BGH entscheidet über Vertragsänderungsklauseln in AGB-Banken

Dr. Nina Rossi

Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 27.04.2021 Klauseln in AGB-Banken, die die Zustimmung des Kunden zu einer Vertragsänderung ohne jegliche Einschränkung fingieren, für unwirksam erklärt. Jetzt liegen die schriftlichen Urteilsgründe vor.

Mit Urteil vom 27.04.2021 (XI ZR 26/20) hat der Bundesgerichtshof in einem Rechtsstreit des Verbraucherzentrale Bundesverbandes mit einer Mitgliedsbank die von der Bank eingesetzten Vertragsänderungsklauseln in Nr. 1 Absatz 2 und Nr. 12 Absatz 5 AGB-Banken „im Verkehr mit Verbrauchern“ für unwirksam erklärt. Der Bundesgerichtshof begründet dies damit, die beiden Klauseln deckten nach ihrem Wortlaut jegliche Vertragsänderung per Zustimmungsfiktion ab, selbst wenn es hierfür einer ausdrücklichen Annahmeerklärung des Verbrauchers bedürfe.

1. Unwirksamkeit von Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken

Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken hält nach Auffassung des Bundesgerichtshofs einer Inhaltskontrolle nach §§ 307 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht stand (vgl. Rn. 19 ff.). Nr. 1 Abs. 2 AGB-Banken weiche von wesentlichen Grundgedanken der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1, §§ 145 ff. BGB ab, indem die Klausel das Schweigen des Verwendungsgegners als Annahme eines Vertragsänderungsantrags fingiere. Diese Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung benachteilige die Kunden unangemessen nach § 307 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine unangemessene Benachteiligung werde im Falle einer Abweichung von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vermutet. Die Vermutung sei nur dann widerlegt, wenn die Abweichung vom gesetzlichen Leitbild auf Grundlage einer umfassenden Interessenabwägung sachlich gerechtfertigt und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt sei (Rn. 24). Dies sei hier nicht der Fall. Die Klausel betreffe nicht nur Anpassungen von Details der vertraglichen Beziehungen mittels fingierter Zustimmung des Kunden, sondern jegliche Änderung. Eine unbeschränkte einseitige Vertragsänderungsbefugnis benachteilige Verbraucher unangemessen (vgl. Rn. 26 ff.). Die Klausel laufe gerade gegenüber ungewandten Verbrauchern tatsächlich auf eine einseitige, inhaltlich nicht eingegrenzte Änderungsbefugnis der Bank hinaus. Für solch weitreichende, die Grundlagen des Vertrages betreffende Änderungen bedürfe es „eines den Anforderungen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1 und §§ 145 ff. BGB genügenden Änderungsvertrags“ (vgl. Rn. 27).

2. Unzulässigkeit von Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken

Auch die Preisanpassungsklausel in Nr. 12 Abs. 5 AGB-Banken sei unzulässig, weil von der Bank mittels der Zustimmungsfiktion die vom Kunden geschuldete Hauptleistung geändert werden könne, ohne dass hierfür Einschränkungen vorgesehen seien (vgl. Rn. 38). Die Bank habe damit eine „Handhabe, das Äquivalenzverhältnis von Leistung und Gegenleistung erheblich zu ihren Gunsten zu verschieben und damit die Position ihres Vertragspartners zu entwerten“. Auch hierfür sei ein Änderungsvertrag erforderlich, eine Zustimmungsfiktion reiche nicht aus.

3. Auswirkungen des Urteils

Die Auswirkungen des Urteils lassen sich noch nicht im Einzelnen absehen. Insbesondere wird Rechtsprechung dazu abzuwarten bleiben, in welchem Umfang Vertragsänderungen per formularmäßiger Zustimmungsfiktion künftig noch zulässig sind.

Wer ist durch das Urteil betroffen?

