Im Rahmen der am 19.01.2021 in Kraft getretenen 10. GWB-Novelle (auch als „GWB-Digitalisierungsgesetz“ bezeichnet) sind auch die Vorschriften im Bereich der Fusionskontrolle geändert worden. Die für die Praxis wesentlichste Änderung besteht dabei unzweifelhaft in der Anhebung der beiden sog. Inlandsumsatzschwellen von 25 auf 50 Mio. sowie von 5 auf 17,5 Mio. Euro. Dies wird zu einer spürbaren Verringerung der Anzahl anzumeldender Transaktionen und damit zu einer Entlastung insbesondere mittelständischer Unternehmen führen.
Inhalt:
►Signifikante Anhebung der Inlandsumsatzschwellen
►Bagatellmarktklausel: Anhebung des Schwellenwertes und gebündelte Betrachtung
►Verpflichtung zur Anmeldung auch unterhalb der Inlandsumsatzschwellen („Remondis-Klausel“)
►Ermittlung der Umsatzerlöse auf Basis der IFRS
►Absenkung der Presserechenklausel von Faktor 8 auf 4
►Anpassung der Fristen für das Hauptprüfverfahren
►Streichung der Vollzugsanzeige
Signifikante Anhebung der Inlandsumsatzschwellen
Eine Transaktion ist künftig nach deutschem Recht (bei Vorliegen eines Zusammenschlusstatbestandes i. S. d. § 37 GWB) grundsätzlich anmeldepflichtig, wenn im letzten abgeschlossen Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss
- die beteiligten Unternehmen (gemeinsam) insgesamt weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. Euro und
- im Inland mindestens ein beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 50 Mio. Euro (1. Inlandsumsatzschwelle; bisher 25 Mio. Euro) und
- ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von mehr als 17,5 Mio. Euro (2. Inlandsumsatzschwelle; bisher 5 Mio. Euro)
erzielt haben (§ 35 Abs. 1 GWB).
Wegfall der Anschlussklausel
Auf Grund der Anhebung der 2. Inlandsumsatzschwelle (auf 17,5 Mio. Euro) wurde die sog. Anschlussklausel (§ 35 Abs. 2 S. 1 GWB a.F.) gestrichen, zumal diese nunmehr obsolet geworden ist. Bisher fanden die Vorschriften der Fusionskontrolle keine Anwendung, soweit sich ein Unternehmen, das nicht im Sinne des § 36 Abs. 2 GWB abhängig ist und im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von weniger als 10 Millionen Euro erzielt hat, mit einem anderen Unternehmen zusammenschließt.
Bagatellmarktklausel: Anhebung des Schwellenwertes und gebündelte Betrachtung
Eine weitere wesentliche Änderung betrifft die sog. Bagatellmarktklausel. Ausweislich § 36 Abs. 1 S. 1 GWB ist ein Zusammenschluss, durch den wirksamer Wettbewerb erheblich behindert würde, insbesondere von dem zu erwarten ist, dass er eine marktbeherrschende Stellung begründet oder verstärkt, vom Bundeskartellamt zu untersagen.
Dies galt bisher nach § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB allerdings nicht, wenn die vorgenannten Untersagungsvoraussetzungen auf einem Markt vorlagen, auf dem seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten wurden und auf dem im letzten Kalenderjahr weniger als 15 Millionen Euro umgesetzt wurden, es sei denn, es handelt sich um einen Markt i. S. v. § 18 Abs. 2a GWB oder einen Fall des § 35 Abs. 1a GWB („Bagatellmarktklausel“). Ein Bagatellmarkt kann entstehen, wenn infolge von Globalisierung und Digitalisierung in traditionellen Branchen der Umsatz deutlich zurückgeht; auf Bagatellmärkten sind typischer Weise mittelständische Unternehmen tätig.
Diesbezüglich wurde zum einen der Schwellenwert von 15 auf 20 Millionen Euro angehoben, zum anderen wurde die bisher gesetzlich gebotene einzelmarktbezogene Sichtweise aufgegeben und eine gebündelte Betrachtung mehrerer Märkte eingeführt. Letzteres war bisher in der Vergangenheit nur unter bestimmten Voraussetzungen möglich.
