In seinem Urteil vom 02.11.2016 (Az.: 10 AZR 596/15) entschied das Bundesarbeitsgericht („BAG“), dass ein Arbeitnehmer während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich nicht an einem Personalgespräch im Betrieb teilnehmen muss.
Ausnahmsweise muss der Arbeitnehmer nach Auffassung des BAG zu einem Personalgespräch im Betrieb erscheinen, wenn hierfür ein dringender betrieblicher Anlass besteht, der keinen Aufschub duldet sowie die persönliche Anwesenheit des Mitarbeiters dringend erforderlich ist und ihm zugemutet werden kann.
Die Entscheidung
Die Parteien streiten über die Entfernung einer dem Kläger erteilten Abmahnung aus dessen Personalakte sowie über die Verpflichtung des Klägers zur Teilnahme an Personalgesprächen während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit.
Der Kläger war bei dem beklagten Krankenhausunternehmen seit 01.04.2003 beschäftigt; zunächst als Krankenpfleger und zuletzt – befristet bis zum 31.12.2013 – als medizinischer Dokumentationsassistent. Von Ende November 2013 bis Mitte Februar 2014 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Arbeitgeberin lud den Kläger in diesem Zeitraum zweimal zu einem Personalgespräch „zur Klärung der weiteren Beschäftigungsmöglichkeit“ ein. Der Kläger nahm an beiden Gesprächen nicht teil, sondern verwies auf seine attestierte Arbeitsunfähigkeit. Die Arbeitgeberin hatte bei der Einladung zum zweiten Gespräch darauf hingewiesen, dass der Kläger gesundheitliche Gründe, die ihn an der Teilnahme am Personalgespräch hindern, durch ein spezielles Attest nachweisen müsse. Der Kläger kam dem nicht nach und erhielt von der Arbeitgeberin wegen des Fernbleibens vom Gesprächstermin eine Abmahnung.
Das BAG gab der Klage auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte – ebenso wie die Vorinstanzen – statt. Das BAG stellte insbesondere fest, dass der Kläger während seiner Arbeitsunfähigkeit nicht zur Teilnahme am Personalgespräch verpflichtet war.
Der Arbeitgeber kann grundsätzlich gegenüber seinen Arbeitnehmern gem. § 106 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen. Dieses Weisungsrecht betrifft einerseits die Konkretisierung der Hauptleistungspflicht, d. h. die Zuweisung bestimmter Arbeitsaufgaben inklusive Zeit und Ort ihrer Erledigung. Daneben besteht nach Auffassung des BAG unter anderem auch ein Weisungsrecht des Arbeitgebers in Bezug auf leistungssichernde Neben- oder Verhaltenspflichten. Darunter fällt die Berechtigung des Arbeitgebers, den Mitarbeiter zur Teilnahme an Gesprächen zu verpflichten, die die Erörterung der künftigen Beschäftigung nach Ablauf der Befristung betreffen.
Durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit werden die arbeitsvertraglichen Hauptleistungspflichten suspendiert. Das BAG führt weiter aus, dass das Weisungsrecht in Bezug auf die leistungssichernden Neben- oder Verhaltenspflichten während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit aufrechterhalten bleibt. Der Arbeitgeber muss aus Sicht des BAG jedoch die gebotene Rücksicht im Hinblick auf den Genesungsprozess des Mitarbeiters beachten. Sofern ein dringender betrieblicher Anlass vorliege, könne der Arbeitgeber grundsätzlich auch während der Dauer der Arbeitsunfähigkeit mit dem Arbeitnehmer in Kontakt treten.
Das BAG stellt jedoch weiter fest, dass das Verlangen nach einem persönlichen Erscheinen des erkrankten Arbeitnehmers im Betrieb nur dann vom Weisungsrecht des Arbeitgebers gedeckt ist, wenn die Anwesenheit des Mitarbeiters im Betrieb dringend erforderlich ist. Neben technischen Gründen nennt das BAG als weiteres Beispiel, dass der zukünftige Einsatz des Mitarbeiters gravierende Auswirkungen auch auf andere Arbeitnehmer habe und der Arbeitgeber daher mit allen Betroffenen ein gemeinsames Gespräch führen möchte, das nicht auf einen Zeitpunkt nach Wiedergenesung verschoben werden könne. Zudem muss der Arbeitnehmer zu einem persönlichen Erscheinen gesundheitlich in der Lage sein. Nachdem die für die Unverzichtbarkeit des Erscheinens im Betrieb darlegungs- und beweispflichtige Arbeitgeberin solche Gründe nicht aufgezeigt habe, habe der Kläger vorliegend der Anordnung der Arbeitgeberin, im Betrieb zu Personalgesprächen zu erscheinen, nicht nachkommen müssen.
Fazit
Das Weisungsrecht des Arbeitgebers hinsichtlich der Anordnung von Personalgesprächen während der Dauer einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit wurde vom BAG mit starken Einschränkungen versehen. Im Ergebnis bleibt ein solches Weisungsrecht auf absolute Ausnahmesituationen beschränkt. Es ist zu beachten, dass der Arbeitgeber darlegungs- und beweisbelastet dafür ist, dass die Anweisung zur Teilnahme am Personalgespräch vom Weisungsrecht gedeckt ist. Weiter ist darauf hinzuweisen, dass sich das BAG in dieser Entscheidung mit den nicht durch die Arbeitsunfähigkeit suspendierten Nebenpflichten beschäftigt hat. Durch eine Arbeitsunfähigkeit sind dagegen die Hauptleistungspflichten suspendiert mit der Folge, dass Mitarbeiter Weisungen, die die Hauptleistungspflichten betreffen, nicht Folge leisten müssen