Das Urteil ist konkret zu AGB-Banken ergangen. Jedoch hat der Bundesgerichtshof in dieser Entscheidung einen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts aufgestellt, wonach die klauselmäßige Zustimmungsfiktion von wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung abweiche, indem sie das Schweigen des Verwendungsgegners als Annahme eines Vertragsänderungsantrags fingiere. Dieser Grundsatz gilt nicht nur im bankrechtlichen, sondern insgesamt im unternehmerischen Verkehr. Fraglich kann allein sein, ob die Vermutung einer unangemessenen Benachteiligung im unternehmerischen Verkehr – anders als nach Auffassung des Bundesgerichtshofs im bankrechtlichen Verkehr – aufgrund einer Interessenabwägung widerlegt ist. Allein das legitime organisatorische Bedürfnis des Unternehmers nach einer einfachen Vertragsabwicklung hat der Bundesgerichtshof hierfür nicht ausreichen lassen (vgl. Rn. 32), ebenso wenig wie (bank-)betriebswirtschaftliche Erwägungen (vgl. Rn. 31). Wenn daher nicht im konkreten Einzelfall ein anerkennenswertes, besonderes Interesse des Unternehmers an einer formularmäßigen Zustimmungsfiktion begründbar ist, dürften daher entsprechende Klauseln auch im unternehmerischen Verkehr zu beanstanden sein.

Gelten die vom Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätze auch im Verkehr mit Unternehmern?

In seinem Leitsatz hat der Bundesgerichtshof die von der Bank eingesetzten Vertragsänderungsklauseln in Nr. 1 Absatz 2 und Nr. 12 Absatz 5 AGB-Banken „im Verkehr mit Verbrauchern“ für unwirksam erklärt. Fraglich ist vor diesem Hintergrund, ob sich diese Grundsätze in gleicher Weise auf den Verkehr mit Unternehmern übertragen lassen. Über diese Frage musste der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27.04.2021 nicht befinden.

Entscheidend für die Beantwortung dieser Frage wird sein, ob die infolge der Abweichung von Grundgedanken der gesetzlichen Regelung vermutete unangemessene Benachteiligung im Verkehr mit Unternehmern widerlegt werden kann. Hierfür ist eine umfassende Interessenabwägung anzustellen. Im Rahmen einer solchen Interessenabwägung wird der Umstand zu berücksichtigen sein, dass Unternehmer nicht vergleichbar wie Verbraucher schutzbedürftig sind. Der Bundesgerichtshof hat bei der von ihm vorgenommenen Interessenabwägung betreffend Verbraucher (unter anderem) darauf abgestellt, dass die Klausel, „gerade gegenüber ungewandten Verbrauchern“ auf eine inhaltlich nicht eingrenzbare Änderungsbefugnis der Bank hinauslaufe. Dies spricht auf den ersten Blick dagegen, die Entscheidung unbesehen auch auf Unternehmer zu übertragen. Die Entwicklung der Rechtsprechung hierzu wird jedoch abzuwarten bleiben.

Welche zeitliche Dimension haben die Urteilswirkungen?

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat zum einen zur Folge, dass Banken Vertragsänderungsklauseln, die ohne inhaltliche Einschränkung jegliche Vertragsänderung per Zustimmungsfiktion gestatten, jedenfalls gegenüber Verbrauchern in der Zukunft nicht mehr verwenden dürfen. Banken sollten daher möglichst unverzüglich entsprechende Klauseln in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen streichen, insbesondere da insoweit das Risiko von Abmahnungen besteht. Einige Banken haben bereits vor Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe die beanstandeten Klauseln jedenfalls im Neukundengeschäft mit Verbrauchern nicht mehr verwendet.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs hat Auswirkungen jedoch nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit. Der Bundesgerichtshof hat einen etwaigen Vertrauensschutz aufgrund der jahrelang unbeanstandeten Klausel abgelehnt. Dies hat zur Folge, dass sämtliche Vertragsänderungen, die in der Vergangenheit über die Zustimmungsfiktion erfolgt sind, nicht wirksam geworden sind. Die Verträge bestehen mit dem Inhalt, der mit dem Kunden (zweiseitig) vereinbart worden ist. Die Bank wird daher jeweils im Einzelfall zu prüfen haben, welche Vereinbarungen mit dem Kunden getroffen wurden und bei welchen Vertragsänderungen die Zustimmung des Kunden – insoweit unwirksam – fingiert wurde. 

