Verbraucherbauvertrag gemäß § 650i BGB auch bei Einzelgewerkvergabe?

Dr. Fabian Sindl

Die Voraussetzungen für einen Verbraucherbauvertrag gemäß § 650i BGB bleiben unscharf. Mehrere OLG-Entscheidungen in jüngerer Zeit haben die offenen Fragen nicht befriedigend beantwortet. Eine Antwort des BGH steht noch aus.

Problemstellung:

Für alle Bauverträge, die ab dem 01.01.2018 zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer geschlossen werden, regeln die §§ 650i – 650n BGB eine Reihe von Sondervorschriften.

Diese Neuregelungen sollen vor allem das wirtschaftliche Risiko eines Verbrauchers angemessen berücksichtigen und den „Häuslebauer“ entsprechend schützen. Deshalb treffen den Bauunternehmer unter anderem besondere Informationspflichten (§650j BGB), dem Verbraucher steht ein Widerrufsrecht zu (§ 650l BGB), und der gesetzliche Anspruch auf Sicherheit für den Werklohn ist ausgeschlossen (§ 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB).

Obwohl § 650i Abs. 1 BGB den Begriff des Verbrauchervertrags (legal-)definiert, bleibt jedoch häufig noch unklar, wie Verträge im Einzelfall einzustufen sind. Nach dem Gesetzeswortlaut ist nämlich nicht jeder Vertrag automatisch ein Verbrauchervertrag, nur weil sich dabei Unternehmer und Verbraucher gegenüberstehen. Vielmehr muss sich der Unternehmer zusätzlich entweder zum „Bau eines neuen Gebäudes“ oder „zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude“ verpflichtet haben.

Das führt zu der praxisrelevanten Frage, in welchen Fällen der Auftrag „ein neues Gebäude“ umfasst – nur wenn der Verbraucher den Bau insgesamt einem Bauunternehmer überträgt oder auch bei mehreren Einzelleistungen von verschiedenen Bauunternehmern. Vergleichbare Unschärfen ergeben sich auch bei den „erheblichen Umbaumaßnahmen“.

Zu diesem Problemkreis haben sich in jüngerer Zeit mehrere Oberlandesgerichte unterschiedlich positioniert. Die Entscheidungen teilen sich dabei in zwei Lager auf: die tendenziell auftraggeberfreundlichen, die die Tatbestandsmerkmale eng auslegen, und die tendenziell auftragnehmerfreundlichen, die eine weite Auslegung befürworten. Eine klare Linie hat sich insofern indes noch nicht herausgebildet. Die konkrete Einstufung bleibt daher weiterhin unsicher.

Entscheidung des OLG Hamm

So hat sich zunächst das OLG Hamm (Urteil vom 24.04.2021, Az. 24 U 198/20) mit der Frage beschäftigt, ab wann ein „neues Gebäude“ beauftragt wird, und dabei eine sehr weite Auffassung vertreten. In dem Fall hatte der Auftraggeber den Bau einer Mehrzweck-Industriehalle beauftragt, deren Fundament bereits von einem Drittunternehmer errichtet worden war. Der Unternehmer verlangte später die Stellung einer Bauhandwerkersicherheit. Das OLG Hamm hat einen solchen Anspruch abgelehnt. Denn ein Verbraucherbauvertrag für ein „neues Gebäude“ könne auch dann vorliegen, wenn das Gebäude nicht von einem einzelnen Unternehmer im Rahmen eines Vertrags errichtet werde. In diesen Fällen sei der Verbraucher vergleichbar schutzbedürftig. Ansonsten könnte der Werkunternehmer auch sämtliche Verbraucherschutzvorschriften umgehen, indem er einen einheitlichen Werkvertrag in mehrere Einzelverträge aufspalte.

Entscheidung des KG Berlin

Dem hat allerdings das KG Berlin mit Urteil vom 16.11.2021 (Az. 21 U 41/21) widersprochen. Anders als bei der Entscheidung des OLG Hamm ging es in diesem Fall nicht um einen Neubau, sondern um Umbaumaßnahmen. Den entsprechenden Vertrag hatte der Besteller – unstreitig ein Verbraucher – nach einem Streit über die Abrechnungen widerrufen. Das KG hat ein Widerrufsrecht des Verbrauchers gemäß § 650l BGB verneint. Nach Auffassung des KG sollen Umbaumaßnahmen in einem Bestandsgebäude nämlich erst dann als „erheblich“ angesehen werden können, wenn sie in ihrem Umfang einem Neubau gleichkommen und somit mehrere Gewerke umfassen. In jedem Fall aber müsse der Verbraucher alle Gewerke, die er im Rahmen seines Vorhabens beauftragen will, an einen Unternehmer übertragen. Das hat das KG damit begründet, dass im (gleichgestellten) Fall eines Vertrags über den Bau eines neuen Gebäudes nichts anderes gelte. Die gegenteilige Auffassung des OLG Hamm zu dieser Frage hat es dabei zwar zitiert, sich aber nicht weiter damit auseinandergesetzt.

Entscheidung des OLG Celle

Dieser Meinung des KG angeschlossen hat sich sodann das OLG Celle mit Urteil vom 28.03.2022 (Az. 6 U 6/22). In diesem Fall ging es ebenfalls um Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude und einen anschließenden Widerruf des Verbrauchers. Das OLG Celle hat dabei auch das Wechselspiel zwischen den verschiedenen Widerrufsrechten nach § 312g Abs. 1 einerseits und § 650l BGB andererseits beleuchtet und betont, dass ein weites Verständnis nicht zwingend einen besseren Schutz für den Verbraucher mit sich bringt. So erweitert eine großzügige Auslegung des § 650i BGB zwar den Verbraucherschutz im Rahmen des Verbraucherbauvertrags. Spiegelbildlich schränkt sie aber den Verbraucherschutz bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen wieder ein. Denn immer, wenn dem Verbraucher grundsätzlich zwei solcher Widerrufsrechte zustehen, hat das Widerrufsrecht aus Verbraucherbauvertrag Vorrang (§ 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB) – mit nachteiligen Folgen für den Verbraucher: Dieser schuldet bei Widerruf des Verbraucherbauvertrags nämlich Wertersatz an den Unternehmer (§ 357e BGB), während ihm dieser bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen grundsätzlich erspart bleibt (§ 357a Abs. 2 BGB). Mit diesen Argumenten hat das OLG Celle also im Ergebnis angenommen, dass Umbaumaßnahmen erst „erheblich“ sind, wenn der Vertrag auch mehrere Gewerke umfasst.

Entscheidung des OLG Zweibrücken

Bereits einen Tag später hat das OLG Zweibrücken mit Urteil vom 29.03.2022 (Az. 5 U 52/22) diese Frage für den Bereich des Neubaus wieder anders entschieden: Auch die dortigen Bauherren ließen zwar ein neues Gebäude errichten, vergaben die verschiedenen Gewerke dabei aber an einzelne Bauunternehmer. Anschließend stritten sie mit einem der Bauunternehmer über Mängel, der daraufhin Sicherheit nach § 650f Abs. 1 BGB verlangte. Einen solchen Anspruch des Auftragnehmers hat das OLG Zweibrücken indes abgelehnt, weil nach seiner Auffassung ein Verbraucherbauvertrag vorlag (vgl. § 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB). Inhaltlich hat es sich dabei der Entscheidung des OLG Hamm angeschlossen. Bei dem scheinbar eindeutigen Gesetzeswortlaut handele es sich möglicherweise nur um eine sprachliche Ungenauigkeit. Demgegenüber werde auch durch die Vergabe von Einzelgewerken das vom Gesetzgeber geforderte Ziel (die Herstellung eines neuen Gebäudes) erreicht. Die Einzelvergabe sei daher im Ergebnis nicht anders zu beurteilen als bei einem Vertrag mit einem Generalübernehmer, der die Bauleistung in aller Regel auch nicht selbst ausführe. Zudem lasse sich nur mit einer erweiterten Auslegung des Wortlauts ein effektiver Verbraucherschutz erreichen – der andernfalls leicht vom Bauunternehmer umgangen werden könnte (z.B. durch Herausnahme einzelner Leistungen im Angebot).

