Die COVID-19-Pandemie hat uns allen aufgrund der anhaltenden Einschränkungen viel Durchhaltevermögen abverlangt und dazu geführt, dass insbesondere Präsenzveranstaltungen nicht mehr im bekannten Maße möglich waren. Damit einhergehend mussten sich viele Unternehmer mit der Frage auseinandersetzen, ob eine Versammlung z.B. auch durch eine Videokonferenz ohne Weiteres möglich ist und wie Gesellschafterbeschlüsse außerhalb von Präsenzversammlungen wirksam gefasst werden können.
Der Gesetzgeber ist zügig tätig geworden und hat mit dem „Gesetz über Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins-, Stiftungs- und Wohnungseigentumsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie“ (nachfolgend „COVMG“) Regelungen geschaffen, welche die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren vereinfachen. Gemäß § 2 COVMG können Beschlüsse im schriftlichen Verfahren derzeit – abweichend von § 48 Abs. 2 GmbHG, der grundsätzlich Einstimmigkeit im Hinblick auf die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren voraussetzt – auch ohne Einverständnis aller Gesellschafter gefasst werden. Diese Erleichterung gilt für alle Gesellschafterversammlungen und -beschlüsse bis einschließlich 31. Dezember 2021. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Erleichterungen des § 2 COVMG auch nach Ablauf des 31. Dezember 2021 beibehalten und entsprechende Änderungen des GmbHG auf den Weg bringen wird.
Auch wenn sich abzeichnet, dass die mit der Corona-Pandemie verbundenen Einschränkungen zurückgehen werden, sind die in den zurückliegenden Monaten gesammelten Erkenntnisse weiterhin relevant. Im Folgenden finden Sie daher sieben Praxistipps zur wirksamen Beschlussfassung in der GmbH außerhalb von Präsenzversammlungen.
Tipp 1: Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung durch audiovisuelle Zuschaltung in Echtzeit
Unter Berücksichtigung des Wortlauts „Versammlung“ lässt sich vertreten, dass die Beschlussfassung nach § 48 Abs. 1 GmbHG die gleichzeitige Anwesenheit der Gesellschafter voraussetzt. Doch was gilt, wenn einige Gesellschafter nicht an den Ort der Versammlung reisen können? Zu denken ist beispielsweise an eine Zuschaltung per Videokonferenz, während sich die übrigen Gesellschafter vor Ort am Sitz der Gesellschaft versammeln. Noch nicht abschließend geklärt ist, ob eine solche audiovisuelle Zuschaltung von Gesellschaftern in Echtzeit der Versammlung den Charakter einer Präsenzversammlung nimmt. Nach der hier vertretenen Auffassung ist dies nicht der Fall.
Ein Gesellschafterbeschluss ist in einer Versammlung gefasst, wenn die abgegebenen Stimmen inder Versammlung wirksam werden. Bei einer audiovisuellen Zuschaltung in Echtzeit ist dies nach Meinung der Autorin gewährleistet. Die Stimmabgabe ist eine Willenserklärung, die in dem Zeitpunkt wirksam wird, in welchem sie dem Erklärungsempfänger zugeht. Mündliche Erklärungen gehen nach der herrschenden Meinung zu, sobald der Erklärungsempfänger (in der Regel der Versammlungsleiter) die Erklärung akustisch richtig verstanden hat und der Erklärende keine Anhaltspunkte dafür hat, dass seine Erklärung nicht richtig und vollständig vernommen worden ist. Da eine audiovisuelle Zuschaltung in Echtzeit die akustische Wahrnehmung der Erklärung ermöglicht, kann die Stimmabgabe des zugeschalteten Gesellschafters in der laufenden Gesellschafterversammlung hierüber wirksam zugehen. Ferner ist bei der audiovisuellen Zuschaltung ein gemeinsamer Austausch unter den Gesellschaftern über den Beschlussgegenstand gewährleistet, so dass insbesondere alle Gesellschafter, gleich ob vor Ort anwesend oder zugeschaltet, ihre Stimmen auf derselben Informationsgrundlage abgeben.
