Fusionskontrolle: Bundeskartellamt und Bundeswettbewerbsbehörde veröffentlichen Leitfaden zur neuen Transaktionswert-Schwelle

Christoph Richter

Das Bundeskartellamt und die Bundeswettbewerbsbehörde haben die finale Fassung des Leitfadens zur neuen Transaktionswert-Schwelle in der Fusionskontrolle veröffentlicht.

20.07.2018 | Kartellrecht

Das (deutsche) Bundeskartellamt und die (österreichische) Bundeswettbewerbsbehörde haben am 9. Juli 2018 die finale Fassung des gemeinsamen Leitfadens zur neuen Transaktionswert-Schwelle in der Fusionskontrolle veröffentlicht.

Der Leitfaden soll mit Hilfe von Erläuterungen und Beispielen als Auslegungshilfe bei der Anwendung einer im vergangenen Jahr in beiden Ländern eingeführten Aufgreifschwelle dienen, mit der durch die Einbeziehung eines kaufpreisbezogenen Kriteriums insbesondere Zusammenschlüsse in der Digitalwirtschaft, wie etwa der Erwerb von WhatsApp durch Facebook, erfasst werden sollen.

Hintergrund

Im Zuge der Novellierung des deutschen Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen („GWB“) und des österreichischen Kartellgesetzes („KartG“) im Jahr 2017 war im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Märkte (jeweils) eine zusätzliche Aufgreifschwelle in der Fusionskontrolle eingeführt worden, mit der Fälle wie etwa der Erwerb von WhatsApp durch Facebook erfasst werden sollen (§ 35 Abs. 1a GWB bzw. § 9 Abs. 4 KartG). Hiernach kann auch der Erwerb eines Unternehmens, welches (zwar) noch keinen nennenswerten Umsatz erwirtschaftet, dessen Erwerb aber zu einem hohen Kaufpreis (in Deutschland mehr als 400 Mio. Euro und in Österreich mehr als 200 Mio. Euro) erfolgt, der Fusionskontrolle unterliegen (die folgenden Ausführungen beziehen sich exemplarisch nur auf das GWB).

Bis zum Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle war eine Transaktion (nach deutschem Recht) nur dann anmeldepflichtig, wenn die nachfolgend genannten Umsatzschwellenwerte kumulativ überschritten wurden:

  • Weltweiter Umsatz der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen von insgesamt mehr als 500 Mio. EUR und
  • Umsatz mindestens eines der am Zusammenschluss beteiligten Unternehmen in Deutschland von mehr als 25 Mio. EUR (1. Inlandsumsatzschwelle) und
  • Umsatz eines anderen an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen in Deutschland von mehr als 5 Mio. EUR (2. Inlandsumsatzschwelle).

Der Erwerb von WhatsApp durch Facebook war in Deutschland vor diesem Hintergrund nicht fusionskontrollpflichtig, da WhatsApp zum damaligen Zeitpunkt den wesentlichen Teil seiner Leistungen in Deutschland kostenlos angeboten hat, somit keine nennenswerten Umsätze erzielte und daher die vorgenannte 2. Inlandsumsatzschwelle nicht erreicht worden war.

Seit dem Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle ist ein Zusammenschluss (nach deutschem Recht) auch dann anmeldepflichtig, wenn (kumulativ)

  • die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen insgesamt einen weltweiten Umsatz von mehr als 500 Mio. Euro erzielt haben,
  • der Umsatz mindestens eines der beteiligten Unternehmen in Deutschland mehr als 25 Mio. Euro beträgt,
  • weder das zu erwerbende Unternehmen noch ein anderes beteiligtes Unternehmen Umsatzerlöse von jeweils mehr als 5 Millionen Euro erzielt haben (die 2. Inlandsumsatzschwelle entfällt also in der zusätzlichen Aufgreifschwelle),
  • der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss mehr als 400 Mio. Euro beträgt (neues Kriterium) und
  • das zu erwerbende Unternehmen in erheblichem Umfang im Inland tätig ist (neues Kriterium).

