Das gemeindliche Vorkaufsrecht: Kündigung von „Abwendungsvereinbarungen“

Das Verwaltungsgericht Berlin hat am 09.09.2022 (Az. 19 L 112/22) bestätigt, dass die Käuferin eines Grundstücks im Erhaltungssatzungsgebiet eine mit dem Land Berlin geschlossene Abwendungsvereinbarung wirksam gekündigt hat, und damit erstmalig entschieden, dass mit Kommunen abgeschlossene Abwendungsvereinbarungen unter bestimmten Voraussetzungen gekündigt werden können.

Das gemeindliche Vorkaufsrecht: Kündigung von „Abwendungsvereinbarungen“

13.03.2023 | Öffentliches Recht

Mit Beschluss vom 09.09.2022 (Az. VG 19 L 112/22) hat das Verwaltungsgericht Berlin entschieden, dass eine mit einer Gemeinde geschlossene „Abwendungsvereinbarung“, d.h. eine Vereinbarung, die zur Abwendung der Ausübung des gemeindlichen Vorkaufsrechts geschlossen wird, gekündigt werden kann. Damit erging die erste Folgeentscheidung zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021 (Az. 4 C 1/20) über das Bestehen eines Vorkaufsrechts im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung.

Milieuschutz in Gemeinden

In vielen deutschen Städten, insbesondere auch München, existiert eine Vielzahl von Erhaltungssatzungen gemäß § 172 BauGB. Ziel der Erhaltungssatzungen ist oftmals die Erhaltung der Zusammensetzung der Wohnbevölkerung (sog. Milieuschutzsatzung). Gebäude, die im Geltungsbereich einer Erhaltungssatzung liegen, bedürfen für den Rückbau, die Änderung oder Nutzungsänderung einer Genehmigung gemäß § 173 BauGB.

Gesetzliches Vorkaufsrecht

Das Bestehen einer Erhaltungssatzung führt zudem dazu, dass den Gemeinden ein gesetzliches Vorkaufsrecht an Wohnungen im Erhaltungsgebiet zusteht. Dieses kann aber nur ausgeübt werden, wenn das Grundstück nicht entsprechend den Zielen und Zwecken der städtebaulichen Maßnahmen bebaut und genutzt wird oder Missstände oder Mängel aufweist, § 26 Satz 1 Nr. 4 BauGB.

Die Gemeinden vertraten lange die Auffassung, dass das Vorkaufsrecht auch dann ausgeübt werden könne, wenn Wohnungen zwar zum Zeitpunkt der Veräußerung entsprechend der Erhaltungssatzung genutzt wurden, jedoch auf Grund der geplanten Veräußerung erhebliche Mietpreissteigerungen drohten und damit in Zukunft entgegen den Zwecken der Erhaltungssatzung benutzt werden würden.

Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.2021

Dieser Auffassung erteilte das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 09.11.2021 eine Absage, indem es feststellte, dass ein Vorkaufsrecht der Gemeinde in sozialen Erhaltungsgebieten ausgeschlossen sei, wenn das Grundstück zum Zeitpunkt der Entscheidung der Gemeinde über die Ausübung des (vermeintlichen) Vorkaufsrechts entsprechend den Zielen der Erhaltungssatzung genutzt wird. Auf künftige Nutzungsabsichten des Käufers komme es nicht an. Infolgedessen ist in vielen Fällen das gemeindliche Vorkaufsrecht ausgeschlossen. Fraglich war aber seitdem, welche Folgen die Entscheidung für bereits ausgeübte Vorkaufsrechte auf Grundlage von Erhaltungssatzungen hat sowie welches rechtliche Schicksal „Abwendungsvereinbarungen“ trifft. Mit letzteren befasste sich das VG Berlin in seinem Beschluss vom 09.09.2022.

Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 09.09.2022

Das VG Berlin hatte sich mit der Frage zu beschäftigen, ob eine Abwendungsvereinbarung, die eine Käuferin mit dem Land Berlin schloss, damit dieses auf das nach der Erhaltungssatzung mutmaßlich bestehende Vorkaufsrecht verzichte, wirksam gekündigt wurde.

Nach Auffassung des VG Berlin steht der Käuferin, die unter der Annahme, dass dem Land Berlin ein gesetzliches Vorkaufsrecht zustehe, eine Abwendungsvereinbarung mit dem Land Berlin geschlossen hat, ein Kündigungsrecht zu, wenn tatsächlich kein Vorkaufsrecht bestand und ihr damit auch ohne die Eingehung von Pflichten ein Negativattest auszustellen gewesen wäre.

Auswirkungen auf die Praxis

Mit dem Beschluss des VG Berlin hat nunmehr ein Gericht erstmalig entschieden, dass ein Käufer bei tatsächlich nicht bestehendem Vorkaufsrecht wirksam die Abwendungsvereinbarung kündigen kann. Offen ist allerdings weiterhin, wie sich die Rechtslage gestaltet, wenn eine Gemeinde das Vorkaufsrecht (entsprechend der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts) unberechtigterweise ausgeübt und die Wohnung oder das Grundstück erworben hat. Es bleibt abzuwarten, wie die Rechtsprechung diesen Fall behandeln wird. Es ist allerdings davon auszugehen, dass auch in diesem Fall das ausgeübte Vorkaufsrecht keinen Bestand hat.