Dieser Teil setzt den Beitrag zu den Anforderungen der krankheitsbedingten Kündigung fort und befasst sich mit den in Betracht kommenden Arten einer solchen Kündigung. Die Anforderungen an die jeweiligen Eigenarten sind unterschiedlich. Gemeinsam ist allen Arten der krankheitsbedingten Kündigung jedoch das vom BAG entwickelte dreistufige Prüfungsschema zur Überprüfung der sozialen Rechtfertigung.
Häufige Kurzerkrankungen
In der Vergangenheit aufgetretene häufige Kurzerkrankungen können ein Indiz für ein zukünftig ähnliches Krankheitsbild sein und eine negative Prognose rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen sind anzunehmen, wenn ein Arbeitnehmer durchschnittlich mehr als 60 Arbeitstage in den letzten drei Jahren arbeitsunfähig erkrankt war. Für Arbeitnehmer, die noch nicht so lange betriebsangehörig sind, kann insoweit auch ein kürzerer Zeitraum herangezogen werden kann. Diese vergangenheitsbezogenen Störungen reichen für sich jedoch nicht aus, da eine Kündigung nicht vergangene Fehlzeiten sanktioniert, sondern zukünftige Störungen des arbeitsrechtlichen Austauschverhältnisses verhindern soll. Keine negative Prognose besteht mangels Wiederholungsgefahr jedenfalls bei ausgeheilten Leiden und offenkundig einmaligen Gesundheitsproblemen (z.B. Operation bei Blinddarmentzündung). Aus regelmäßigen Sportunfällen kann allerdings eine besondere Verletzungsanfälligkeit des Arbeitnehmers gefolgert werden, die eine entsprechende negative Gesundheitsprognose zulässt (vgl. BAG, Urt. v. 02.11.1989 – 2 AZR 335/89). Ebenso kann man aus der Gesamtheit der Krankheiten eine besondere Krankheitsanfälligkeit ableiten, selbst wenn die Krankheitsursachen verschieden sind (vgl. BAG, Urt. v. 20.02.2000 – 2 AZR 378/99). Den Arbeitnehmer trifft sodann die Darlegungslast, die negative Gesundheitsprognose zu erschüttern. Hierzu muss er substanziiert vortragen, weshalb seine gesundheitliche Entwicklung positiv zu beurteilen sei. Hierzu kann er ggfs. auf ein ärztliches Zeugnis Bezug nehmen oder seinen Arzt von der Schweigepflicht entbinden.
Lang andauernde Erkrankung
Nach der Rechtsprechung des BAG gibt es keine starren Grenzen, ab welcher Zeit eine Erkrankung als „langandauernd“ anzusehen ist. Die betriebliche und arbeitsgerichtliche Praxis verlangt insoweit im Allgemeinen eine mehrmonatige Erkrankung. Das BAG hat jedenfalls eine acht Monate andauernde Erkrankung als langandauernder Art angesehen (BAG, Urt. v. 29.04.1999 – 2 AZR 431/98). Eine lang andauernde Erkrankung des Arbeitnehmers lässt darauf schließen, dass er auch weiterhin daran verhindert sein wird, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Dieses Indiz reicht jedoch für sich genommen für eine negative Prognose noch nicht aus. Die Dauer einer Erkrankung in der Vergangenheit sagt nämlich objektiv nichts darüber aus, inwieweit sie sich auch zukünftig fortsetzen wird. Es müssen darüber hinaus im Zeitpunkt der Kündigung weitere objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass mit einer Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. Ist das Arbeitsverhältnis als Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört, weil mit immer weiteren beträchtlichen Fehlzeiten und entsprechenden Lohnfortzahlungen zu rechnen ist, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein. In diesem Fall können die wirtschaftlichen Belastungen unter dem Gesichtspunkt einer massiven Störung des Austauschverhältnisses von ungewisser Dauer die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar erscheinen lassen (BAG, Urteil v. 27.11.2003 – 2 AZR 601/02).
Krankheitsbedingte Leistungsminderung
Das arbeitsvertragliche Austauschverhältnis ist auch gestört, wenn ein Arbeitnehmer zwar nicht arbeitsunfähig erkrankt, aber seine Leistungsfähigkeit erheblich gemindert ist. Eine negative Prognose liegt vor, wenn der Arbeitnehmer mit Wiederantritt seiner Arbeitsleistung auf Grund der Krankheit hinter der von ihm verlangten individuellen Normalleistung dauerhaft erheblich zurückbleibt. Die Leistungsminderung richtet sich insoweit nach den persönlichen Fähigkeiten des Arbeitnehmers und an dem vertraglich üblicherweise Geforderten. Das BAG bejaht eine „erhebliche“ Minderung bei einer Minderung um ein Drittel der Arbeitsleistung. Eine betriebliche Beeinträchtigung ergibt sich daraus, dass der Zahlung des vollen Zeitlohns keine nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen ausgerichtete adäquate Arbeitsleistung gegenübersteht (vgl. BAG, Urt. v. 26.09.1991 - 2 AZR 132/91). Eine Kündigung ist allerdings dann nicht gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer an einem anderen freien Arbeitsplatz beschäftigt werden könnte, an dem sich seine verminderte Leistungsfähigkeit nicht auswirkt.
Dauerhafte Arbeitsunfähigkeit
Eine negative Prognose für eine dauerhafte Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn davon auszugehen ist, dass der Arbeitnehmer nicht mehr vollständig genesen und an seinen Arbeitsplatz zurückkehren wird. Kann der Arbeitnehmer aufgrund seiner körperlichen Leistungseinschränkungen seine bisher ausgeübte Tätigkeit auf Dauer nicht mehr ausführen, ist von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Im Rahmen der Interessenabwägung gehen die Interessen des Arbeitgebers an einer Kündigung jedenfalls dann vor, wenn keine Möglichkeit einer anderweitigen Beschäftigung an einem leidensgerechten Arbeitsplatz, ggf. zu geänderten Arbeitsbedingungen, für den Arbeitnehmer besteht.
Nächster Teil: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM)
Trotz der unterschiedlichen Auswirkungen der Krankheitsarten, ist diesen gemein, dass das gegenseitige arbeitsvertragliche Austauschverhältnis auf Dauer erheblich gestört werden kann. Dies führt im Einzelfall zur Rechtfertigung einer Kündigung. Im nächsten Teil der Reihe wird das Ziel und der Einfluss eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) auf die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung dargestellt.