Für den Fall einer gebündelten Markbetrachtung ist dabei zu berücksichtigen, dass die Umsatzerlöse auf diesen Märkten im Hinblick auf das Erreichen des Schwellenwertes ausweislich des neu gefassten § 36 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 GWB zu kumulieren sind: „Dies gilt nicht, wenn die Untersagungsvoraussetzungen ausschließlich auf Märkten vorliegen, auf denen seit mindestens fünf Jahren Waren oder gewerbliche Leistungen angeboten werden und auf denen im letzten Kalenderjahr im Inland zusammen weniger als 20 Millionen Euro umgesetzt wurden[…].“
Verpflichtung zur Anmeldung auch unterhalb der Inlandsumsatzschwellen („Remondis-Klausel“)
Gänzlich neu eingefügt wurde § 39a GWB. Hiernach kann das Bundeskartellamt ein Unternehmen künftig nach Durchführung einer sog. Sektoruntersuchung (§ 32e GWB) mittels Verfügung verpflichten, jeden Zusammenschluss in einem oder mehreren bestimmten Wirtschaftssektor(en) anzumelden, selbst wenn die Inlandsumsatzschwellen (siehe oben) nicht erreicht werden.
Die Voraussetzungen hierfür sind, dass
- das Unternehmen im letzten Geschäftsjahr weltweit Umsatzerlöse von mehr als 500 Mio. Euro erzielt hat,
- Anhaltspunkte dafür bestehen, dass durch künftige Zusammenschlüsse der wirksame Wettbewerb im Inland in den genannten Wirtschaftszweigen erheblich behindert werden könnte und
- das Unternehmen in den genannten Wirtschaftszweigen einen Anteil von mindestens 15 Prozent am Angebot oder an der Nachfrage von Waren oder Dienstleistungen in Deutschland hat.
Allerdings gilt dies nur, wenn das Zielunternehmen
- im letzten Geschäftsjahr Umsatzerlöse von mehr als 2 Mio. Euro erzielt hat und
- mehr als zwei Drittel seiner Umsatzerlöse im Inland erzielt hat.
Mit der neu geschaffenen Vorschrift soll verhindert werden, dass ein größeres Unternehmen in kurzer zeitlicher Abfolge mehrere nicht anmeldepflichtige Transaktionen vornimmt und hierdurch seine Marktstellung in wettbewerblich problematischer Weise ausbaut.
Ermittlung der Umsatzerlöse auf Basis der IFRS
Darüber hinaus wurden die Vorgaben zur Ermittlung der Umsatzerlöse angepasst. Diesbezüglich galt bisher ausweislich § 38 Abs. 1 S. 1 GWB (ausschließlich) § 277 Abs. 1 HGB. Dieser Umstand führte bisher dazu, dass Unternehmen, die ihre Jahresabschlüsse ausschließlich nach den internationalen Rechnungslegungsvorschriften des International Financial Reporting Standards („IFRS“) erstellt haben, allein zum Zwecke der Umsatzermittlung in kartellrechtlichen Verfahren ihre Umsätze zusätzlich erneut nach den Vorschriften des HGB bestimmen mussten.
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen der Novelle eine Regelung eingeführt, nach der künftig bei der Umsatzermittlung anstelle des HGB ein anderer international anerkannter Rechnungslegungsstandard (wie etwa IFRS) maßgeblich ist, sofern ein Unternehmen vor der Anmeldung für seine regelmäßige Rechnungslegung ausschließlich diesen Standard angewendet hat (§ 38 Abs. 1 S. 2 GWB).
Sofern ein Unternehmen allerdings seinen Jahresabschluss sowohl nach HGB, als auch (freiwillig) nach IFRS erstellt, dies zu unterschiedlichen Ergebnissen führt und die Frage der Anmeldepflicht hiervon abhängt, ist auch künftig auf die nach HGB ermittelten Umsatzerlöse abzustellen. Nur wenn das Unternehmen seinen Jahresabschluss tatsächlich ausschließlich auf der Grundlage der IFRS erstellt, sollen nur diese Rechnungslegungsvorschriften maßgeblich sein.
Absenkung der Presserechenklausel von Faktor 8 auf 4
Im Zusammenhang mit der Umsatzermittlung wurde außerdem die sog. Presserechenklausel geändert. Bisher war in § 38 Abs. 3 GWB geregelt, dass bei der Berechnung der Umsatzerlöse für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteilen („Presseerzeugnisse“) sowie für die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und den Absatz von Rundfunkwerbezeiten das Achtfache der Umsatzerlöse in Ansatz zu bringen ist.
Im Hinblick (nur) auf die Berechnung der Umsatzerlöse für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Presseerzeugnissen wird der Multiplikator auf das Vierfache der Umsatzerlöse gesenkt (§ 38 Abs. 3 GWB).
Die Anpassung der Sonderregelung für Presserzeugnisse betrifft volkswirtschaftlich unbedeutende Fälle, zumal es sich bei den erworbenen Unternehmen typischer Weise um regionale Blätter mit geringen Umsatzerlösen handelt. Da diese zumindest hinsichtlich der selbst erstellten Lokalseiten in aller Regel nicht im Wettbewerb mit anderen (Lokal-)Zeitungen stehen, bedarf es keines Schutzes durch die Fusionskontrolle.
