Der Einsatz von Open Source Software (auch „OSS“) ist aus der Softwareentwicklung nicht mehr wegzudenken. Wer Open Source Software nutzt, hat deren Lizenzbedingungen einzuhalten. Im Bereich der OSS-Lizenzierung wird dabei zwischen permissiven Lizenzen sowie den problematischeren, sogenannten „Copyleft“-Lizenzen, unterschieden. Während permissive Lizenzen, wie etwa die Apache 2.0 Lizenz und die MIT-Lizenz, dem Lizenznehmer regelmäßig weitgehende Freiheiten einräumen, sehen Copyleft-Lizenzen strikte Vorgaben vor. Zu den wohl bekanntesten Copyleft-Lizenzen gehören die GNU General Public Licence der zweiten und dritten Version („GPL 2.0“ bzw. „GPL 3.0“), die GNU Affero General Public License („AGPL“) und die GNU Lesser General Public Licenses („LGPL“). Den wohl bekanntesten Einsatz hat die GPL im LINUX Betriebssystem, welches zu Beginn rund 12.000 Codezeilen aufwies, mittlerweile auf mehrere Millionen Codezeilen angewachsen ist.
Die hinter den GPL-Lizenzen stehende Absicht ist, dass die Software weitestgehend genutzt, insbesondere weiterentwickelt werden kann und durch die Kollaboration verschiedener Programmierer/-innen stets funktionsfähig ist. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es nicht nur erforderlich, dass auch Weiterentwicklungen unter einer kompatiblen GPL-Lizenz stehen, sondern dass der Quelltext (engl.: Source Code) zugänglich gemacht wird. Im Vorwort der GPL 2.0 heißt es dazu:
„Unsere Lizenzen sollen Ihnen die Freiheit garantieren, Kopien freier Software zu verbreiten (…), die Möglichkeit, die Software im Quelltext zu erhalten oder den Quelltext auf Wunsch zu bekommen. Die Lizenzen sollen garantieren, dass Sie die Software ändern oder Teile davon in neuen freien Programmen verwenden dürfen – und dass Sie wissen, dass Sie dies alles tun dürfen. (…) Sie müssen sicherstellen, dass auch die Empfänger den Quelltext erhalten bzw. erhalten können.“
Weiterentwicklungen sollen allen Nutzern zur Verfügung stehen. Dafür sehen die Lizenzen vor, dass auch an sich proprietäre Software, in die unter GPL stehende Komponenten in einer bestimmten Weise eingebunden werden, insgesamt ebenfalls unter der GPL-Lizenz weitergegeben und veröffentlicht werden muss. Dies wird auch als „viraler Effekt“ der Copyleft-Lizenz beschrieben.
Aus Sicht der Lizenznehmer, die Softwareanpassungen und -weiterentwicklungen zur Förderung ihres eigenen Geschäfts vornehmen, kann sich aus diesen Bedingungen ein Nachteil ergeben. Häufig haben vorgenommene Änderungen an Open Source Software einen erheblichen kommerziellen Wert und begründen Wettbewerbsvorteile. Daraus ergibt sich ein Geheimhaltungswille des Lizenznehmers an der geänderten Open Source Software, der jedoch mit den GPL-Lizenzen unvereinbar ist. In der Konsequenz kommt es vor, dass Lizenznehmer den Quelltext nicht zur Verfügung zu stellen. So war es in dem schon erwähnten Verfahren der Software Freedom Conservancy gegen VIZIO, Inc. (Az. 30-2021-01226723-CU-BC-CJC), dem nachfolgend dargestellter Sachverhalt zugrunde liegt.
US-amerikanisches Verfahren: Software Freedom Conservancy gegen VIZIO, Inc.
Die Software Freedom Conservancy (Klägerin) ist eine Non-Profit Organisation, die unter anderem freie und Open Source Software sowie die Zugänglichkeit und Verfügbarkeit von Software fördert. Die VIZIO, Inc. (Beklagte) vertreibt Smart TVs, die mit Software ausgeliefert werden, die unter Open Source Software (insb. der GPL 2.0 und LGPL 2.1) lizenziert sind. VIZIO liefert mit den Smart TVs jedoch weder den Quelltext mit noch wird den Käufern ein Angebot unterbreitet, den Quelltext zur Verfügung zu stellen.