Welchen Ansprüchen sehen sich Banken künftig ausgesetzt?

Im Falle unwirksamer – weil fingierter – Vertragsänderungen hat die Bank Zahlungen, die sie auf der Grundlage der unwirksam geänderten Verträge vereinnahmt hat, zurückzuzahlen, weil sie diese Zahlungen ohne Rechtsgrund erlangt hat. In Rede stehen hier insbesondere (geänderte) Entgelte, wie etwa Konto- oder Depotführungsgebühren. 

Nach Information aus Bankenkreisen gibt es bereits Kunden, die Rückforderungsansprüche im Hinblick auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2021 geltend machen, die Zahl sei jedoch noch „überschaubar“. Zu erwarten steht, dass diese Zahl nach Vorliegen der schriftlichen Urteilsgründe ansteigt. Insbesondere ist damit zur rechnen, dass Verbraucherschutzanwälte das Urteil des Bundesgerichtshofs für sich nutzbar zu machen suchen und gezielt um Mandate auf diesem Gebiet werben. Abzuwarten wird bleiben, welchen Zulauf diese Kanzleien erfahren werden. Kunden, bei denen lediglich Bagatellbeträge in Rede stehen – etwa im Falle einer unwirksamen Entgelterhöhung um wenige Cent – werden erfahrungsgemäß wenig dazu neigen, einen Anwalt mit der Durchsetzung ihnen zustehender Ansprüche zu mandatieren oder insoweit auch nur eine Auseinandersetzung mit ihrer Hausbank zu suchen. Anders wird dies dann sein, wenn größere Beträge im Raum stehen. Auch insoweit gilt, dass die Entwicklung abzuwarten bleiben wird.

Wann verjähren Rückforderungsansprüche der Kunden?

Grundsätzlich gilt für Rückforderungsansprüche des Kunden die kenntnisabhängige dreijährige Jahresendverjährung des § 195 BGB. Dies bedeutet, dass Ansprüche die im Jahr 2018 mit Kenntnis des Kunden entstanden sind, zum 31.12.2021 verjähren. Kenntnis des Kunden erfordert grundsätzlich nur die Kenntnis der anspruchsbegründenden Tatsachen, nicht jedoch die zutreffende rechtliche Bewertung dieser Tatsachen. Eine Ausnahme gilt lediglich bei besonders unübersichtlicher und verwickelter Rechtslage, in diesem Fall können ausnahmsweise auch erhebliche rechtliche Zweifel den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen, insbesondere wenn der Rechtsdurchsetzung in der Vergangenheit die bestehende höchstrichterliche Rechtsprechung entgegenstand. Dies hat der Bundesgerichtshof etwa bis zur Änderung der Rechtsprechung zu unzulässigen Bearbeitungsentgelten im Jahr 2011 für Ansprüche auf Rückforderung des Bearbeitungsentgelts bejaht. Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass der Bundesgerichtshof eine solche rechtliche Unklarheit auch im Falle von Vertragsänderungen per Zustimmungsfiktion bejaht. Der Bundesgerichtshof verweist in seiner Entscheidung – möglicherweise bereits im Vorgriff auf künftige Diskussionen um den Verjährungsbeginn – ausdrücklich darauf, dass sich der bisherigen Rechtsprechung eine ausdrückliche Billigung solcher Klauseln nicht entnehmen lässt (vgl. Rn. 36). Anspruchsverjährung dürfte demnach bereits mit der Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände – etwa mit Kenntnis der Zahlung eines (unwirksam erhöhten) Entgelts an die Bank – zu laufen beginnen und nicht erst mit der Veröffentlichung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27.04.2021.

Welche Handlungsempfehlung besteht für Banken?

