Lieber Herr Strecker,
Sie sind Arbeitsdirektor und Senior Labour Relations Manager der General Electric Deutschland Holding GmbH in Frankfurt am Main.
Inwieweit befassen Sie sich überhaupt mit den Urlaubsthemen der Belegschaft?
Die GE-Geschäftsbereiche führen ihre Geschäfte eigenständig. Die deutsche Holding-Gesellschaft hat eine koordinierende Funktion und kümmert sich mit ihren Fachabteilungen (z.B. Employment Law und Labour Relations) um die übergreifenden Themen mit grundsätzlicher Bedeutung. Im Bereich des Urlaubsrechts sind es daher meist die stetigen Neuerungen der Rechtsprechung, für die wir die Auswirkungen auf die Geschäftsbereiche analysieren und Handlungsempfehlungen aussprechen.
Können Sie einmal kurz darstellen, wie das Verfahren für die Urlaubsgewährung bei Ihnen erfolgt?
Dies wird auf Geschäftsbereichsebene, bisweilen sogar auf betrieblicher Ebene recht unterschiedlich gehandhabt. Exemplarisch für die Holding-Gesellschaft wird der jährliche Urlaubsanspruch in ein IT-Tool eingestellt und der Mitarbeiter kann über dieses seine Urlaube bei seinem Vorgesetzten beantragen. Der jeweilige Vorgesetzte ist letztendlich für die Koordination der Urlaubsgewährung innerhalb seines Teams verantwortlich. In der zweiten Jahreshälfte erinnern wir unsere Mitarbeiter daran, dass der noch nicht beantragte Jahresurlaub im Laufe des Jahres zu beantragen und zu nehmen ist. Die Übertragung bis zum März des Folgejahres ist nur begrenzt und nur in Ausnahmsfällen möglich.
Nach neuer Rechtsprechung des BAG soll jeder Mitarbeiter konkret aufgefordert werden, seinen Resturlaub noch zu nehmen. Andernfalls verfallen Urlaubsansprüche nicht mehr automatisch. Wie gehen Sie mit dieser neuen Rechtsprechung um? Wann und wie wurde Ihre Belegschaft dazu aufgefordert, ihren Resturlaub zu nehmen und auf den Verfall der Urlaubsansprüche hingewiesen?
Der Verfall von Urlaub ist die Ausnahme von der Regel. Aber er ist unverzichtbar, um Rechtssicherheit herzustellen. Dass der Verfall nun mit zusätzlichem Formalismus erschwert wird, der in der Sache kaum weiterbringt, ist ein Ärgernis. Zum Glück sind die praktischen Auswirkungen dieses erneuten Rechtsprechungsschwenks voraussichtlich überschaubar: Alle wissen um die Bedeutung des Urlaubs und er wird daher auch jährlich genommen. Wie bereits eingangs erwähnt: In der Holding-Gesellschaft werden die Mitarbeiter im zweiten Halbjahr an die Beantragung und Nutzung des noch nicht genommenen Jahresurlaubs erinnert; es besteht auch volle Transparenz durch unser Urlaubs-IT-Tool. Ob unsere Erinnerung in jedem Detail den Vorgaben der BAG-Rechtsprechung entspricht, ist weniger relevant als das Ergebnis: Der Urlaub wird größtenteils vollständig genommen.
Sind Staffelungen von Urlaubstagen – bspw. je nach Betriebszugehörigkeit – geregelt und/oder erhalten Ihre Mitarbeiter auch über § 616 BGB hinaus Sonderurlaubstage?
Eine Staffelung nehmen wir in der Holding-Gesellschaft nicht vor. Allerdings gibt es Sonderurlaubstage. Unseren Kollegen im Rheinland z.B. keinen Sonderurlaubstag für den Rosenmontag oder den Faschingsdienstag zu gewähren, würde auf wenig Verständnis stoßen. Damit eine gewisse Gleichbehandlung erfolgt, steht es jedem der Holding-Mitarbeiter frei, diesen Sonderurlaubstag alternativ auch am Wäldchestag (eine Frankfurter Besonderheit) zu nehmen.
Stehen der Belegschaft auch halbe Urlaubstage zu? Gibt es Betriebsferien?
Halbe Urlaubstage können genommen werden. Klassische Betriebsferien gibt es bei uns, wie wahrscheinlich bei vielen Holding-Gesellschaften, nicht. Dies wird eher in den produzierenden Standorten unter Berücksichtigung der Auslastung des Jahres praktiziert.
