Referenzen müssen mit Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar sein

Anne-Christine Wieler

Eignungskriterien müssen mit dem Auftragsgegenstand in Verbindung und zu diesem in einem angemessenen Verhältnis stehen. Nach dem OLG Frankfurt kommt ein Auftraggeber dieser Pflicht nicht nach, indem er eine Referenz verlangt, ohne die materiellen Anforderungen, die diese erfüllen muss, festzulegen, und die Auslegung der Referenzforderung ergibt, dass ein Mindestmaß an Vergleichbarkeit mit dem Auftragsgegenstand fehlt.

07.03.2022 | Vergaberecht

Ausgangslage

Der öffentliche Auftraggeber schreibt europaweit die Bereitstellung, den Betrieb, die Wartung und den Support eines Videokonferenzsystems aus. Das System soll für alle rund 2000 hessischen Schulen Distanzunterricht bei gleichzeitiger Teilnahme von regelmäßig 200.000 Nutzern ermöglichen. Das System soll browsergestützt erfolgen.

Zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit enthält die Auftragsbekanntmachung folgende Angabe:

"Darstellung von mindestens einer geeigneten Referenz (Datei: "Referenzen") aus den letzten 3 Jahren (Stichtag "Ablauf der Angebotsfrist"), die nach Art und Umfang den nachfolgend aufgeführten Anforderungen entspricht.

Art: Bereitstellung und Betrieb einer Videokonferenzsystem-Umgebung inklusive technischem Support

Umfang: Mindestens 10.000 Nutzer“

Bieter A benennt als Referenz die Nutzung einer Fernwartungssoftware, die den Fernzugriff von 3.000 Technikern auf medizinische Geräte ermöglicht, um mit 70.000 Ärzten zu kollaborieren. Es können zehn Teilnehmer sichtbar an einer Schaltung teilnehmen. Das Produkt ist softwaregestützt. Die Menge gleichzeitiger Videokonferenzräume im Sinne der Abbildung von Klassenräumen ist nicht erkennbar.

Bieter B wendet sich gegen die beabsichtigte Zuschlagserteilung an A und trägt vor, dessen Angebot müsse mangels nachgewiesener technischer und beruflicher Leistungsfähigkeit ausgeschlossen werden.

Beschluss des OLG

Das OLG Frankfurt (Beschluss vom 23.12. 2021 - 11 Verg 6/21) verpflichtet den Auftraggeber, das Verfahren in das Stadium vor Veröffentlichung der Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen und ab diesem Zeitpunkt unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des OLG zu wiederholen.

Indem der Auftraggeber die Referenz von A ausreichen ließ, führe dieses offensichtlich seitens des Auftraggebers von dem des durchschnittlichen Bieters abweichende Begriffsverständnis eines „Videokonferenzsystems“ zur Intransparenz der Vergabeunterlagen, so das OLG. Die Forderung einer Referenz ohne Rückbezug zu eigenständig definierten Eignungskriterien sei nach Einschätzung des OLG zulässig, sofern aus der Referenz Rückschlüsse auf damit mittelbar gestellte Eignungskriterien möglich seien. Da eine Referenz nur gefordert werden dürfe, wenn sie die Leistungsfähigkeit für die ausgeschriebene Leistung prognostisch absichern könne, bleibe immer zu fordern, dass Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung auch Bestandteil der referenzierten Leistung waren.

Daran fehlt es vorliegend nach Auffassung des OLG: Weder vom theoretischen Leistungsumfang noch von der tatsächlichen Nutzung durch das referenzierende Unternehmen her könne bei der Referenz von A auf eine Vergleichbarkeit geschlossen werden. Der Auftraggeber könne sich nicht auf den ihm zustehenden Beurteilungsspielraum bei der Aufstellung von Eignungskriterien berufen, denn dieser bestehe nur innerhalb des gesetzlichen Rahmens des § 122 Abs. 4 GWB. Auch könne das Berufen des Auftraggebers auf den funktionalen Charakter der Ausschreibung, sein Ziel, einen breiten Bieterwettbewerb zu erreichen, eine „Newcomer-Regelung“ zu treffen, sowie eine bieterfreundliche Auslegung vorzunehmen, vorliegend nicht verfangen.

Im Ergebnis liegen nach Ansicht des OLG mangels Konkretisierung der Anforderungen an das referenzierte „Videokonferenzsystem“ unklare Vergabeunterlagen vor. Ein Ausschluss des A sei auf dieser Basis nicht möglich. Ebensowenig sei das OLG berechtigt, dem Auftraggeber Eignungskriterien vorzugeben; dies sei Sache des Auftraggebers im zurück versetzten Verfahren.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt, dass § 122 Abs. 4 S. 1 GWB nicht nur eine Grenze „nach oben“ zieht (d.h. keine Aufstellung zu strenger Referenzanforderungen), sondern ebenso „nach unten“ in dem Sinne, als dass Referenzen jedenfalls mit den Kernelementen der ausgeschriebenen Leistung vergleichbar sein müssen. Auftraggeber sind daher gut beraten, wenn sie sich bereits bei Festlegung der Referenzanforderungen Gedanken darüber machen, was die Kernelemente der ausgeschriebenen Leistung sind, und diese Elemente als Mindestbestandteile der referenzierten Leistung – bereits in der Auftragsbekanntmachung! – definieren. Andernfalls drohen nicht nur Schwierigkeiten bei der Eignungsprüfung, sondern schlimmstenfalls sogar eine Rückversetzung des Verfahrens mit dem damit einhergehenden Zeitverlust.