Das im vergangenen Juli 2024 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland tritt ab dem 01.04.2025 in Kraft. Ab diesem Zeitpunkt sind die Bundesländer ermächtigt, an ihren Oberlandesgerichten sogenannte „Commercial Courts“ einzurichten. Das soll nach bisherigem Kenntnisstand zunächst in sechs Bundesländern umgesetzt werden, unter anderem an Standorten wie München, Stuttgart, Hamburg und Berlin.
Neben der Möglichkeit zur englischsprachigen Verfahrensführung und damit der längst überfälligen Ausnahme zu § 184 GVG, bieten die Commercial Courts durchaus auch die Chance, nationale Rechtsstreitigkeiten kostengünstiger, schneller und damit effizienter zu führen. Ein internationaler Verfahrensbezug ist nämlich ebenso wenig Voraussetzung eines Verfahrens vor einem Commercial Court, wie die Führung des Verfahrens in englischer Sprache. Insbesondere bei komplexen Bauvorhaben sollte daher bereits bei der Vertragsgestaltung über diesen bald neu zur Verfügung stehenden Rechtsweg nachgedacht werden.
Voraussetzungen
Die Hürden, um ein Verfahren vor einen Commercial Court zu führen, sind vergleichsweise gering. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, da die Commercial Courts bei den Oberlandesgerichten aufgehängt sind, die als erste Instanz in ordentlichen Zivilprozessen nicht vorgesehen sind.
Gemäß dem neu geschaffenen § 119b GVG sind die Commercial Courts sachlich zuständig für alle bürgerlichen Streitigkeiten zwischen Unternehmen mit Ausnahme des gewerblichen Rechtsschutzes, des Urheberrechts und des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb bei einem Streitwert ab 500.000,00 Euro. Die Zuständigkeit kann durch die Bundesländer allerdings auf bestimmte Sachgebiete beschränkt werden.
Handelt es sich also um ein B2B-Geschäft mit einem Streitwert ab 500.000,00 Euro aus einem Rechtsgebiet, das der jeweilige Commercial Court bedient, ist die sachliche Zuständigkeit also grundsätzlich eröffnet. Eine örtliche Beschränkung der Zuständigkeit ist nicht vorgesehen. Die Parteien müssen sich allerdings einig sein, das Verfahren auch tatsächlich vor einem Commercial Court führen zu wollen. Das ist einerseits durch eine vertragliche Vereinbarung möglich, andererseits aber auch durch ein rügeloses Einlassen vor dem Court.
Potential
Ob bzw. inwiefern die Einführung von Commercial Courts ihrem Zweck gerecht wird, den Justizstandort Deutschland zu stärken, bleibt abzuwarten. Global gesehen dürfte es ohnehin erst einmal darum gehen, als Justizstandort überhaupt wieder wahrgenommen zu werden. Von einer „Stärkung“ dürfte auf absehbare Zeit noch keine Rede sein. Dennoch ist die Einführung sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, um sich langfristig auf eine Stufe mit ausländischen Handelsgerichten und Schiedsgerichten wie ICC stellen.
Die Möglichkeit englischsprachige Verfahren mit internationalem Bezug auch vor deutschen Gerichten führen und dort englischsprachige Dokumente unmittelbar, also ohne Hinzuziehung von Dolmetschern oder Übersetzungsbüros, verwerten zu können, war lange überfällig.
Man wird wohl davon ausgehen können, dass die Courts außerdem mit der aktuellsten IT-Infrastruktur ausgestattet werden, die deutsche Gerichte derzeit, zumindest in der Theorie, zu bieten haben. Die Digitalisierung der Verfahren dürfte neben dem Aspekt der Sprache das weitere wesentliche Potential zur Stärkung des Justizstandorts Deutschland sein.
Im Übrigen ist wegen ihrer Sonderstellung davon auszugehen, dass die Oberlandesgerichte ihre neu erschaffenen Courts mit ihrem qualifiziertesten Personal besetzen werden. Hierbei bleibt zu hoffen, dass die Courts in ihrer Zusammensetzung Stabilität versprechen und nicht, wie es insbesondere an Landgerichten systembedingt so häufig der Fall, sich eher durch wiederholte Personalwechsel auszeichnen, was insbesondere bei komplexen und länger dauernden Prozessen, die Justiziabilität sozusagen von Hause aus erschwert. Nichtsdestotrotz bleibt abzuwarten, inwieweit die Oberlandesgerichte bereit sein werden, die sachliche Zuständigkeit Ihrer Courts auf bestimmte Rechtsgebiete zu beschränken. Schwer vorstellbar ist zumindest, dass ein Court alle „Bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen“, bis auf die wenigen in § 119b Abs. 1 Nr. 1 GVG genannten Ausnahmen, in der Qualität bearbeiten kann, wie man sie von ihm erwarten können muss.
