Scheinselbstständigkeit – der Dauerbrenner mit empfindlichen Rechtsfolgen

Kim Kleinert

Die Abgrenzung zwischen freien Mitarbeitern (sog. Freelancer) und Arbeitnehmern bereitet in der Praxis regelmäßig Probleme. Die rechtssichere Einordnung ist entscheidend, da in letzterem Fall ein (sozialversicherungspflichtiges) Arbeitsverhältnis besteht. Eine falsche Einordnung kann weitreichende Folgen haben. (Co-Autorin: Julia Nazarenus)

20.09.2024 | Arbeitsrecht

Arbeitgeber haben regelmäßig ein Interesse daran, durch die Beschäftigung von Freelancern mehr Flexibilität zu gewinnen. Grund dafür ist, dass bei der Beschäftigung von Freelancern ein Großteil der Arbeitnehmerschutzgesetze keine Anwendung findet und unter anderem keine Sozialversicherungsbeiträge abzuführen sind. Es ist weder Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu leisten noch findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Zudem trägt der Freelancer im Fall einer Schlecht- oder Nichtleistung das Haftungsrisiko. Die Beschäftigung von Freelancern ist daher für viele Unternehmen attraktiv.
 

Die Folgen einer falschen Einordnung sind jedoch verheerend. Stellt ein Arbeitsgericht rückwirkend fest, dass es sich bei dem Arbeitsverhältnis nicht um freie Mitarbeit handelt, sondern um ein Arbeitsverhältnis (sog. Scheinselbstständigkeit“), hat dies erhebliche Folgen in arbeitsrechtlicher, steuerrechtlicher und sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht. So kann sich der vermeintlich freie Mitarbeiter auf sämtliche arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften berufen (u.a. Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaubsansprüche). Bei rückwirkender Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft ist das Unternehmen zudem für den in der Vergangenheit unterbliebenen Gesamtsozialversicherungsbeitrag zahlungspflichtig. Es können darüber hinaus Säumniszuschläge erhoben werden und strafrechtliche Sanktionen drohen (u.a. Strafbarkeit des Geschäftsführers aufgrund nicht abgeführter Sozialversicherungsbeiträge gem. § 266a StGB).

Wann liegt eine Scheinselbstständigkeit vor?

Eine Scheinselbstständigkeit liegt vor, wenn der vermeintliche Freelancer nicht selbstständig tätig wird, sondern seine Arbeit tatsächlich in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis verrichtet und somit als Arbeitnehmer zu qualifizieren ist.

Hierbei sind verschiedene Indizien im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen. Die Einordnung erfolgt je nach Einzelfall.

Sozialversicherungsrechtliche Abgrenzungskriterien

Die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV), die u.a. im Rahmen der regelmäßig anstehenden Betriebsprüfungen Feststellungen auch hinsichtlich einer möglichen Scheinselbstständigkeit trifft, nimmt eine selbstständige Tätigkeit an, soweit der Mitarbeiter bezüglich Inhalt, Zeit und Ort der Arbeitserbringung weisungsfrei, hinsichtlich seiner Arbeitsorganisation selbstständig ist und u.a. ein relevantes Unternehmerrisiko trägt. Andersherum wird eine abhängige Beschäftigung angenommen, wenn eine Eingliederung des Mitarbeiters in die Arbeitsorganisation erfolgt und der Mitarbeiter weisungsgebunden und persönlich abhängig ist. Bei einem Überwiegen der Indizien für eine abhängige Beschäftigung liegt eine Scheinselbstständigkeit vor.

Vertragsgestaltung

Auch wenn die vertragliche Gestaltung lediglich Indizwirkung hat und letztlich bei abweichender Handhabung die praktische Durchführung entscheidend ist, sollte bereits bei der Vertragsgestaltung mit Freelancern darauf geachtet werden, dass deklaratorisch wirkende Begriffe wie „Arbeitsvertrag“ oder „Arbeitnehmer“ nicht verwendet werden. Empfehlenswert sind zudem konkrete und möglichst detaillierte Beschreibungen der Leistung, da dies die Selbstständigkeit in Bezug auf die Tätigkeit unterstreicht. Aufträge sollten aufgrund eines Rahmenvertrages erteilt werden und die Annahme dieser Aufträge ausdrücklich dem Mitarbeiter überlassen werden, um die Weisungsfreiheit zu betonen. Auch eine mögliche Vorbeschäftigung ist bei der Bewertung relevant. Wurde der freie Mitarbeiter in der Vergangenheit bereits als Arbeitnehmer bei demselben Unternehmen beschäftigt, stellt dies ein Indiz dar, dass für eine abhängige Beschäftigung spricht.

Weisungsfreiheit

Um das Indiz der Weisungsgebundenheit so weit wie möglich zu reduzieren, sollten Freelancern zudem so wenig wie möglich einseitige Vorgaben hinsichtlich der Zeit, des Ortes und der Art der Leistungserbringung gemacht werden. Betrachtet man das Beispiel von Lehrkräften, sollte lediglich der Lehrplan als Rahmen vorgegeben werden und die eigenständige Unterrichtsgestaltung der Lehrkraft überlassen bleiben. Enthält der Lehrplan zu detaillierte Beschreibungen, an die sich die Lehrkraft zu halten hat und beispielsweise eine (detaillierte) Gliederung des Unterrichtsstoffs, ist dies regelmäßig als Indiz für eine abhängige Beschäftigung zu werten.

Freelancer sollten zudem möglichst eigenständig und unabhängig ihre Leistung erbringen. Entscheidend ist auch in diesem Zusammenhang auch, ob die Freelancer ohne Rückspräche für Dritte tätig werden dürfen. Besteht eine Pflicht zur höchstpersönlichen Leistungserbringung, d.h. dürfen keine Dritten zur Erbringung der Arbeitsleistung eingesetzt werden, handelt es sich um ein starkes Indiz für eine abhängige Beschäftigung.

