Im Juni 2017 leitete die EU-Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland ein Vertragsverletzungsverfahren ein, Az: C-377/17. Nach Ansicht der Kommission verstößt das Preisrecht der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI 2013) gegen Europarecht, speziell gegen die Dienstleistungsrichtlinie (Richtlinie 2006/123/EG) und die hiermit verbundene Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 Abs. 1 AEUV. Nach Auffassung der Kommission führen die Mindest- und Höchstsätze der HOAI dazu, dass neue Dienstleistungserbringer aus anderen Mitgliedstaaten an einem Markzugang gehindert werden. Gerade für diese sei es schwieriger, Kunden zu gewinnen. Die Vorschriften der HOAI hinderten sie daran, ihre Leistungen auf dem deutschen Markt zu niedrigeren Preisen anzubieten bzw. höherwertige Leistungen zu Preisen über den Höchstsätzen anzubieten.
Der Generalanwalt hat hierzu am 28.02.2019 seine Schlussanträge gestellt. Dies ist deshalb von Bedeutung, weil sich der Europäische Gerichtshof dem Antrag meist anschließt. Nach Ansicht des Generalanwalts stellen Mindest- und Höchstsätze einen Eingriff in die Privatautonomie dar. Ein Preiswettbewerb werde hierdurch beeinträchtigt und die Niederlassungsfreiheit beschränkt. Daran ändere insbesondere auch der Umstand nichts, dass die HOAI entsprechende Ausnahmen und Abweichungen ausdrücklich zulässt.
Die von der Bundesrepublik geltend gemachten Rechtfertigungsgründe – die Qualität der Planungsleistungen, der Verbraucherschutz, die Bausicherheit, die Erhaltung der Baukultur und das Ziel des ökologischen Bauens – greifen nach Ansicht des Generalanwalts nicht ein. Das tatsächliche Vorbringen der Bundesrepublik sei ohnehin nur auf die Gewährleistung der Qualität der Planungsleistungen sowie auf den Verbraucherschutz ausgerichtet. Es sei nicht erkennbar, dass Mindestpreise überhaupt geeignet sind, ein hohes Qualitätsniveau sicherzustellen. Selbst wenn Mindest- und Höchstpreise geeignet wären, gibt es nach Ansicht des Generalanwalts eine Reihe von alternativen Maßnahmen, die sowohl die Qualität der Dienstleistungen als auch den Schutz der Verbraucher sicherstellen könnten. Nach Ansicht des Generalanwalts sind die Mindest- und Höchstsätze unverhältnismäßig und somit europarechtswidrig.
Die Schlussanträge des Generalanwalts sind zutreffend. Wichtig ist der Hinweis des Generalanwalts, dass es entgegen den Ausführungen der Bundesrepublik auf die Frage von rein innerstaatlichen Sachverhalten nicht ankommt. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die Richtlinie 2006/123/EG insoweit auch auf Inlandssachverhalt anzuwenden.
Zwar trifft es zu, dass es eine gewisse Wechselbeziehungen zwischen der Honorarhöhe und der Qualität von Dienstleistungen gibt. Zu Recht weist der Generalanwalt aber darauf hin, dass es keinen Nachweis dafür gibt, dass ein System ohne Mindestpreise zu einem Marktversagen führen würde. Im Gegenteil. In einer Marktwirtschaft sollte sich der Staat aus dem Preiswettbewerb vielmehr generell heraushalten.
Unabhängig von diesen grundsätzlichen Erwägungen führen die Regelungen der HOAI gerade im Hinblick auf die Sicherung der Qualität von Planungsleistungen zu unerwünschten Nebenfolgen. Nach dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gewährt die öffentliche Hand für Architekten- und Ingenieurleistungen – auch im Bereich des technisch anspruchsvollen Bauens der öffentlichen Daseinsvorsorge wie z.B. Schulanlagen und Krankenhäuser – meist nur den HOAI-Mindestsatz. Dieser ist für die Büros regelmäßig nicht auskömmlich. Gibt es keinen Mindestsatz mehr, auf den sich der Staat als Auftraggeber zurückziehen kann, würde dies einen Preiswettbewerb ermöglichen, an dessen Ende eine Erhöhung der Honorare steht. Hierauf sollten sich (öffentliche) Auftraggeber einstellen. Planungsaufgaben mit geringeren Anforderungen könnten durch den Wegfall der Mindestsätze hingegen günstiger werden.