Die Klägerin, die Käuferin mehrerer solcher Smart TVs ist, versuchte mehrmals erfolglos, von der Beklagten den Quelltext zu erhalten. Mit der vor dem Superior Court of the State of California, County of Orange, eingereichten Klage verlangt die Klägerin, verkürzt zusammengefasst, die Herausgabe des Quelltextes der Software, die in den Smart TV genutzt und unter der GPL 2.0 oder LGPL 2.1 lizenziert ist. Außerdem begehrt sie die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet war, ist und künftig sein wird, den Quelltext der ausführbaren Dateien (engl. Executables) mitzuliefern oder auf Anfrage bereitzustellen und dass ein Verstoß dagegen eine Verletzung der Lizenzbedingungen darstellt.
Die Beklagte erwiderte unter anderem, die Klägerin sei nicht klagebefugt, da sie selbst keine Lizenznehmerin sei, sondern nur Endnutzer, es sich zudem um eine reine urheberrechtliche Streitigkeit handele und Vertragsrecht keine Anwendung finde.
In einer gerichtlichen Zwischenverfügung entschied das Gericht, dass es zumindest nicht ausgeschlossen sei, dass die Klägerin als Endnutzerin bestimmte Rechte, die sich aus den GPL-Lizenzbedingungen ergäben, geltend machen könne und damit Vertragsrecht Anwendung finde. Es spreche einiges dafür, dass die GPL-Lizenzbedingungen drittbegünstigend seien. Eine Drittbegünstigung ist nach US-amerikanischem Recht anzunehmen, wenn (1) der Dritte von dem in Frage stehenden Vertrag tatsächlich profitiert, (2) die Vertragsparteien ein Interesse daran haben, einer dritten Partei einen Vorteil einzuräumen, und (3) die Geltendmachung der vertraglichen Rechte und Pflichten durch den Dritten dem Zweck und den Erwartungen der Parteien entspricht.
Damit hat die Software Freedom Conservancy zunächst bereits einen Teilsieg errungen, denn mit der Entscheidung hat das Gericht die Klagebefugnis der Software Freedom Conservancy angenommen und die Anwendbarkeit von Vertragsrecht bestätigt.
Die abschließende Entscheidung, ob die Software Freedom Conservancy als Endnutzer tatsächlich drittbegünstigt ist, steht noch aus. Sollte der Klage stattgegeben werden, so dürfte sich die Anzahl von Verfahren gegen Unternehmen, die Open Source Software nutzen, ohne die Lizenzbedingungen einzuhalten, erheblich vergrößern, da nicht nur Lizenznehmer Ansprüche geltend machen könnten, sondern jeder Endnutzer. Möglicherweise könnten auch Verbände gegen Verstöße vorgehen.
Auswirkung auf die deutsche Judikatur
Verstöße gegen OSS-Lizenzbedingungen werden in Deutschland, zumindest gerichtlich, bisher kaum verfolgt. Entsprechend überschaubar ist die deutsche Judikatur. Dies macht das anhängige US-amerikanische Verfahren besonders spannend.
Deutsche Gerichte haben zur GPL bisher folgende Feststellungen getroffen:
- Im Falle eines Verstoßes gegen die GPL-Lizenzbedingungen fallen die dem Lizenznehmer eingeräumten Rechte an den Lizenzgeber zurück. Die Rechteeinräumung steht damit unter der auflösenden Bedingung der Einhaltung der Lizenzbedingungen.
- Das Urheberrecht des Urhebers und zugleich Lizenzgebers wird verletzt, wenn die Lizenzbedingungen nicht eingehalten werden (LG Berlin, Beschl. v. 21. Februar 2006, Az. 16 O 134/06). An dem Verfahren beteiligt waren jedoch der Urheber als Lizenzgeber sowie der Auftraggeber als Lizenznehmer, nicht aber der Endnutzer der Software.