Als geplante Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit wurde beschlossen, die Verfahrensabläufe, die sich dort bewährt und etabliert haben, auch in den Verfahren vor den Commercial Courts anzuwenden. Vorgesehen ist daher also ebenfalls ein sogenannter frühestmöglicher Organisationstermin der Parteien vor dem Court, der die Systematisierung des Sach- und Streitstoffs sowie die Erstellung eines Verfahrensplans ermöglichen soll. Daneben besteht die Möglichkeit ein mitlesbares Wortprotokoll der mündlichen Verhandlung einschließlich der Beweisaufnahme anstelle des in Gerichtsterminen üblicherweise nur fragmentarischen Protokolls zu erhalten.
Ein erheblicher Vorteil dürfte außerdem sein, dass im Gegensatz zu den Entscheidungen der Schiedsgerichte, gegen die nach § 1059 ZPO in der Regel nur eine Überprüfung dahingehend möglich ist, ob sie gegen das deutsche Verfahrensrecht oder materielle Recht (ordre public) verstoßen, Urteile der Commercial Courts durch eine zulassungsfreie Revision unmittelbar vom Bundesgerichtshof auf Rechtsfehler überprüft werden. Der BGH bleibt also als Kontrollinstanz der Entscheidung des Commercial Courts erhalten. Das stellt auch im Vergleich zur Zivilprozessordnung eine Besonderheit dar, nach der eine Revision nur dann in Betracht kommt, wenn sie vom Berufungsgericht unter den Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen wurde.
Außerdem kann auch die Rechtsmittelschrift zum BGH in englischer Sprache eingereicht werden. Allerdings entscheiden die Zivilsenate beim BGH sodann selbst, ob sie das Verfahren in englischer Sprache führen wollen oder nicht. Die hiermit einhergehenden Folgeprobleme sind gesetzgeberisch nicht bedacht. Es ist an der Praxis, eine Lösung zu finden.
Bauprozesse
Auch wenn die Zielrichtung und der Grundgedanke der Commercial Courts mit der englischsprachigen Verfahrensführung und der Stärkung des Justizstandorts erst einmal eine andere ist, dürften die Vorteile dieser Verfahrensart schnell auch das Interesse der Bauwirtschaft wecken. Die Commercial Courts sind gemacht für komplexe Rechtsstreitigkeiten mit mehreren Beteiligten und hohen Streitwerten. Diese Parameter findet man regelmäßig auch bei Bauprozessen. Allein aufgrund des natürlichen Interesses der Prozessbeteiligten an einem kostengünstigen, schnellen und in jeder Hinsicht effektiven Verfahren, führt kein Weg daran vorbei, sich ernsthafte Gedanken über die Option der Commercial Courts zu machen.
Neben der angestrebten fachlichen Spezialisierung der Richter, die systembedingt oftmals am Landgericht nicht gewährleistet werden kann und der Verkürzung des Instanzenzugs, dürfte insbesondere der aus dem Schiedsverfahren übernommene frühestmögliche Organisationstermin zur Strukturierung des Prozessstoffs und des Verfahrensablaufs der Beschleunigung und effektiven Verfahrensführung von Bauprozessen dienen.
Gerade das Momentum zu Beginn der Einführung der Commercial Courts und ihre anfangs voraussichtlich noch überschaubare Auslastung sollte man sich daher zu Nutze machen. Ob sich die Commercial Courts langfristig auch in der Bauprozesspraxis etablieren und ob sie eine echte Alternative zum herkömmlichen Gerichtsprozess und der Schiedsgerichtsbarkeit werden, bleibt abzuwarten. Zutrauen kann man es ihnen jedenfalls. Das bestätigt sich auch bei einem Blick auf die Kammern für Handelssachen, die zwar institutionell nicht zu vergleichen sind, allerdings auf nationaler Ebene durchaus eine ähnliche Zielrichtung verfolgen und deren Schwerpunkt mittlerweile ebenfalls das Baurecht bildet.
Vor diesem Hintergrund sollte in der künftigen (Bau-)Vertragsgestaltung die Option von Commercial Courts in jedem Fall diskutiert und in Betracht gezogen werden. Die Möglichkeiten und Potentiale dieses neuen Rechtswegs liegen im Wesentlichen in der Hand derer, die ihn beschreiten.
Unabhängig davon dürfte aber schon jetzt klar sein, dass der Weg zum übergeordneten Ziel des Gesetzes zur Stärkung des Justizstandortes Deutschland ein langer werden dürfte.