Kartellrecht: Die 9. GWB-Novelle ist in Kraft getreten!

Christoph Richter

Die 9. GWB-Novelle ist am 9. Juni 2017 in Kraft getreten. Anlass der Novellierung ist die Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie in deutsches Recht. Zugleich soll sichergestellt werden, dass sich Kartellbeteiligte nicht mehr durch bestimmte Umstrukturierungen oder Vermögensverschiebungen ihrer Bußgeldhaftung entziehen können, woraus insbesondere für (lenkende) Konzernmütter neue Haftungsrisiken resultieren. Ferner erfolgen Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle und der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht.

27.06.2017 | Kartellrecht

Die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) ist am 9. Juni 2017 in Kraft getreten. Anlass der Novellierung ist die Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie in deutsches Recht. Zugleich soll sichergestellt werden, dass sich Kartellbeteiligte nicht mehr durch bestimmte Umstrukturierungen oder Vermögensverschiebungen ihrer Bußgeldhaftung entziehen können, woraus insbesondere für (lenkende) Konzernmütter, aber auch für Private-Equity-Investoren neue Haftungsrisiken resultieren. Im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Märkte erfolgen ferner Änderungen im Bereich der Fusionskontrolle und der kartellrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Zudem erweitert die Novelle den Handlungsspielraum von Presseunternehmen im Hinblick auf das Kartellverbot und bringt Erleichterungen für Rundfunkunternehmen im Bereich der Fusionskontrolle.

Kartellschadensersatz: Erleichterte Durchsetzung von Ansprüchen

Mit der Umsetzung der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie wird die Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen erleichtert.

Eine klägerfreundliche Überarbeitung betrifft bspw. die Verjährung von Kartellschadensersatzansprüchen: Die kenntnisabhängige Verjährung wird von drei auf fünf Jahre verlängert; außerdem beginnt die Verjährung nicht vor Beendigung des Kartellverstoßes. Ein wesentlicher Bestandteil der Neuregelungen betrifft den Zugang zu Beweismitteln, welcher erleichtert wird. Bestimmte Unterlagen, insbesondere Kronzeugenanträge, bleiben allerdings von der Herausgabe ausgeschlossen. Auch das aus Kartellschadensersatzklagen resultierende Kostenrisiko der Kläger wird begrenzt. Überdies findet sich in Bezug auf den Abschluss von Vergleichen zwischen Kartellanten und Kartellgeschädigten nunmehr eine besondere Regelung im GWB.

Während mittelbare Abnehmer bisher darlegen und beweisen mussten, dass und in welcher Höhe ein kartellbedingter Preisaufschlag auf die nachfolgende Marktstufe abgewälzt worden ist, wird außerdem künftig zugunsten der mittelbaren Abnehmer vermutet, dass überhaupt eine Schadensweitergabe an diese stattgefunden hat. Hierzu korrespondierend wird der bisher nur von der Rechtsprechung anerkannte Einwand der Schadensabwälzung („passing-on defence“) erstmals gesetzlich geregelt: Hiernach ist der Schaden des Abnehmers ausgeschlossen, soweit der Abnehmer einen Preisaufschlag, der durch einen Verstoß gegen das Kartellrecht verursacht worden ist, an seine Abnehmer (mittelbare Abnehmer) weitergegeben hat.

Die Neuregelungen werden allerdings nur auf Kartellschadensersatzansprüche Anwendung finden, die nach dem 26. Dezember 2016 entstanden sind. Dies gilt allerdings nicht für die Regelungen zur Herausgabe von Beweismitteln und zu Auskünften; diese sind auch für Ansprüche anwendbar, die vor dem 26. Dezember 2016 entstanden sind, insofern an diesem Tag noch nicht Klage erhoben worden ist.

Kartellbußgelder: Neue Haftungsrisiken für lenkende Konzernmütter bei Kartellverstößen ihrer Tochtergesellschaften

Daneben beinhaltet die 9. GWB-Novelle gravierende Änderungen hinsichtlich der Durchsetzung von Kartellbußgeldern. Nach deutschem Recht unterlagen bisher auf Grund des sog. Rechtsträgerprinzips in der Regel nur die unmittelbar tatbeteiligten Unternehmen einer Haftung für Verstöße gegen das Kartellverbot; eine Haftung der Konzernmutter bzw. der „wirtschaftlichen Einheit“ (wie im europäischen Kartellrecht) war dem deutschen Kartellrecht hingegen bisher fremd. Diesen Umstand hatten sich in der Vergangenheit immer wieder kartellbeteiligte Unternehmen zu Nutze gemacht, um einer Haftung für Kartellbußgelder zu entgehen. Bekanntestes Beispiel hierfür war der Fall des westfälischen Wurstfabrikanten Tönnies, dem eine der verbliebenen Haftungslücken die Bezeichnung „Wurstlücke“ zu verdanken hatte.

Die Novellierung soll nunmehr sicherstellen, dass sich Kartellbeteiligte in Zukunft nicht mehr durch bestimmte Umstrukturierungen oder Vermögensverschiebungen der Haftung für Kartellbußgelder entziehen können. Hierzu wird nicht nur eine umfassende Haftung von Rechtsnachfolgern und wirtschaftlichen Nachfolgern, sondern auch eine verschuldensunabhängige Haftung der lenkenden Konzernmutter für Kartellbußgelder in das deutsche Kartellrecht eingeführt. Aus den Neuregelungen resultieren neue Haftungsrisiken insbesondere für (lenkende) Konzernmuttergesellschaften. Allerdings müssen sich vor diesem Hintergrund auch Private-Equity-Investoren künftig stärker als bisher gegen diesbezügliche Haftungsrisiken absichern.