- Eine modifizierte Software ist unabhängig von dem Originalprogramm. Dem Entwickler der Modifikation stehen eigene Rechte an der Software zu, und die Lizenz, unter der die Originalsoftware steht (GPL), überträgt sich nicht automatisch auf die Modifikation. Von einer (konkludenten) Zustimmung des Lizenznehmers, dass sein modifiziertes Programm ebenfalls den GPL-Bedingungen unterworfen werden soll, kann nicht ausgegangen werden. Stellt der Lizenznehmer sein modifiziertes Programm nicht unter die GPL, so liegt zwar eine Lizenzverletzung gegenüber seinem Lizenzgeber vor. Dies führt jedoch nur dazu, dass er die Nutzungsrechte an dem Originalprogramm verliert. Der Lizenzgeber kann gegen die Verletzung der Lizenzbedingungen gegen den Lizenznehmer vorgehen und etwa Unterlassungsansprüche geltend machen. Dritte (Endnutzer) können indes nicht Rechte auf Veröffentlichung der Bearbeitung gegenüber der Allgemeinheit geltend machen (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 27. Januar 2021, Az. 6 U 60/20). Daraus folgt auch, dass Dritte wohl nicht die Herausgabe des Source Codes verlangen können.
Diese Zusammenfassung verdeutlicht bereits, dass es bisher in erster Linie Entscheidungen im Verhältnis zwischen Lizenzgeber und Lizenznehmer gibt. Verlangt wurde regelmäßig die Unterlassung der Nutzung der Software mangels Nutzungsrechten. Soweit Endnutzer Rechte aus der GPL durchsetzen wollten, scheiterte dies bisher daran, dass die Software tatsächlich nicht unter der GPL lizenziert ist und die nachgelagerte Frage zum Rechteumfang nicht beantwortet werden musste (s.o. OLG Karlsruhe).
Die Entscheidung im US-amerikanischen Verfahren der Software Freedom Conservancy gegen VIZIO dürfte damit eine erste spannende Aussage dazu treffen, inwieweit auch Endnutzer direkt Ansprüche geltend machen können. Sollte der GPL eine Drittwirkung zuerkannt werden, bleibt abzuwarten, ob sich deutsche nationale Gerichte dieser Bewertung anschließen werden und die GPL auch als Vertrag zugunsten Dritter auslegen. Die Frage kann naturgemäß nach deutschem Recht abweichend beurteilt werden. Da es auch um die Auslegung der Lizenzen geht, sind gewisse Rückschlüsse aber durchaus denkbar. Für eine Drittwirkung der GPL spräche jedenfalls der Wille der Nutzer der GPL-Lizenzen, frei zugängliche Software zu stärken und tatsächlich auch zugänglich zu halten.
Empfehlung
Unabhängig vom Ausgang des US-amerikanischen Rechtsstreits ist Unternehmen zu empfehlen, ein besonderes Augenmerk auf die Software License Compliance zu legen. Aufgrund der steigenden Relevanz von Open Source Software dürfte es auch zu einer weiteren Häufung von Rechtstreitigkeiten kommen. Im Rahmen von Finanzierungsrunden und Unternehmenstransaktionen wird bei der Due Diligence Prüfung ebenfalls vermehrt auf eine Software License Compliance geachtet.
Die Verletzung von Open Source Lizenzbedingungen ist also nicht nur ein theoretisches Problem, sondern kann weitreichende Folgen haben. Denkt man den Ansatz des US-amerikanischen Gerichts weiter, kann die Nutzung einer unter einer GPL-Lizenz lizenzierten Software ohne Offenlegung des Quellcodes nicht nur zu Unterlassungsansprüchen führen, sondern auch zu einer Verpflichtung der Preisgabe von im Source Code der proprietären Software enthaltenen Geschäftsgeheimnissen gegenüber jedem Endnutzer.
Im Rahmen der Software License Compliance sollten daher unter anderem folgende Punkte beachtet und umgesetzt werden:
- Dokumentation verwendeter Software(-komponenten): Aus der Dokumentation sollten sich die Lizenzbedingungen ergeben sowie etwaige Abhängigkeiten zwischen den Komponenten. Je komplexer die proprietäre Unternehmenssoftware ausgestaltet ist, desto entscheidender ist eine Darstellung, die eine flexible Überprüfung der Lizenzkompatibilität ermöglicht.
- Praktische Umsetzung der Lizenzvorgaben und regelmäßige Kontrolle.
- Open Source Richtlinie: Eine Richtlinie kann festlegen, welche Lizenzen verwendet werden dürfen (z.B. White- bzw. Blacklisting), wie Prüf-, Genehmigungs- und Kontrollprozesse ausgestaltet sind bzw. interne Zuständigkeiten verteilt sind (z.B. Bestellung eines Software Compliance Officer) sowie welche Informationspflichten bestehen. Schließlich kann sie auch Grundsatzwissen zu gängigen Open Source Lizenzen vermitteln.