Anpassung der Fristen für das Hauptprüfverfahren
Des Weiteren wurden die Fristen für die Durchführung des Hauptprüfverfahrens („Phase 2“) angepasst. Nach § 40 Abs. 2 S. 2 GWB galt ein Zusammenschluss bisher als freigegeben, wenn das Bundeskartellamt nicht innerhalb von vier Monaten nach Eingang der vollständigen Anmeldung den anmeldenden Unternehmen eine Verfügung über die Untersagung oder Freigabe zustellt; mithin durfte das Hauptprüfverfahren bisher grundsätzlich höchstens 4 Monate dauern. Diese Frist wird nunmehr auf 5 Monate verlängert.
Allerdings ist unter bestimmten Umständen (weiterhin) eine Fristverlängerung möglich, etwa wenn ein anmeldendes Unternehmen in einem Verfahren dem Bundeskartellamt erstmals Vorschläge für Bedingungen oder Auflagen zur Ausräumung wettbewerblicher Bedenken unterbreitet (§ 40 Abs. 2 S. 7 GWB).
Streichung der Vollzugsanzeige
Ferner wurde die bisher gem. § 39 Abs. 6 GWB zwingend erforderliche Vollzugsanzeige gestrichen.
Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass nicht angemeldete anmeldepflichtige Zusammenschlussvorhaben weiterhin (bußgeldbewehrt) anzeigepflichtig bleiben. Dies wird durch eine Neufassung des bisherigen Absatz 6 klargestellt: „Anmeldepflichtige Zusammenschlüsse, die entgegen Absatz 1 Satz 1 nicht vor dem Vollzug angemeldet wurden, sind von den beteiligten Unternehmen unverzüglich beim Bundeskartellamt anzuzeigen. § 41 bleibt davon unberührt“ (§ 39 Abs. 6 GWB).
Krankenhausfusionen
In Bezug auf Krankenhausfusionen wurde nach langer Diskussion schließlich eine Kompromisslösung gefunden; diese unterliegen (zwar) grundsätzlich weiterhin den Vorschriften der Fusionskontrolle, allerdings wurde diesbezüglich eine (eingeschränkte) Ausnahmeregelung geschaffen (§ 186 Abs. 9 GWB):
Krankenhausfusionen sind künftig vom Anwendungsbereich der Fusionskontrolle ausgenommen, wenn
- der Zusammenschluss eine standortübergreifende Konzentrationvon mehreren Krankenhäusern oder einzelnen Fachrichtungen mehrerer Krankenhäuser zum Gegenstand hat,
- der Zusammenschluss bis zum 31. Dezember 2027 vollzogen wird,
- die Voraussetzungen für eine öffentliche Förderung nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz i. V. m. der Krankenhausstrukturfonds-Verordnung vorliegen und
- dem Zusammenschluss keine anderen wettbewerbsrechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
Mit der gefundenen Lösung sollen einerseits die Versorgungsicherheit und Qualität der medizinischen Versorgung durch Bildung standortübergreifender regionaler Einheiten verbessert werden. Andererseits soll das Bundeskartellamt weiterhin die Möglichkeit haben, reine Finanzinvestitionen im Krankenhaussektor fusionskontrollrechtlich zu prüfen.
Fazit
Vor allem die signifikante Anhebung der Inlandsumsatzschwellen ist sehr zu begrüßen, zumal auf Grund der bisher bestehenden Regelung (zu) viele Zusammenschlussvorhaben ohne volkswirtschaftliche Bedeutung anzumelden waren. Durch die Neuregelung ist eine dreistellige Reduzierung der Anzahl anmeldepflichtiger Zusammenschlussvorhaben im Vergleich zu den Vorjahren zu erwarten. Auch die Anpassung der Presserechenklausel wird zu einer Verringerung der Fallzahlen um etwa 20 Verfahren jährlich im Pressebereich führen.
Die beabsichtigte Anhebung der Umsatzschwelle im Rahmen der Bagatellmarktklausel auf 20 Millionen Euro ist ebenfalls begrüßenswert, zumal hierdurch die Konsolidierungsmöglichkeiten kleiner und mittelständischer Unternehmen gestärkt werden. Dies gilt zumindest in dem Fall, dass lediglich ein (Bagatell-)Markt in die Betrachtung einzubeziehen ist.
Die beabsichtigten Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle werden überwiegend zu einer Entlastung insbesondere mittelständischer Unternehmen führen.
Kommen Sie bei Fragen gerne auf uns zu: Christoph Richter, Rechtsanwalt