Fusionskontrolle (1): Zusätzliche Aufgreifschwelle erfasst bei hohem Kaufpreis auch den Erwerb von Start-Ups

Insofern eine Transaktion einen Zusammenschlusstatbestand verwirklicht, war diese bisher nur dann anmeldepflichtig, wenn die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr insgesamt einen weltweiten Umsatz von mehr als 500 Mio. Euro erzielt hatten, mindestens ein beteiligtes Unternehmen einen Umsatz in der Bundesrepublik Deutschland von mehr als 25 Mio. Euro (1. Inlandsumsatzschwelle) und mindestens ein anderes beteiligtes Unternehmen einen Umsatz in der Bundesrepublik Deutschland von mehr als 5 Mio. Euro (2. Inlandsumsatzschwelle) erzielt hatte (jeweils im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr).

Im Hinblick auf die zunehmende Digitalisierung der Märkte wird nunmehr eine zusätzliche Aufgreifschwelle in der Fusionskontrolle eingeführt. Hiermit sollen Fälle wie der Erwerb von WhatsApp durch Facebook künftig der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt unterworfen werden. Der Fall war in Deutschland nicht anmeldepflichtig, da WhatsApp den wesentlichen Teil seiner Leistungen in Deutschland kostenlos anbietet, somit keine nennenswerten Umsätze erzielt und daher die 2. Inlandsumsatzschwelle (5 Mio. Euro) nicht überschritten worden war.

Vor diesem Hintergrund ist ein Zusammenschluss künftig auch dann anmeldepflichtig, wenn die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr insgesamt einen weltweiten Umsatz von mehr als 500 Mio. Euro erzielt haben, der Umsatz in der Bundesrepublik Deutschland von mindestens einem beteiligten Unternehmen (im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr) mehr als 25 Mio. Euro betragen hat, der „Wert der Gegenleistung“ den Wert von 400 Mio. Euro übersteigt und das zu erwerbende Unternehmen „in erheblichem Umfang im Inland tätig ist“. Der „Wert der Gegenleistung“ umfasst in erster Linie den Kaufpreis, sämtliche Vermögensgegenstände und übernommene Verbindlichkeiten. Daher kann künftig auch der Erwerb eines Start-Ups mit einem hohen Kaufpreis der deutschen Fusionskontrolle unterliegen.

Fusionskontrolle (2): Erleichterungen für Rundfunkunternehmen

Für die Berechnung der o.g. Umsatzschwellen ist grundsätzlich auf den im letzten abgeschlossenen Geschäftsjahr von den beteiligten Unternehmen tatsächlich erzielten Umsatz abzustellen. Bei Zusammenschlüssen von Presse- oder Rundfunkunternehmen wird der Umsatz allerdings durch einen Multiplikationsfaktor erhöht, zumal die Umsätze von Unternehmen in diesem Bereich in der Regel deutlich unterhalb der Aufgreifschwellen liegen und derartige Zusammenschlüsse ohne die Anwendung des Faktors regelmäßig der Fusionskontrolle entzogen wären.

Für den Verlag, die Herstellung und den Vertrieb von Zeitungen, Zeitschriften und deren Bestandteilen verbleibt dieser Faktor auch nach der 9. GWB-Novelle bei acht. Für die Herstellung, den Vertrieb und die Veranstaltung von Rundfunkprogrammen und den Absatz von Rundfunkwerbezeiten wird der Faktor allerdings nunmehr von zwanzig auf acht gesenkt. Hierdurch unterliegen „kleinere“ Zusammenschlüsse im Rundfunkbereich künftig nicht mehr der Fusionskontrolle.

Kartellverbot: Erleichterungen für die verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit von Presseunternehmen

Überdies erweitert die Novelle den Handlungsspielraum von Presseunternehmen, indem für die verlagswirtschaftliche Zusammenarbeit, etwa das Anzeigen- und Werbegeschäft, den Vertrieb oder die Zustellung von Zeitschriften eine Ausnahme vom Kartellverbot geschaffen wird. Die Regelung gilt allerdings nicht für eine Zusammenarbeit im redaktionellen Bereich.

Missbrauchsaufsicht (1): Digitale Märkte und unentgeltliche Leistungen

Auch die (allgemeine) kartellrechtliche Missbrauchsaufsicht wird an die fortschreitende Digitalisierung der Märkte angepasst. Bei der Beurteilung der Marktstellung eines Unternehmens sollen künftig insbesondere Netzwerk- und Skaleneffekte, die zu einer Marktkonzentration führen können, sowie der Zugang zu Daten und das Verhalten der Nutzergruppen berücksichtigt werden können. Außerdem sollen künftig auch unentgeltliche Austauschbeziehungen (bspw. im Falle von Suchmaschinen oder Vergleichsportalen) einen kartellrechtlich relevanten Markt darstellen können, welcher der (kartellrechtlichen) Missbrauchsaufsicht unterliegt.

Missbrauchsaufsicht (2): Verlängerung der Missbrauchsaufsicht über Strom- und Gasanbieter

Ferner wird die Anwendbarkeit der (besonderen) Missbrauchsaufsicht über Anbieter von Elektrizität und leitungsgebundenem Gas (§ 29 GWB) noch einmal um fünf Jahre bis zum 31.12.2022 verlängert.

Hintergrund: Verspätetes Inkrafttreten

Das Inkrafttreten der 9. GWB-Novelle erfolgt mit deutlicher Verspätung, zumal die in Art. 21 der EU-Kartellschadensersatzrichtlinie (2014/104/EU) vorgegebene Umsetzungsfrist bereits am 27. Dezember 2016 verstrichen war. Die Europäische Kommission hatte auf Grund dessen bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet.