In einem vom Landgericht Kiel vorgelegten Fall gab der EuGH der Position der beklagten Sparkasse Südholstein Recht, dass einem Darlehensnehmer bei einer Anschlusszinsvereinbarung für ein Darlehen kein zusätzliches Widerrufsrecht entsteht (EuGH Urteil vom 18. Juni 2020, C-639/18). Der EuGH bestätigt damit die bisherige Rechtsprechung des BGH, der zuletzt 2019 zum gleichen Ergebnis gekommen war (BGH Urteil vom 24. September 2019, XI ZR 322/18).
Können Anschlusszinsvereinbarungen separat widerrufen werden?
In der dem EuGH vom Landgericht Kiel vorgelegten Rechtssache hatte ein Kreditnehmer in den Jahren 2008 und 2010 bei der beklagten Sparkasse Anschlusszinsvereinbarungen für drei in den 1990er Jahren abgeschlossene Darlehensverträge unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen. 2015 widerrief der Kreditnehmer diese Anschlusszinsvereinbarungen und berief sich auf fehlerhafte Belehrungen. Von der beklagten Sparkasse verlangte er Zins- und Tilgungsleistungen zurück. Die Sparkasse lehnte dies mit der Begründung ab, bei Prolongationen bestehe kein gesondertes Widerrufsrecht.
EuGH: Festlegung eines neuen Zinssatzes erfordert im Rahmen eines bestehenden Darlehens keinen neuen Vertrag über Finanzdienstleistungen
Der EuGH bestätigte die Sichtweise der beklagten Sparkasse. Das Vorabentscheidungsersuchen betraf die Auslegung von Vorschriften der Richtlinie 2002/65/EG über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher. Der EuGH führt in seinem Urteil aus, dass die Richtlinie zwar ein hohes Verbraucherschutzniveau gewährleisten soll, damit das Vertrauen des Verbrauchers in den Fernabsatz wächst und der freie Verkehr von Finanzdienstleistungen sichergestellt wird. Dieser Zweck erfordere es aber nicht, bei der Festlegung eines neuen Zinssatzes im Rahmen eines bestehenden Darlehens, die Änderungsvereinbarung als neuen Vertrag zu qualifizieren. Die Auslegung des entsprechenden Artikels der Richtlinie ergebe, dass die Festlegung eines neuen Zinssatzes durch eine Anschlusszinsvereinbarung in Erfüllung einer bereits im ursprünglichen Vertrag vorgesehenen Klausel, nicht den Abschluss eines „neuen“ Vertrages über eine Finanzdienstleistung darstellt.
BGH: Vereinbarung eines neuen Zinssatzes bei unechten Abschnittsfinanzierungen begründet kein gesetzliches Widerrufsrecht
Der BGH hatte bereits im September 2019 in diesem Sinne entschieden. Das dem Verbraucher gesetzlich eingeräumte Widerrufsrecht (§§ 495 Abs. 1, 355 BGB aF) könne sich nur auf den Abschluss eines Verbraucherdarlehensvertrages richten. Kennzeichnend für diesen sei jedoch die Einräumung eines Kapitalnutzungsrechts. § 495 Abs. 1 BGB könne bei einer Änderung des Verbraucherdarlehensvertrages daher nur Anwendung finden, wenn dem Verbraucher in Folge der Vertragsänderung zugleich ein neues, im ursprünglichen Darlehensvertrag weder geregeltes noch angelegtes Kapitalnutzungsrecht eingeräumt werde. Der BGH spricht insoweit von Abschnittsfinanzierungen. Ein neues Kapitalnutzungsrecht werde dem Verbraucher in den Fällen, in denen ein Festzins nicht für den gesamten Zeitraum des Kapitalnutzungsrechts vereinbart wird, nicht eingeräumt. Es handle sich lediglich um eine neue Konditionenvereinbarung, die zwischen Darlehensgeber und Darlehensnehmer nach Ablauf der Zinsbindungsfrist geschlossen werde („unechte Abschnittsfinanzierung“). In diesem Fällen bestehe kein gesetzliches Widerrufsrecht.
Fazit
Die Entscheidung des EuGH ist nicht überraschend. Sie bestätigt die zutreffende bisherige Rechtsprechung des BGH. Im Einzelfall bleibt zu prüfen, ob den Darlehensnehmern im Rahmen der Vereinbarung eines neuen Zinssatzes unter Umständen ein vertragliches Widerrufsrecht, das jedoch nicht den strengen gesetzlichen Formvorschriften unterliegt, eingeräumt wurde.