Entscheidung des OLG München

Das (vorerst) letzte Wort dazu hatte das OLG München (Urteil vom 09.06.2022, Az. 20 U 8299/21). Dieses hat sich in einem Fall, in dem der Bauherr nur den Rohbau bei einem Unternehmer beauftragte, erneut der Gegenauffassung angeschlossen. Deshalb konnte der Auftragnehmer den Bauvertrag in diesem Fall gemäß § 650 f BGB kündigen, nachdem ihm der Auftraggeber keine taugliche Bauhandwerkersicherung gestellt hatte. Auf die Ausnahmeregel in § 650f Abs. 6 Nr. 2 BGB durfte sich der Bauherr dem OLG München zufolge dagegen nicht berufen, weil der „Bau eines neuen Gebäudes“ erst dann vorliege, wenn der Bauherr den Unternehmer in einem Vertrag zum Bau des gesamten Gebäudes verpflichte. Umgehungsmöglichkeiten, die sich durch diese enge Ansicht ergäben, wie von den anderen Oberlandesgerichten zum Teil erwogen, änderten angesichts des klaren gesetzgeberischen Willens nichts daran.

Ausblick:

Das bundesweit zersplitterte Bild in der obergerichtlichen Rechtsprechung ist derzeit für Auftraggeber wie Auftragnehmer unbefriedigend, führt zu Unwägbarkeiten für beide Seiten und sollte daher schnell vereinheitlicht werden. Gegen das Urteil des OLG Zweibrücken läuft auch bereits die Revision beim BGH (Az. VII ZR 94/22), so dass die Frage, ob ein Verbraucherbauvertrag beim Bau eines neuen Gebäudes auch dann vorliegt, wenn die Leistungen einzeln vergeben werden, hoffentlich bald höchstrichterlich geklärt wird.

Auch wenn demnächst eine Entscheidung des BGH dazu ergeht, dürften sich freilich Folgefragen anschließen, die die Instanzgerichte dennoch weiter beschäftigen werden. So z.B. die Frage, in welchem zeitlichen Zusammenhang die Einzelgewerke beauftragt werden müssen, um insgesamt noch dem Bau eines neuen Gebäudes gleichzustehen, oder wie viele Einzelleistungen ein Bauunternehmer von seinem Angebot ausnehmen muss, um eine solche Gleichstellung im Sinne der Rechtsprechung zu vermeiden (ohne sich damit einem Verstoß gegen Treu und Glauben auszusetzen).

Praxishinweise:

Bis diese Fragen geklärt sind, sollten gerade Bauunternehmer vorsichtig sein. Im Zweifel ist also ein Verbraucherbauvertrag zu unterstellen, der Auftraggeber entsprechend zu informieren und über sein Widerrufsrecht zu belehren. Auf eine Kündigung gemäß § 650f Abs. 5 BGB sollte der Unternehmer dann ebenfalls besser verzichten. Idealerweise wird der Bauvertrag zudem in den Geschäftsräumen des Auftragnehmers geschlossen, um so zumindest ein (weitergehendes) Widerrufsrecht des Verbrauchers gemäß § 312g BGB auszuschließen (und sich einen Wertersatzanspruch zu sichern).

Schließlich sollte sich der Bauunternehmer bereits vor der Beauftragung einen Überblick über das Gesamtvorhaben verschaffen und dann ggf. seine (bloßen) Teilleistungen und die (erheblichen) Leistungen anderer Unternehmer ausdrücklich im Vertrag festhalten. Dadurch kann im Einzelfall z.B. ein nur untergeordneter Umfang des Gewerks im Gesamtvorhaben oder ein großer zeitlicher Abstand zu anderen Gewerken dokumentiert werden.