Sachverhalt
Die Kläger sind Eigentümer eines Reihenhauses, der Beklagte führt einen Dachdeckerbetrieb. Die Kläger beauftragten den Beklagten im Sommer 2018 mit der Erneuerung von Dachrinnen und Abdichtungsarbeiten im Eingangsbereich ihres Reihenhauses. Während der Arbeiten bemerkte ein Mitarbeiter des Beklagten, dass der Wandanschluss des Daches defekt war und informierte die Kläger. Nachdem der Beklagte dem Kläger die ungefähre Größenordnung der für diese Arbeiten anfallenden Vergütung sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeiten mitgeteilt hatte, beauftragte der Kläger den Beklagten bei gleichzeitiger Anwesenheit am Wohnort des Verbrauchers auch mit diesen Zusatzarbeiten. Nach mangelfreier Ausführung bezahlten die Kläger die vereinbarte Vergütung für beide Aufträge, einschließlich des Zusatzauftrags. Im September 2019 widerriefen die Kläger beide Aufträge. Die Kläger forderten mit der Klage die Rückzahlung der für beide Aufträge gezahlten Vergütung, unter Berufung auf ein angebliches Widerrufsrecht für außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge.
Entscheidung des BGH
Hat ein Verbraucher ein vom Unternehmer am Vortag unterbreitetes Angebot erst am Folgetag angenommen, liegt kein außerhalb von Geschäftsräumen geschlossener Vertrag im Sinne des § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BGB vor.
Nach § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BGB sind außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge solche, die bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit des Verbrauchers und des Unternehmers an einem Ort geschlossen werden, der kein Geschäftsraum des Unternehmers ist. Hierfür ist erforderlich, dass sowohl das Angebot als auch die Annahme bei gleichzeitiger Anwesenheit der Vertragspartner erklärt werden. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn der Verbraucher lediglich das am Vortag abgegebene Angebot des Unternehmers bei gleichzeitiger Anwesenheit der Parteien außerhalb von Geschäftsräumen angenommen hat. Ein Widerrufsrecht besteht dann nicht. Für diese Auslegung spricht auch der mit der Verbraucherrechterichtlinie (RL 2011/83/EU) verfolgte Zweck. Danach ist der Verbraucher vor Druck- und Überraschungssituationen zu schützen, denen er sich außerhalb von Geschäftsräumen des Unternehmers typischerweise ausgesetzt sieht. Findet eine Vertragsverhandlung nicht sofort im Anschluss an das Angebot statt, sondern hat der Verbraucher Gelegenheit, das Angebot des Unternehmers zu prüfen und zu überdenken, ist der verfolgte Zweck des Überrumpelungsschutzes nicht erfüllt. Eine typische Druck- oder Überraschungssituation, vor der § 312b BGB schützen soll, liegt dann nicht vor.
Außerdem sei der Anwendungsbereich des § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BGB bei einer zeitlich versetzten Auftragserteilung nicht eröffnet. Als außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge würden solche definiert, für die der Verbraucher ein Angebot an den Unternehmer außerhalb von Geschäftsräumen abgegeben hat. Für Fälle, in denen der Verbraucher kein Angebot abgegeben, sondern lediglich die Annahme eines Angebots erklärt hat, sei die Vorschrift nicht einschlägig. Eine solche erweiternde Auslegung kommt im Hinblick auf die Verbraucherrechterichtlinie nicht in Betracht. Der Begriff „Angebot“ in § 312b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BGB kann mit dem Begriff der Vertragserklärung (Oberbegriff für Angebot und Annahme) nicht gleichgesetzt werden.
Praxishinweis
Schließen ein Unternehmer und ein Verbraucher etwa in Folge einer vorangegangenen Ortsbesichtigung oder im Rahmen eines bereits in Ausführung befindlichen Vertrages am Ort des Verbrauchers einen (weiteren) Vertrag, wird der Anwendungsbereich des § 312b Abs. 1 BGB regelmäßig eröffnet sein, so dass der Verbraucher über sein Widerrufsrecht zu belehren wäre. Ein ohne Belehrung abgeschlossener Vertrag kann grundsätzlich trotz vollständiger Erfüllung innerhalb verlängerter Frist (1 Jahr und 14 Tage ab Vertragsschluss) widerrufen werden, ohne dass der Verbraucher zum Wertersatz nach § 357a Abs. 2 BGB verpflichtet ist. Dies lässt sich nach dem Urteil des BGH vermeiden, wenn dem Verbraucher zwischen dem vorherigen Angebot und dem nachfolgenden Vertragsschluss eine ausreichende Bedenkzeit zugestanden wird. Angebote sollten dem Verbraucher daher immer mit ausreichend Zeit vor Angebotsannahme übermittelt werden. Sollte dies im Einzelfall nicht möglich sein, muss auf eine hinreichende Widerrufsbelehrung geachtet werden