Gerade bei jüngeren Mitarbeitern geht der Trend ja zu Fernreisen, sodass diese dann 3–4 Wochen am Stück Urlaub nehmen möchten. Ist bei Ihnen geregelt, wie viele Urlaubstage maximal zusammenhängend gewährt werden dürfen?
Derartige Regelungen bestehen bei uns nicht. Wir wollen unsere Organisation insbesondere nicht durch eine Überregulierung einschränken. 3 Wochen Urlaub am Stück zu nehmen ist bei GE auch keine exotische Besonderheit. Letztendlich ist hier jeder Vorgesetzte gefragt, die Urlaubswünsche seiner Mitarbeiter zu koordinieren. Die Erfahrung zeigt, dass es hier relativ wenige Konflikte gibt.
Kommt es oft vor, dass Urlaubssperren verhängt werden? Wie regeln Sie in diesen Fällen die Abwicklung, bspw. wenn der Mitarbeiter seine gebuchte Reise stornieren muss?
Klassische Urlaubssperren werden ausgesprochen seltenverhängt. Es kommt vereinzelt auf Abteilungsebene vor, dass die Kollegen in einem bestimmten Zeitraum, z.B. während eines sehr wichtigen Projektes, keinen weiteren Urlaub beantragen sollen. Die Stornierung bereits gebuchter Reisen verlangen wir nicht von unseren Kollegen. Unabhängig von der Frage, wie förderlich dies für die Motivation ist, sehe ich hier auch keine taugliche rechtliche Möglichkeit dies durchzusetzen.
Wie gehen Sie damit um, wenn eine Vielzahl an Mitarbeitern – bspw. in den Sommerferien – gleichzeitig Urlaub nehmen möchten. Gibt es bei Ihnen Vorgaben, welchen Mitarbeiter vorrangig eine Urlaubsgenehmigung zu erteilen ist?
In der Holding-Gesellschaft haben wir hierfür keine Vorgaben. Bislang waren diese auch nicht notwendig, da wir eine ausgeglichene Mitarbeiterstruktur haben. Die Sommerferien werden von Kollegen ohne schulpflichtige Kinder eher gemieden, von den Kollegen mit schulpflichtigen Kindern naturgemäß bevorzugt. Das sorgt für eine ausreichende Verteilung der Urlaubsabwesenheiten. Hinzukommt, dass in der klassischen Sommerferienzeit von Juli bis August nahezu weltweit die großen Urlaubsblöcke genommen werden. Dies führt dazu, dass sich jeder darüber bewusst ist und sich darauf einstellt, dass die Verfügbarkeit von Kollegen in dieser Zeit geringer ist als z.B. im November.
Sind Betriebsvereinbarungen zu Urlaubsthemen vereinbart?
Nicht in der Holding-Gesellschaft, in den Betrieben der Geschäftsbereiche durchaus.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat aus? Welche Urlaubsthemen sind dem Betriebsrat besonders wichtig? Gab es hierzu in der Vergangenheit Konflikte, die gerichtlich ausgetragen werden mussten?
Erfreulicherweise ist die betriebliche Mitbestimmung in Urlaubsthemen in den Geschäftsbereichen wenig streitbehaftet. Die Ausgangslage ist hier auch recht klar: Der Urlaub eines Jahres muss in dem Jahr genommen werden. Dass bei der Priorisierung der einzelnen Urlaubsbegehren schulpflichtige Kinder besonders zu berücksichtigen sind, wird auch von niemandem in Frage gestellt. Damit ist man der Lösung schon sehr nahe.
Für die Belegschaft hat der Urlaub ja oftmals einen sehr großen Stellenwert. In welchen Themengebieten fallen die meisten Meinungsverschiedenheiten an? In welchen Fällen landen diese Konflikte vor dem Arbeitsgericht?
Die etlichen Änderungen der Rechtsprechung führen zu immer neuen Unklarheiten und daher vereinzelt auch zu individuellen Streitigkeiten. Bis z.B. halbwegs deutlich war, welche Urlaubsansprüche besonders lang erkrankte Kollegen erworben haben, vergingen Jahre. Gerichtliche Streitigkeiten wurden zwar keine geführt, aber der bisweilen sehr umfassende Schriftverkehr zwischen den beteiligten Parteien war kaum weniger aufwändig.
Herzlichen Dank für das sehr aufschlussreiche Interview!