Vergütung und Arbeitsmittel

Bei der Vergütung von Freelancern sollte darauf geachtet werden, dass diese nur für tatsächlich erbrachte Leistungen gezahlt wird. Gegen das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit spricht regelmäßig die Zahlung eines Mindesteinkommens oder einer Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaub oder Urlaubsgeld (LSG Baden-Württemberg Urt. v. 15.12.2021 – L 5 BA 3808/19).

Sofern Arbeitsmittel benötigt werden, sollten diese nicht durch das Unternehmen zur Verfügung gestellt werden und deren Nutzung im Übrigen freiwillig erfolgen. Der Freelancer sollte wenn möglich seine eigenen Unterlagen und Arbeitsmaterialien verwenden, um sein unternehmerisches Risiko als selbstständig Tätiger nachvollziehbar darstellen zu können. Das Tragen eines Unternehmerrisikos wird regelmäßig angenommen, wenn der Freelancer selbstständige Investitionen beispielsweise in Equipment o.ä. tätigt. Soweit der Freelancer Räumlichkeiten des Unternehmens nutzt, ist es daher ebenfalls empfehlenswert, eine Pauschale für die Nutzung zu vereinbaren.

Abstimmung und Kommunikation

Tritt der Freelancer in geschäftlichen Kundenkontakt und nutzt dabei einen internen E-Mail-Account so stellt dies ein weiteres Indiz für eine abhängige Beschäftigung dar. Hier sollte daher darauf geachtet werden, dass jedenfalls die Verwendung des Zusatzes „extern“ erfolgt, um eine Abgrenzung zu den im Unternehmen abhängig beschäftigten Arbeitnehmern herzustellen.

Eine Einbindung in die Betriebsorganisation wird zudem angenommen, wenn der Freelancer beispielsweise an internen Besprechungen oder Events des Unternehmens teilnimmt. Dies sollte daher, wenn möglich, vermieden und eine separate Kommunikation für erforderliche Abstimmungen mit dem Freelancer gewählt werden. Fällt der Freelancer (u.a. aufgrund von Krankheit aus), so spricht es für eine selbstständige Tätigkeit, wenn er seine Vertretung selbstständig organisiert.

Werden mit dem Freelancer regelmäßige Feedbackgespräche vereinbart und erfolgt eine regelmäßige Bewertung der Leistung durch unternehmensinterne Mitarbeiter, ist dies ein Indiz für eine persönliche Abhängigkeit. Stattdessen sollten Feedbackgespräche auf freiwilliger Basis erfolgen und eine Bewertung beispielsweise ausschließlich durch Kunden erfolgen, wobei im Einzelfall eine Nachbesprechung zur Qualitätssicherung erfolgen kann.

Werden viele der vorgenannten Indizien für eine abhängige Beschäftigung erfüllt, liegt ein hohes Risiko der Einordnung als Scheinselbstständigkeit vor. Entsprechend sollte rechtzeitig vor einer Betriebsprüfung rechtlicher Rat eingeholt werden.

Statusfeststellungsverfahren?

Unabhängig von der nicht zur Disposition stehenden routinemäßig erfolgenden Betriebsprüfung kann es sinnvoll erscheinen selbstständig auf die DRV zuzugehen und eine Überprüfung bzw. Einordnung des Vertragsverhältnisses über ein sog. Statusfeststellungsverfahren anzustoßen. Dieses kann sowohl vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses als auch während des laufenden Beschäftigungsverhältnisses bei der DRV gem. § 7a SGB IV durch Antrag auf Ermittlung des Erwerbsstatus erfolgen. Die damit verbundene Rechtssicherheit schafft Gewissheit über die Qualifizierung des Vertragsverhältnisses und bietet zudem den Vorteil eines sog. Beitragsprivilegs.

Das Statusfeststellungsverfahren bietet im Vergleich zur Betriebsprüfung den Vorteil, dass Unternehmen vor Nachforderungen der Sozialbeiträge geschützt sind, wenn die Überprüfung zu Beginn [d.h. innerhalb eines Monats nach Aufnahme] der Tätigkeit erfolgt. In diesem Fall drohen jedenfalls für den Zeitraum zwischen Aufnahme der Beschäftigung [als Freier Mitarbeiter] und der Entscheidung der DRV Bund keine Sozialversicherungsbeiträge. Die Entscheidung kann oft Monate auf sich warten lassen, was das Beitragsprivileg noch attraktiver macht. Ergänzend kann der Vertrag mit den Freien Mitarbeitern ggf. unter die aufschiebende Bedingung gestellt werden, dass das Vertragsverhältnis von der DRV Bund als selbstständige Tätigkeit bewertet wird.

Da jedes Beschäftigungsverhältnis immer im Einzelfall eingeordnet und eine pauschale Vorhersage somit nur begrenzt möglich, ist diese Vorgehensweise mit gewissen Risiken verbunden. Entsprechend sollte vor einem Antrag zwingend sichergestellt sein, dass die o.g. Indizien für eine abhängige Beschäftigung weitestgehend reduziert und soweit möglich keine Vorbeschäftigung als Arbeitnehmer gegeben ist. Sollte dies doch der Fall sein, ist es empfehlenswert zwischen den Verträgen jedenfalls eine gewisse „Lücke“ zu lassen, um auch über die zeitliche Zäsur einen Wechsel in der tatsächlichen Umsetzung, d.h. nunmehr einer Beschäftigung als Freelancer, deutlich zu machen.

Gerne beraten wir Sie bei Bedarf hierzu.