Inhalt des Leitfadens

In dem Leitfaden werden im Wesentlichen die beiden neu eingeführten Kriterien, d.h. der Wert der Gegenleistung für den Zusammenschluss und die Voraussetzung der erheblichen Inlandstätigkeit des Zielunternehmens erläutert; daneben werden auch verfahrensrechtliche Fragen behandelt.

Der Wert der Gegenleistung umfasst ausweislich des Leitfadens alle Vermögensgegenstände und sonstigen geldwerten Leistungen, die der Veräußerer vom Erwerber im Zusammenhang mit dem infrage stehenden Zusammenschluss erhält. Der Begriff des Vermögensgegenstands ist hiernach weit zu verstehen: Er schließt alle Geldzahlungen ein, die Übertragung von Stimmrechten, Wertpapieren, von Sachanlagen sowie von immateriellen Vermögensgegenständen. Dazu sollen auch Gegenleistungen zählen, die an den Eintritt bestimmter Bedingungen geknüpft sind, wie sie bspw. in Earn-Out-Klauseln enthalten sind, oder andere im Zusammenhang mit dem Zusammenschluss vereinbarte zusätzliche Zahlungen an den Veräußerer, wenn zu einem zukünftigen Zeitpunkt bestimmte Umsatz- oder Gewinnziele erreicht werden (z. B. Lizenzgebühren).

Ebenfalls einzubeziehen seien Zahlungen für einen vereinbarten Wettbewerbsverzicht des Veräußerers, soweit diese nicht bereits vollständig in anderen Teilen der Gegenleistung enthalten sind. Hinsichtlich der Methoden der Wertermittlung geht der Leitfaden insbesondere auf die Fallkonstellationen ein, bei denen die Gegenleistung aus Barmitteln, aus Wertpapieren und/oder aus anderen Vermögenswerten besteht.

Mit der Voraussetzung der erheblichen Inlandstätigkeit des Zielunternehmens sollen Fälle aus dem Anwendungsbereich herausgenommen werden, die im Wesentlichen die Übernahme eines nur im Ausland tätigen Unternehmens betreffen. Diesbezüglich werden im Leitfaden insbesondere Fragen der Messung der Inlandstätigkeit, deren räumlicher Zuordnung (Inlandsbezug), des Marktbezugs sowie der Erheblichkeit erörtert.

Die Inlandstätigkeit wird bei der Prüfung der neuen Aufgreifschwelle ausweislich des Leitfadens in der Regel nicht anhand der Inlandsumsätze, sondern an anderen Indikatoren gemessen, die sich je nach Branche und Tätigkeit unterscheiden können. Im digitalen Bereich kommen bspw. die monatlichen Nutzerzahlen („Monthly Active User“) oder die Zugriffshäufigkeit einer Website („unique visitor“) als Indikatoren in Betracht.

Der Leitfaden kann auf der Webseite des Bundeskartellamtes abgerufen werden.

Fazit

Mit dem neuen Leitfaden fassen die beiden Kartellbehörden die noch junge Fallpraxis hinsichtlich der neuen Aufgreifschwelle zusammen und erhöhen somit die Rechtssicherheit bei der Prüfung von Zusammenschlussvorhaben. Die im Leitfaden enthaltenen Erwägungen sind allerdings ausdrücklich noch vorläufig, weshalb die Entscheidungspraxis der beiden Kartellbehörden weiter zu beobachten bleibt.

Die Verantwortung für die Prüfung der Anmeldepflicht verbleibt auch in Bezug auf die neue Aufgreifschwelle in jedem Fall bei den zusammenschlussbeteiligten Unternehmen. Je näher sich der „Wert der Gegenleistung“ an dem einschlägigen Schwellenwert bewegt, desto genauer muss diese Prüfung ausfallen. Hierzu sollten die Erläuterungen und Beispiele des Leitfadens herangezogen werden. In Grenzfällen ist eine vorsorgliche Anmeldung zu empfehlen.