Ausgangslage
Ein öffentlicher Auftraggeber (AG) schreibt einen Bauauftrag aus. Das Angebot des Bieters A wird vom AG ausgeschlossen, weil auch nach erfolgter Aufklärung noch Unterlagen fehlen. Der AG beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot des Bieters B zu erteilen. Der Bieter A leitet schließlich wegen des Ausschlusses ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer Südbayern (VK) ein. Die VK erteilt im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens den Hinweis, dass (auch) das Angebot des beabsichtigten Zuschlagsempfängers B auszuschließen sei, und zwar gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A, da das Angebot von den Vergabeunterlagen abweiche. So habe der Bieter B eine Regelung im Vertrag u. a. dahingehend geändert, dass er statt des geforderten Pauschalpreises einen Preis pro Stunde anbietet. Die VK setzt aus diesem Grund das Verfahren zurück. Sowohl der AG als auch der Bieter B legen sofortige Beschwerde beim Bayerischen Obersten Landesgericht (BayObLG) ein.
Beschluss
Das BayObLG stellt sich in seinem Beschluss vom 17.06.2021 (Az.: Verg 6/21) insbesondere die Frage, ob das Angebot des Bieters B gemäß § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A ausgeschlossen werden muss. Nach § 16 EU Nr. 2 VOB/A sind u. a. Angebote, die der Bestimmung des § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 nicht entsprechen, auszuschließen. Gemäß § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig. Das BayObLG stellt fest, dass zwar nach wohl einhelliger Ansicht selbst geringfügige Abweichungen von den Vergabeunterlagen zum Ausschluss des entsprechenden Angebotes führen. Aus Sicht des BayObLG muss aber auch bei einem grundsätzlich zwingenden Ausschlussgrund immer auch der in § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB enthaltene Grundsatz der Verhältnismäßigkeit berücksichtigt werden. Das BayObLG erörtert daher, ob bei bestimmten Fallkonstellationen der Ausschlussgrund des § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzuschränken ist. Ein solcher Fall könnte nach Ansicht des Gerichts hier vorliegen, weil die Änderungen des Bieters B an den Vergabeunterlagen einen völlig untergeordneten Punkt betreffen, der nicht wertungsrelevant sei und möglicherweise auch bei der Durchführung des Vertrages keine Rolle spiele. Dabei müsse auch berücksichtigt werden, dass der AG hinsichtlich der Preispositionen gemäß § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A die Möglichkeit der Nachforderung gehabt hätte, wenn der Bieter B gar keine Angaben in der jeweiligen Regelung im Angebot gemacht hätte.
Leider hatte das BayObLG keine Möglichkeit, sich mit seiner These abschließend zu befassen, da offensichtlich der Bieter A seinen Nachprüfungsantrag zurückgenommen und sich aus diesem Grund das Nachprüfungsverfahren erledigt hat.
Fazit
Es bleibt aber festzuhalten, dass es nach Ansicht des BayObLG nicht ausgeschlossen scheint, den Ausschlussgrund des § 16 EU Nr. 2 VOB/A i.V.m. § 13 EU Abs. 1 Nr. 5 Satz 2 VOB/A unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einzuschränken. Das könnte jedenfalls dann der Fall sein, wenn die Änderung an den Vergabeunterlagen einen völlig untergeordneten Punkt betrifft, der zudem nicht wertungsrelevant ist und möglicherweise auch bei der Durchführung des Vertrages keine Rolle gespielt hätte und bei dem zudem die Möglichkeit der Nachforderung bestanden hätte, wenn keine Angaben gemacht worden wären.
Auch das Oberlandesgericht Düsseldorf hat kürzlich eine vergleichbare Rechtsansicht vertreten: Das Gericht hat in seinem Beschluss vom 19.05.2021 (Verg 13/21) die These aufgeworfen, ob in Anlehnung an den in § 16a EU Abs. 2 Satz 3 VOB/A enthaltenen Rechtsgedanken unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit bei Lücken in den Eintragungen einer erst im Vergabeverfahren angeforderten Unterlage ein Angebotsausschluss ausnahmsweise nicht erfolgen müsse.
Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie sich die vom BayObLG und dem OLG Düsseldorf formulierten Thesen in der Rechtsprechung weiterentwickeln. Klar bleibt aber auch, dass für Auftraggeber die Wertung von Angeboten durch diese Rechtsprechung (nochmals) schwieriger geworden ist.