Unbedingt anzuraten ist, die vom Bundesgerichtshof beanstandeten Klauseln jedenfalls im Verkehr mit Verbrauchern mit sofortiger Wirkung nicht mehr zu verwenden.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs bedeutet jedoch nicht, dass künftig formularmäßige Zustimmungsfiktionen generell keine Verwendung mehr finden können. Der Bundesgerichtshof konstatiert in seiner Entscheidung, dem berechtigten Interesse des Klauselanwenders an der Vereinfachung der Vertragsanpassung mit Erklärungsfiktion könne „durch eine einschränkend-konkretisierende Formulierung der Klausel Rechnung getragen werden“ (vgl. Rdnr. 32). Der Bundesgerichtshof hat die Unwirksamkeit der beanstandeten Klausel maßgeblich damit begründet, die Klausel betreffe nicht nur Anpassungen von Details der vertraglichen Beziehungen mittels fingierter Zustimmung des Kunden, sondern jegliche Änderung. Die Klausel laufe tatsächlich auf eine einseitige, inhaltlich nicht eingegrenzte Änderungsbefugnis der Bank hinaus. Für solch weitreichende, die Grundlagen des Vertrages betreffende Änderungen bedürfe es „eines den Anforderungen der § 305 Abs. 2, § 311 Abs. 1 und §§ 145 ff. BGB genügenden Änderungsvertrags“ (vgl. Rn. 27).

Dem lässt sich entnehmen, dass „Details“ der vertraglichen Beziehungen weiterhin mittels fingierter Zustimmung des Kunden angepasst werden können, unzulässig ist dagegen andererseits eine Änderung der „vertraglichen Grundlagen“ mittels fingierter Zustimmungserklärung. Eine Änderung der vertraglichen Grundlagen kann nur mittels (zweiseitiger) Änderungsvereinbarung mit dem Kunden erfolgen. Zwischen den „Details“ der vertraglichen Beziehung und den „vertraglichen Grundlagen“ verbleibt eine Grauzone, hinsichtlich derer sich derzeit nicht rechtssicher beurteilen lässt, ob fingierte Zustimmungen formularmäßig vereinbart werden können.

Jedenfalls jedoch muss sich künftig verwendeten Klauseln entnehmen lassen, für welche vertraglichen Änderungen die Zustimmung des Kunden fingiert werden soll. Bei der Formulierung entsprechender Klauseln sollte darauf geachtet werden, dass sich die Änderungen, bei denen die Zustimmung des Kunden fingiert wird, eindeutig und insbesondere hinreichend bestimmt aus der Klausel selbst ergeben.

Hinsichtlich der Rückforderungsansprüche, die künftig von Kunden an die Bank herangetragen werden, gilt es, jeweils den konkreten Einzelfall zu prüfen. Zu prüfen ist insbesondere, ob das Einverständnis des Kunden mit einer Vertragsänderung tatsächlich fingiert wurde, oder ob der Kunde nicht – möglicherweise auch stillschweigend und zu einem späteren Zeitpunkt – seine Zustimmung zu der Vertragsänderung erklärt hat. Denkbar ist auch der Fall, in dem ein Kunde, etwa bei angekündigter Erhöhung der Kontoführungsgebühren, zu einem (günstigeren) Konto anderen Typs wechselt. Auch wenn auch für dieses Konto nun von der Bank erhöhte Gebühren verlangt werden, kann der Kunde diese erhöhten Gebühren nicht zurückfordern, da seine Zustimmung zu der Gebührenerhöhung nicht fingiert wurde, sondern er einen neuen Kontoführungsvertrag durch (zweiseitige) Vereinbarung abgeschlossen hat. Dies zeigt, dass es jeweils einer Prüfung im Einzelfall bedarf. Es empfiehlt sich daher aus Sicht der Banken nicht, vor einer solchen Prüfung nun „proaktiv“ sämtliche erhöhten Gebühren sofort zurückzuerstatten. Es sollte abgewartet werden, welche Kunden überhaupt mit Rückforderungsansprüchen an die Banken herantreten, insbesondere in den Fällen bloßer Bagatellbeträge wird eine gewisse Trägheit der Kunden zu beobachten sein, überhaupt mit dem Verlangen nach einer Rückzahlung an die Bank heranzutreten.