Neuer Gestaltungsspielraum bei Beschlüssen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG (BGH mit Urteilen vom 22. März 2024 – Az. V ZR 81/23 und V ZR 87/23)

Olaf Gratzke

Interessant für die Neuverteilung von Erhaltungskosten in Mehrhausanlagen: Der BGH erklärt bei Beschlüssen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG die erstmalige Kostenbelastung oder -befreiung von Eigentümern für zulässig. Eine Regelung gleichgelagerter Folge-maßnahmen ist bei dem Beschluss von Einzelmaßnahmen nicht erforderlich.

In zwei aktuellen Entscheidungen erweitert der Bundesgerichtshof (BGH) den Gestaltungsspielraum, der den Wohnungseigentümern bei einer Änderung der Kostenverteilung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG zusteht. 

Kreis der Kostenschuldner abänderbar (Az. V ZR 81/23)

Ein WEG-Mitglied erhob Klage gegen einen Beschluss, der die künftigen Erhaltungskosten der Doppelparker-Anlagen in einer gemeinschaftlichen Tiefgarage allein den Teileigentümern der Anlagen gemeinschaftlich auferlegt. Der Beschluss weicht von der Teilungserklärung ab, nach der sämtliche Eigentümer Erhaltungskosten anteilig zu tragen haben.

Der BGH erklärt den Beschluss für rechtmäßig. Die Wohnungseigentümer können im Rahmen einer Änderung der Kostenverteilung nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG nicht nur das „Wie“ der Kostenverteilung ändern, sondern auch das „Ob“. Einzelne Wohnungseigentümer können demnach erstmals an bestimmten Kosten beteiligt oder hiervon befreit werden.

Die Entscheidung stellt eine Rechtsprechungsänderung gegenüber früherer Rechtsprechung dar, die zur gesetzlichen Öffnungsklausel des § 16 Abs. 3 WEG in der bis zum 30. November 2020 geltenden Fassung ergangen ist. Hierzu wurde höchstrichterlich entschieden, dass einem Wohnungseigentümer gerade nicht erstmalig Kosten auferlegt werden konnten, wenn er zuvor von diesen freigestellt war. Mangels Beschlusskompetenz war ein entsprechender Beschluss nichtig (BGH mit Urteil vom 01. Juni 2012 – Az. V ZR 225/11 in ZWE 2012, 363, beck-online).

Bei der Prüfung der Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung wird in der aktuellen Entscheidung sodann hervorgehoben, dass vormals von allen Wohnungseigentümern zu tragende Erhaltungskosten dann einzelnen Wohnungseigentümern auferlegt werden können, wenn die beschlossene Kostenverteilung dem Gebrauch oder den Gebrauchsmöglichkeiten Rechnung trägt. Die alleinige Gebrauchsmöglichkeit durch einzelne Eigentümer rechtfertigt dann selbst eine erhebliche Kostenmehrbelastung dieser Eigentümer gegenüber dem gesetzlichen Verteilungsmaßstab.

Ausdrücklich offengelassen wurde allerdings, inwieweit ein Beschluss ordnungsgemäßer Verwaltung entsprechen kann, der die erstmalige Kostenbelastung eines Wohnungseigentümers zum Gegenstand hat.

Folgeregelungen nicht zwingend (Az. V ZR 87/23)

In einer weiteren Wohnungseigentümergemeinschaft stand in einer im Dachgeschoss belegenen Sondereigentumseinheit der Austausch der Dachflächenfenster an. Der Sondereigentümer der Einheit erhob Beschlussklage gegen den Beschluss, der ihm die alleinige Finanzierung des Austauschs auferlegt.

Wiederum erachtet der BGH den Beschluss für rechtmäßig. Es wird erneut ausgeführt, dass auch im Hinblick auf die im Gemeinschaftseigentum stehenden Fenster der Gebrauchsmöglichkeit des jeweiligen Sondereigentümers dadurch Rechnung getragen werden kann, dass ihm die Erhaltungskosten auferlegt werden. Dies entspricht ordnungsgemäßer Verwaltung.

Insbesondere wird dann indes die bislang in der Rechtsprechung streitige Frage beantwortet, ob bei der Beschlussfassung über die Kostentragung gem. § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG stets auch künftig auftretende Folgefälle mitgeregelt werden müssen. Das verneint der BGH.

Die Gemeinschaft kann demnach auf Grundlage des § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG eine Änderung der Kostenverteilung für eine einzelne Erhaltungsmaßnahme beschließen ohne zugleich eine entsprechende Regelung für alle künftig gleich gelagerten Fälle treffen zu müssen. Zwar ist die einmal beschlossene Kostenverteilung unter dem Gesichtspunkt der Maßstabskontinuität grundsätzlich bei Folgemaßnahmen zu berücksichtigen. Nach dem BGH ist die Erforderlichkeit einer solchen Berücksichtigung jedoch erst im Rahmen einer künftigen konkreten Maßnahme, beziehungsweise Beschlussfassung zu beurteilen.

Praxishinweis

Die beiden Urteile entscheiden zwei bislang umstrittene Fragen zugunsten dem Gestaltungsspielraum der Wohnungseigentümer. So können nun durch Beschluss etwa die Erhaltungskosten in Mehrhausanlagen auf die jeweils betroffenen Häuser verteilt werden. Zudem können die Kosten einer dringend anstehenden Erhaltungsmaßnahme verteilt werden, ohne dass bereits die Frage nach Folgefällen und der Einschlägigkeit der Maßstabskontinuität beantwortet werden muss. Die Verteilung vieler Kosten, insbesondere von Erhaltungsmaßnahmen wie einem Fensteraustausch oder einer Balkonsanierung, wird künftig also einfacher.

Für WEG-Verwalter gibt es bei der Formulierung von Beschlussanträgen allerdings weiterhin viel zu beachten. Im Rahmen der formellen Anforderungen kann sich insbesondere im Fall kollidierender Öffnungsklauseln in der Teilungserklärung die Frage nach der erforderlichen Beschlussmehrheit stellen. Inhaltlich sind bei Beschlüssen nach § 16 Abs. 2 Satz 2 WEG stets die Grundsätze ordnungsgemäßer Verwaltung zu berücksichtigen. Zur Vermeidung etwaiger Anfechtungsverfahren im Nachgang zur Beschlussfassung empfehlen wir, bereits bei der Formulierung von Beschlussanträgen besonders sorgsam vorzugehen und potenzielle Angriffspunkte zu beseitigen. LUTZ | ABEL kann dabei unterstützen.