Wenngleich nach hier vertretener Auffassung die audiovisuelle Zuschaltung in Echtzeit der Gesellschafterversammlung nicht ihren Präsenzcharakter nimmt und die Digitalisierung ein modernes Verständnis des Versammlungsbegriffs erfordert, sollte die Möglichkeit der Zuschaltung per Videokonferenz jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit in die Satzung aufgenommen werden.
Tipp 2: Dokumentation der Zustimmung zum Einverständnis zur Wahl des Verfahrens
Gemäß § 48 Abs. 2 GmbHG kann ein Beschluss außerhalb der Gesellschafterversammlung gefasst werden, wenn sich sämtliche Gesellschafter in Textform mit der zu treffenden Bestimmung oder mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären. Derzeit ist § 2 COVMG anwendbar, so dass für die Zustimmung zur Art des Beschlussverfahrens aktuell keine Einstimmigkeit erforderlich ist, sondern die Einverständniserklärung einer Gesellschaftermehrheit ausreicht.
Das Gesetz sieht damit ein einstufiges und ein zweistufiges Verfahren vor. Im einstufigen Verfahren (§ 48 Abs. 2 Alt. 1 GmbHG) stimmen die Gesellschafter unmittelbar über den Beschlussgegenstand in Textform ab, wobei der Beschluss nur bei Einstimmigkeit zustande kommt. Das Einstimmigkeitserfordernis findet gemäß § 2 COVMG aktuell jedoch keine Anwendung. Im zweistufigen Verfahren (§ 48 Abs. 2 Alt. 2 GmbHG) erklären sich zunächst sämtliche Gesellschafter bzw. gemäß § 2 COVMG eine Mehrheit der Gesellschafter mit der Abstimmung im schriftlichen Verfahren einverstanden. Liegt diese Zustimmung vor, fassen die Gesellschafter im zweiten Schritt den entsprechenden Beschluss. Das Mehrheitserfordernis hinsichtlich des jeweiligen Beschlussgegenstands richtet sich dabei nach den gesetzlichen bzw. gesellschaftsvertraglichen Regelungen.
Die Einverständniserklärung im zweistufigen Verfahren bedarf keiner Form. Sie kann sowohl mündlich, telefonisch als auch konkludent erfolgen. Zu Beweiszwecken empfiehlt es sich, die Einverständniserklärung in Textform, z.B. per E-Mail, einzuholen.
Tipp 3: Satzungsregelungen sind Trumpf
Aktuell stellt sich in Anbetracht von § 2 COVMG oft die Frage: „Was gilt denn nun eigentlich? Ist die Satzung oder doch das Gesetz vorrangig?“
Anfang dieses Jahres entschied das LG Stuttgart (Urteil v. 25. Januar 2021, Az.: 44 O 52/20 KfH), dass § 2 COVMG nur § 48 Abs. 2 GmbHG ändere, aber nicht den Vorrang der gesellschaftsvertraglichen Regelungen aufhebe. Dies bedeutet, dass – sofern die Satzung einer Gesellschaft besondere Regelungen zur Beschlussfassung der Gesellschafter enthält – diese den gesetzlichen Regelungen vorgehen.
Dem Gericht ist im Hinblick auf detaillierte Satzungsregelungen zur Beschlussfassung zuzustimmen. In einem solchen Fall haben sich die Gesellschafter bewusst gegen die gesetzlichen Regelungen entschieden und ein auf die Gesellschaft zugeschnittenes Beschlussverfahren bevorzugt. Dies muss aber auch gelten, wenn die Satzung lediglich den Wortlaut des § 48 Abs. 2 GmbHG wiedergibt. Die Gesellschafter haben so ihren Willen zum Ausdruck gebracht, dass für sie die Regelungen der Satzung maßgeblich sein sollen. Andernfalls hätte es einer solchen, § 48 Abs. 2 GmbHG entsprechenden Klausel gerade nicht bedurft. Einige Stimmen in der Literatur halten dem Gericht entgegen, es habe den Sinn und Zweck des COVMG als „Notfallgesetz“ verkannt. Gegen dieses Argument spricht jedoch, dass der Gesetzgeber z.B. für die Aktiengesellschaft ausdrücklich geregelt hat, dass in gewissen Fällen abweichende Satzungsbestimmungen unbeachtlich sind. Für die GmbH hat er eine solche Regelung gerade nicht getroffen. Dies mag in dem Bewusstsein des Gesetzgebers begründet sein, dass Satzungen flexibel gestaltet werden können. Gesellschafter einer GmbH können relativ problemlos auf veränderte Umstände reagieren und die Satzung entsprechend anpassen.
