen kann, sind weitere interessante Fragestellungen in diesem Gesamtkontext. Hierzu beraten wir Sie gerne. Ansonsten gilt allerdings zunächst einmal, dass es entgegen der Auffassung in IBR 2021, Heft 4, 223 auch in Zukunft zur Hemmung der Verjährung unter einfachen Streitgenossen keiner Feststellungsklage bedarf, sondern erst einmal alles beim Alten bleibt. Auf die Einhaltung der formellen Anforderung der Streitverkündung ist dennoch in jedem Fall strengstens zu achten.