Wenn es also Satzungsregelungen gibt, die die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren regeln, gilt: Unter Berücksichtigung der Entscheidung des LG Stuttgart sollte man sich in der Praxis nicht auf § 2 COVMG zurückziehen, sondern sich an die Satzung halten und die bestehenden Satzungsregelungen gegebenenfalls auf die aktuelle Situation und die individuellen Bedürfnisse der Gesellschaft anpassen.
Tipp 4: Kann ich oder musst Du?
Die Fassung eines Gesellschafterbeschlusses im schriftlichen Umlaufverfahren kann grundsätzlich sowohl der Geschäftsführer als auch jeder Gesellschafter vorschlagen. Gleichwohl empfiehlt es sich bei einem großen Gesellschafterkreis, das Vorschlagsrecht in der Satzung z.B. der Geschäftsführung zuzuordnen.
Tipp 5: Text- oder Schriftform?
Oft fragen Mandanten, welche Form bei der Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren einzuhalten ist. Trifft die Satzung keine Regelungen und ist § 48 Abs. 2 GmbHG einschlägig, gilt Folgendes:
Das einstufige Verfahren nach § 48 Abs. 2 Alt. 1 GmbHG erfordert die Fassung des Beschlusses in Textform. Die Textform ist gewahrt durch eine dauerhaft lesbare Erklärung des Gesellschafters, die den Erklärenden erkennen lässt. Eine eigenhändige Unterschrift ist nicht erforderlich, so dass die Erklärung des Gesellschafters z.B. per E-Mail erfolgen kann.
Im zweistufigen Verfahren nach § 48 Abs. 2 Alt. 2 GmbHG spricht das Gesetz von der „schriftlichen Abgabe der Stimmen“. In der Literatur herrscht Streit darüber, ob auch hier die Textform ausreichend ist oder ob die Stimmabgabe der strengeren Schriftform genügen muss. Die Schriftform erfordert grundsätzlich eine eigenhändige Unterschrift. Es empfiehlt sich daher, die Stimme entweder in Schriftform abzugeben oder die Zulässigkeit der Textform in der Satzung zu verankern.
Tipp 6: Auch ein kombiniertes Verfahren ist möglich
Eine weitere Variante der Beschlussfassung außerhalb von Gesellschafterversammlungen ist ein kombiniertes Verfahren, bei dem ein Teil der Gesellschafter zu einer Gesellschafterversammlung zusammenkommt und ein anderer Teil der Gesellschafter die Abstimmung in Textform vornimmt. Dieses kombinierte Verfahren ist unbedingt im Gesellschaftsvertrag zu verankern. Nach Ansicht des Bundesgerichtshofs (Urteil v. 16. Januar 2006, Az.: II ZR 135/04) führt die Abstimmung im kombinierten Verfahren ohne entsprechende Satzungsregelung, auch bei Einvernehmen sämtlicher Gesellschafter, zur Nichtigkeit des Beschlusses.
Tipp 7: Machen Sie von der Flexibilität des GmbH-Gesetzes Gebrauch!
Insbesondere die Fassung von Umlaufbeschlüssen im schriftlichen Verfahren gewinnt nicht nur aufgrund der noch anhaltenden COVID-19-Pandemie, sondern auch infolge der zunehmenden Digitalisierung und der vermehrt internationalen Gesellschafterkreise weiter an Bedeutung. Von der Möglichkeit, auf die Gesellschaft individuell abgestimmte Regelungen hinsichtlich der Beschlussfassung im Umlaufverfahren in die Satzung aufzunehmen, sollte reger Gebrauch gemacht werden.